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Fernsehwahlkampf „Es war richtig“: Macht das TV-Duell Schule?

Die Skepsis war groß, als der CDU-Politiker Mario Voigt in ein Streitgespräch mit AfD-Rechtsaußen Björn Höcke einwilligte. Es könnte nun ein Signal für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen sein.

Von Stefan Hantuschmann, Simone Rothe und Jörg Ratzsch, dpa Aktualisiert: 12.04.2024, 16:27
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, spricht auf einer Veranstaltung.
Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, spricht auf einer Veranstaltung. Hannes P Albert/dpa/Archivbild

Erfurt/Berlin - Er wollte AfD-Rechtsaußen Björn Höcke ins Licht ziehen, ihn inhaltlich stellen - der Anspruch von Thüringens CDU-Chef Mario Voigt an das TV-Duell war hoch. Am Tag danach ist dem 47-Jährigen, der Ambitionen auf das Ministerpräsidentenamt nach der Landtagswahl im September hat, eine gewisse Erleichterung anzumerken. Viel Kritik hatte es schon vorab gegeben an dem Streitgespräch beim Sender Welt - ausgerechnet am Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald bei Weimar. Doch mit dem Ergebnis scheint nicht nur Voigt zufrieden zu sein - auch wenn die Debatte manchmal recht trivial wurde wie bei der Frage, ob man in Thüringen Mettbrötchen oder Gehacktesbrötchen sagt.

„Es war richtig, es zu tun“, so Voigt, der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl ist. Demokratie brauche Auseinandersetzung - das sehen auch Fachleute so. Voigt sei es gelungen, Höcke zu demaskieren - vor allem bei den Themen EU und Migration, sagte der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer der dpa. .„Es ist deutlich geworden, wie rassistisch, nationalistisch und völkisch Höcke argumentiert - und dass solche Positionen dem Land schaden und nicht nützen“. Nun könnte das umstrittene politische Experiment eines öffentlichen Schlagabtauschs mit Spitzenleuten der AfD sogar Schule machen. Schließlich sucht nicht nur die CDU Strategien, den Höhenflug der AfD, die in Thüringen vom Verfassungsschutz seit 2021 als rechtsextreme Partei beobachtet wird, zu stoppen.

Konfrontation statt Brandmauer?

Gefeiert wurde Voigt für seinen Auftritt von der CDU. Parteichef Friedrich Merz forderte SPD, Grüne und FDP dazu auf, ebenso die direkte Auseinandersetzung mit der AfD zu suchen. „Diese Partei darf in Deutschland nicht noch mehr Einfluss bekommen. Wir gehen da voran, aber ich fordere andere auf, uns da zu folgen“, sagte er bei „ProSieben Newstime“. Generalsekretär Carsten Linnemann räumte beim TV-Sender Welt ein, dass der Versuch, die AfD einfach auszublenden, gescheitert sei. „Jahrelang hat man ja nur von Brandmauern gesprochen. Also irgendwie hat das nicht funktioniert, oder?“

Aber auch im Höcke-Lager wird das Duell als Erfolg verbucht. AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel schrieb bei X (ehemals Twitter): „Hervorragender Auftritt unseres Thüringer Spitzenkandidaten @BjoernHoecke“. Nach Einschätzung des Dresdner Politikwissenschaftlers Vorländer ist Höcke damit gescheitert, sich als „lammfromm und ebenbürtig zu zeigen“. Das war eine große Sorge von Kritikern des TV-Duells: Höcke könnte eine nationale Bühne bekommen, der wohl radikalste Vertreter der AfD könnte salonfähig werden. Auch nach dem Duell gab es Stimmen, die den Auftritt der beiden als Fehler ansehen.

Schleichende Normalisierung rechtsextremer Positionen?

