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Mysterium im Erzgebirge Mysterium im Erzgebirge: Gestank aus Tschechien quält Menschen im Erzgebirge

Von Bernhard Honnigfort 19.04.2015, 15:34
Wer in Olbernhau wohnt, muss sich gelegentlich auch die Nase zuhalten.
Wer in Olbernhau wohnt, muss sich gelegentlich auch die Nase zuhalten. DPA/Oliver Berg Lizenz

Olbernhau - Ein guter Tag für Hartmut Tanneberger. Die Sonne scheint, die Luft ist klar, er kommt gerade vergnügt aus seinem Garten, wo er Kompost gesiebt hat, nun ist Kaffeepause. „Ist ja auch nicht immer so“, erzählt der 68-Jährige. Er meint die gute Luft und die Freude, draußen etwas im Garten machen zu können. Das muss man ausnutzen.

Gute frische Luft ist nämlich ein kostbares Gut im 9 000 Einwohner zählenden Städtchen Olbernhau, wo Tanneberger lebt. Aber auch in den anderen Städten und Dörfern zwischen Altenberg und Oberwiesenthal. Besonders in der dunklen Jahreszeit. Dann ist sie nämlich oft verpestet. „Das vergangene Jahr war schlimm“, erzählt Tanneberger. „Von Mitte Oktober bis Dezember war es furchtbar hier. Und dann im Januar wieder, ganz furchtbar.“

Brennende Augen

Jedes Jahr, meist im Herbst und Winter, stinkt es bestialisch in einigen Orten. Meist bei Inversionswetterlage, insgesamt 60 bis 80 Tage. Der Geruch stammt aus Tschechien, so viel weiß man heute. Mal ist er da, mal nicht. Mal kurz, mal länger. Mehr weiß man auch nicht. Südostwind schiebt ihn den Erzgebirgskamm hoch. Seit Jahrzehnten geht es schon so. Anfangs stank es nach Katzendreck, wie die Erzgebirgler sagen. Dann, als auch die tschechischen Braunkohlekraftwerke mit besseren Filtern ausgerüstet wurden, verschwand der Gestank nach Katzenurin. Seitdem riecht es süßlich und faulig.

„Das macht die Leute krank“, erzählt Tanneberger. Er kennt das alles, den Gestank, das Husten, das Schimpfen der Leute, schon seit Ewigkeiten. Selbst leidet er hin und wieder an Durchfall und führt das auf den bestialischen Gestank zurück. Aber es gebe noch ganz andere Geschichten, sagt er. Als es im vergangenen Herbst wieder so bestialisch roch, seien mehrere Hundert Menschen in der Gegend krank geworden. Der zweijährige Junge von Magda Preißler war auch betroffen.

Er bekam keine Luft mehr, die Atemwege schwollen zu. „Eine solche Nacht wie damals“, sagt die 33-jährige Frau, „die wünsche ich keiner Mutter.“ Sie hat auf Facebook eine Gruppe gegründet: „Für saubere Luft in unserem Erzgebirge“. Dort können Eltern nachlesen, woher der Wind weht, was die Luftmessstation für Werte und Grafiken ausspuckt und ob neuer Ärger drohen könnte. Manchmal hänge der Geruch nur ein paar Minuten über dem Ort, aber dann wieder Stunden. „Er ist schrecklich intensiv, ich bekomme sofort Kopfschmerzen, meinem Sohn brennen die Augen.“

Über zwanzig Jahre ohne Ergebnis

Vor Kurzem war Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) in Olbernhau, um sich zu informieren. Sie war nicht die erste Bundesministerin auf Besuch, auch alle sächsischen Umweltminister seit 1990 waren schon dort, um zu helfen. Schulleiter Uwe Klaffenbach erzählte ihr, was los ist, wenn es wieder mächtig stinkt. Es gibt Tage, da melden sich bis zu 30 Schüler krank, berichtete er. „Nehmen Sie das ernst“, bat er die Besucherin.

