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Schüsse am Münchner OEZ Münchner Einkaufszentrum: Vermeintlicher Amoklauf war laut Gutachten rechtsradikale Tat

Von Markus Decker 06.10.2017, 14:58
Besucher legen in München am Ende einer Gedenkveranstaltung Blumen am Denkmal nieder. 
Besucher legen in München am Ende einer Gedenkveranstaltung Blumen am Denkmal nieder.  dpa

Berlin/München - Den Abend des 22. Juli 2016 wird die Republik nicht so schnell vergessen. Damals lief ein junger Mann durch das Olympia-Einkaufszentrum von München und schoss scheinbar wahllos auf Menschen. Zweieinhalb Stunden dauerte der Einsatz, bis die Polizei den Täter stellte und dieser sich daraufhin selbst tötete: David S., 20 Jahre alt und Sohn iranischer Eltern.

Wilde Spekulationen über Tatmotiv

Unterdessen gab es wilde Spekulationen über dessen Motive, vor allem in den sozialen Netzwerken. Für den folgenden Tag wurde in Berlin das Sicherheitskabinett einberufen, das üblicherweise bei Terrorakten tagt. Schlussendlich lautete die Diagnose, bei der Tat, der neun Menschen zum Opfer fielen, handele es sich um den Amoklauf eines psychisch Kranken, ausgelöst durch Mobbing von Mitschülern. „Es ist nicht davon auszugehen, dass die Tat politisch motiviert war“, heißt es in dem Abschlussbericht der Münchner Staatsanwaltschaft und des bayerischen Landeskriminalamts.

Die Fachstelle Demokratie der Stadt München beauftragte später die Sozialwissenschaftler Christoph Kopke, Matthias Quent und Florian Hartleb, ein Gutachten zu dem Fall abzugeben. Quent ist Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. In dem am Freitag präsentierten Papier kommen die drei zu dem Ergebnis, dass der vermeintliche Amoklauf in Wahrheit eine rechtsradikale Tat gewesen ist.

David S. schrieb eigenes Manifest

Dass die bayerischen Behörden korrekt ermittelt haben, daran hegen die Gutachter keine Zweifel. Umgekehrt hegen die Behörden keine Zweifel daran, dass David S. rechtsextremistischem Gedankengut anhing. So wurde nach dem Serienmord ein zwei Seiten langes „Manifest“ publik, das der junge Mann fast genau ein Jahr zuvor verfasst hatte.

Überschrieben mit der Zeile „Die Rache an diejenigen die mich auf dem Gewissen haben", skizzierte er darin seine Leiden als Mobbingopfer. Zugleich schrieb der spätere Täter über „ausländische Untermenschen“, von „Kakerlaken“ und Menschen, die er „exekutieren“ werde. Am Tag des Amoklaufs speicherte David S. ein weiteres Dokument auf seinem PC. Darin steht: „Ich werde jetzt jeden Deutschen Türken auslöschen egal wer.“ Bereits während einer Psychotherapie hatte er den Hitler-Gruß gezeigt, Hakenkreuze gekritzelt und „Sieg Heil“ gerufen. Es handelt sich also so oder so um einen Grenzfall. Dies bestreitet das bayerische Innenministerium nicht.

Täter war ein „einsamer Wolf“

Die Gutachter kommen freilich zu einem anderen Fazit. Sie stellen nicht das Mobbing ins Zentrum, sondern die Gesinnung von David S. Sie weisen daraufhin, dass dieser die Tat begangen habe, als sich der Terrorakt des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik jährte. Der ebenfalls psychisch gestörte Rechtsextremist tötete am 22. Juli 2011 in der Hauptstadt Oslo und auf der Insel Utoya 77 Menschen.

Und sie betonen, dass David S. die Tat minutiös geplant und nicht etwa in seiner alten Schule um sich geschossen habe, sondern eben im Olympia-Einkaufszentrum – auf Menschen, die er gar nicht kannte, die jedoch allesamt einen Migrationshintergrund hatten. Dass David S. nicht Teil eines Netzwerkes, sondern offenbar ein „einsamer Wolf“ gewesen ist, spricht aus Sicht der Gutachter nicht gegen ihre Deutung.

Keine Veränderungen trotz NSU-Desaster

Die innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, die in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss war, sagte dieser Zeitung dazu: „Es ist schon alarmierend, zu sehen, dass sich trotz all der Erfahrungen mit dem NSU-Desaster der Umgang mit rechtsextremen Taten im Grundsatz nicht geändert hat.

Anders als beim Islamismus ist bei der Auswertung rechtsextremer Taten die Neigung groß, Tat und Täter von möglichen Netzwerken und den dahinter stehenden rassistischen Ideologien zu trennen.“ Dabei sei bekannt, dass der „einsame Wolf“ auch im Islamismus zwar oft alleine handele, allerdings trotzdem nicht losgelöst sei von sozialen Kontexten. Beim Rechtsextremismus sei es nicht anders. „Rechtsterroristen haben es immer noch viel zu leicht in unserem Land“, fügte Mihalic hinzu. „Das beunruhigt mich sehr."