Buchenwald-Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner schrieb bei X, Höckes Ziel sei die „sukzessive Verschiebung des Sagbaren nach rechts außen und damit die schleichende Normalisierung rechtsextremer Positionen und die Erosion der liberalen Demokratie“. Dafür sei ihm mit dem Duell die große Bühne geboten worden. „Verloren hat die Demokratie.“

Der Zentralrat der Juden in Deutschland lobte indes die Auseinandersetzung. „Das TV-Duell zwischen Björn Höcke und Mario Voigt hat gezeigt, dass AfD-Funktionäre immer wieder mit ihren radikalen Ansichten konfrontiert werden müssen“, sagte Zentralrats-Präsident Josef Schuster der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). „Dann kann es auch helfen, wenn jemand wie Höcke im Fernsehen sich bis zur Selbstaufgabe herauszureden versucht und ein trauriges Bild abgibt.“

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warf Voigt vor, „einem Rechtsextremen ein deutliches Plus an Aufmerksamkeit verschafft“ zu haben, nur um sich selbst bekannter zu machen. „Höcke bleibt ein Nazi und Voigt bleibt ein Ministerpräsidentenanwärter, der sich weiter vor der Frage drückt, ob er sich mit den Stimmen der AfD ins Amt wählen lassen würde oder nicht“, sagte Ramelow dem Nachrichtenportal t-online.

„Hast du nicht alles versucht?“

Voigt sprach von einem „Kampf um die Mitte“. „Am 2. September möchte ich nicht dastehen und mir die Frage stellen müssen: Hast du nicht alles versucht?“, sagte er. Am 1. September wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. In Umfragen verlor die AfD zwar zuletzt an Zuspruch, lag aber auf dem ersten Platz - vor CDU und Linke. Es droht erneut eine schwierige Regierungsbildung. Voigt bekräftigte seinen Anspruch, mit der CDU stärkste Kraft in Thüringen werden zu wollen.

Ob man mit einem solchen Duell potenzielle AfD-Wähler für demokratischen Parteien zurückgewinnen könne, sei Spekulation, so Politikwissenschaftler Vorländer. „Wer in Versuchung stehe, wegen der Unzufriedenheit mit anderen Parteien die AfD zu wählen, der könnte ins Grübeln gekommen sein.“

Voigt und Höcke hatten sich beim Sender Welt ein hitziges Streitgespräch geliefert - zu Themen wie Europapolitik, Migration und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mehr als eine Million Menschen schalteten ein und verfolgten den Disput. Höcke forderte unter anderem, dass der Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich beendet werden müsse „und zwar um jeden Preis“. Er behauptete, Russland sei „ein bedrängtes Land“ und „Russland will Frieden“. Russland ist am 24. Februar 2022 völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschiert. Seitdem tobt ein blutiger Krieg mit hohen Verlusten auf beiden Seiten.

Beim Thema Migration überraschte Höcke mit einer neuen Deutung des Begriffes „Remigration“. Es gehe da auch um die Rückholung deutscher Auswanderer zurück ins Land. In der Regel meinen Rechtsextremisten mit „Remigration“, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. Voigt sagte nach dem Gespräch, Höckes Umdeutung des Begriffes werde ihm bei seinen Anhängern schaden. „Das zeigt, dass er nicht zu den Dingen steht, die er in Reden gesagt hat und teilweise in seinem Buch geschrieben hat.“

Wie emotional aufgeladen die Stimmung rund um das TV-Duell war, zeigte sich am Tag nach der Sendung: Ein Reporter des TV-Senders Welt wurde vor dem Thüringer Landtag von einem Mann angegriffen. In einer Liveschalte war zu sehen, wie der Angreifer dem Journalisten Steffen Schwarzkopf zuerst gegen den Kopf schlug und ihm dann mit dem Finger gegen das Ohr schnalzte. Ein weiterer Mann ging dazwischen. Die Liveschalte wurde abgebrochen. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf Körperverletzung und Beleidigung gegen den 42-jährigen Mann.