Helfen ist gar nicht so einfach, wie man meinen sollte. Der Gestank ist auch Experten ein Rätsel. Man weiß nicht was, man weiß nicht woher, man kann es riechen, aber nicht messen, man kann es beschreiben, aber nicht analysieren. Seit über zwanzig Jahren wird nach der Quelle des Übels gesucht, bislang ohne Ergebnis.

„Es kommt aus Tschechien, klar“, sagt Hartmut Tanneberger. Vom 789 Meter hohen Schwartenberg unweit von Olbernhau kann man einen Blick ins böhmische Becken werfen, wo seit Generationen Braunkohle zu Strom verbrannt wird und sich große petrochemische Betriebe niedergelassen haben. Irgendwo dort unten zwischen den Raffinerien, Fabriken und Schornsteinen soll der Gestank entstehen. „Irgendwo leckt ein Rohr, irgendwo entweicht etwas“, meint Tanneberger. Aber wo?

Was hat man nicht alles unternommen, um dem Geruch auf die Spur zu kommen. Messflugzeuge durchkreuzten Wolken und nahmen Proben. Forscher der FU Berlin ermittelten 2002 die Wege von Luftmassen, 2011 wiederholten Kollegen des Leibnitz-Instituts für Troposphärenforschung die Untersuchung. Im selben Jahr nahm man 165 Luftproben. Deutsche und tschechische „Riecher“ wanderten durch die betroffenen Orte und versuchten, etwas zu erschnuppern. Jeweils 20 Leute, fünf Monate lang. Sie fanden heraus, dass es stinkt. Aber was dafür verantwortlich war, das ließ sich nicht ermitteln.

Die Tschechen meinten, es stinke nach Teer und Abgasen. Eine tschechische Zeitung berichtete, was tschechische Wissenschaftler von der Sache halten: „Wir haben die üblichen Methoden ausgeschöpft“, wird Helena Plachá vom Hydrometeorologischen Institut in Ústí nad Labem zitiert. „Wer weiß, was die Deutschen eigentlich spüren – und ob es überhaupt irgendetwas ist. Die Beschwerden nehmen durch einen seltsamen Zufall immer vor Kommunalwahlen zu.“ Natürlich koche das Thema gerade vor Wahlen hoch, sagt Tanneberger, wenn er so etwas hört. Und dann fragt er: „Aber ist das ein Wunder? Es ist eines unserer größten Probleme.“

„Die Bäume wachsen wieder“

Vielleicht kann Britta Kämpken helfen. Die Chemikerin arbeitet seit einem halben Jahr im Labor- und Messzentrum des sächsischen Umweltministeriums. Sie ist einem Verdacht auf der Spur: Mercaptane. Organische, schwefelhaltige Verbindungen. Ein Nebenprodukt der Petrochemie, das schon in allergeringsten Dosierungen bestialisch stinken kann, aber bisher kaum gemessen werden konnte. Die Chemikerin versucht nun, ein Nachweisverfahren zu entwickeln. „Es wird auch höchste Zeit“, sagte Rentner Tanneberger. Demnächst will er auf eigene Faust nach Böhmen fahren, die chemischen Betriebe besuchen und dort mit den Verantwortlichen reden. „Mal sehen“, sagt er. Ansonsten ist er trotz allen Gestanks froh, dass die Zustände nicht mehr so sind wie noch in den 80er-Jahren, als dunkle Qualm- und Schwefeldioxidschwaden über den Erzgebirgskamm zogen, den Himmel verdunkelten und die Wälder abtöteten. „Die Bäume wachsen wieder“, sagt er und freut sich.

Und das mit dem süßlich-fauligen Gestank heutzutage? Tanneberger gibt die Hoffnung nicht auf. „Das kriegen wir vielleicht auch noch hin. Der Gestank wird mich auf alle Fälle nicht vertreiben“, sagt er. Und dann muss wieder weg, nach draußen an die heute frische und daher kostbare Luft. Zu seinem Komposthaufen.