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Nachricht von NS-Opfer Nachricht von NS-Opfer: Familie erhält nach 70 Jahren Abschiedsbrief

12.11.2015, 16:20
Das Archiv des ITS umfasst rund 30 Millionen Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus und der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Das Archiv des ITS umfasst rund 30 Millionen Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus und der unmittelbaren Nachkriegszeit. dpa Lizenz

Bad Arolsen - Rund 70 Jahre nach dem Tod ihres Vaters in deutscher KZ-Gefangenschaft haben die Söhne des niederländischen Widerstandskämpfers Peter Will überraschend dessen Abschiedsbrief an seine Familie erhalten. Das teilte am Donnerstag der internationale Such- und Archivdienst ITS mit, in dessen Besitz sich das Dokument befand.

Emotionaler Fund

„Für uns war das ganz emotional. Man erwartet das nicht mehr“, erklärte der Sohn Joop Will. Der von Peter Will verfasste Abschiedsbrief war zusammen mit seiner Brieftasche samt Familienfotos nach Kriegsende 1945 von britischen Soldaten in Schleswig-Holstein in einer Ladung von Habseligkeiten ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme gefunden worden. Jedoch wurde er vor der Übergabe an das Archiv des ITS 1963 unter falschem Namen eingeordnet.

Der International Tracking Service (ITS) in Bad Arolsen verwahrt viele Millionen Dokumente von Zwangsarbeitern und anderen NS-Verfolgten. Aufgeklärt wurde der Irrtum der Organisation zufolge erst in diesem Jahr durch einen Zufall: Eine Bekannte der Familie durchstöberte das inzwischen im Internet einsehbare Archiv und stieß dabei auf die Brieftasche Wills mit den Fotos seiner Familie, die sie entsprechend zuordnete. Ihr Hinweis ermöglichte jetzt die Übergabe.

Engbeschriebene Seiten

„Für uns hört die Geschichte nie auf, sie bleibt immer in den Gedanken“, erklärte Joop Will, der gemeinsam mit seinem älteren Bruder Peter sowie einer Enkelin und deren Ehemann zur feierlichen Übergabe nach Bad Arolsen gekommen war. Sie seien „tief bewegt“ gewesen. Über den Inhalt des engbeschriebenen Briefs wollen Peter Wills Hinterbliebene nach Angaben des ITS öffentlich nicht sprechen, weil dieser sich ganz persönlich nur an die Familie gerichtet habe. Will schrieb den Brief nach dem Ergebnis der Recherchen 1944 einige Monate nach seiner Verhaftung in Nijmegen in Erwartung eines schlimmen Schicksals, unmittelbar bevor er aus einem Lager in den Niederlanden in ein deutsches KZ überstellt wurde.

Sklavenarbeit für die Nazis

Vermutlich hatte er gehofft, dass der Brief seine Familie etwa über Mitgefangene erreichen würde. Der zum Zeitpunkt seiner Verhaftung durch die Organe des NS-Terrorregimes 47-jährige Will gehörte zum Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht in den Niederlanden. Er verteilte eine illegale Untergrundzeitung und half abgeschossenen alliierten Piloten, die sich versteckten. Nach seiner Deportation nach Deutschland musste Will den Nachforschungen seiner Familie zufolge Sklavenarbeit in einer Außenstelle des KZ Neuengamme in Meppen-Versen im Emsland verrichten.

In Massengrab verscharrt

Demnach starb er kurz vor Ende des Kriegs im April 1945. Er gehörte zu einer großen Gruppe kranker Häftlinge, die die deutschen Bewacher angesichts der vorrückenden alliierten Soldaten per Zug quer durch Norddeutschland schickten. Auf diesem Transport starben hunderte der geschwächten und verzweifelten Häftlingen und wurden in Massengräbern verscharrt, so auch Will. Die Toten aus den Massengräbern entlang der Bahnstrecken wurden in den 1950er und 1960er Jahren exhumiert, anhand forensischer Spuren wie dem Zahnprofil identifiziert und ehrenvoll bestattet. Wills Grab liegt dem ITS zufolge heute in Loenen auf einem niederländischen Ehrenfriedhof. (afp)