Medien Medien: Strip-Kurzfilme erobern das Nachtfernsehen

Hamburg/dpa. - Leonique und Ela lassen an diesem Tag für die Hamburger GoldwickMedia GmbH die Hüllen fallen. Als Kulisse dient ein umgebautesBauernhaus mit prachtvollem Reetdach im beschaulichen Norderstedtnördlich von Hamburg. Drinnen sorgen diverse Gasbrenner für Nackedei-freundliches Klima. Draußen ist es kalt. Ein Traktor tuckert vorbei.Der stämmige Fahrer haucht Nebelkringel in die kalte Luft undblinzelt in die Sonne.
Wüsste der Mann um das Geschehen wenige Meter weiter, würde erwahrscheinlich gern durch Wände sehen können. Aber auch ohneSupermann-Fähigkeiten bleibt ihm der Blick auf das sündige Treibennicht versperrt: Wenn es dunkel wird in Deutschland, erobern dieStrip-Filmchen der Goldwick Media die Fernsehbildschirme. «Angefangenhat das 1996 mit der Gründung des Regionalsenders Hamburg 1 TV»,erklärt Firmenchef Ulrich Goldhahn. «Die haben für die Nachtschienewas gebraucht, das nicht so teuer ist und gut läuft.» Goldhahn erfanddie «Sexy Clips», vier bis sechs Minuten lange Filmchen, in denensich Frauen und seit einigen Monaten auch Männer ausziehen und laszivvor der Kamera räkeln.
Mit ihren Clips haben Goldhahn, sein Partner Thorsten Wickart undihre drei Mitarbeiter mittlerweile ein TV-Monopol geschaffen: DieFilme, unterlegt mit Entspannungsmusik, laufen des Nachts auf Sendernwie Neun Live, DSF, Onyx und bei diversen Regionalanbietern wie TVMünchen und TV Berlin. Dass die Filme meist nicht sehr professionellwirken, ist nach Ansicht Goldhahns ein Hauptgrund für den Erfolg desKonzepts. «Wenn die Leute unerreichbar schöne Frauen in luxuriösemAmbiente sehen, schafft das Distanz - das funktioniert in diesemBereich nicht», erklärt er. «Unsere Mädchen sind alle normal, habenalle kleine Fehler.»
Die nicht kaschierten Schwächen locken nach Ansicht Goldhahnsvermehrt auch Frauen vor den Bildschirm. Ein Drittel der «SexyClips»-Gucker seien weiblich. «Frauen haben im Allgemeinen ja auchwas mit Erotik am Hut. Und bei uns kommt dann noch der Lästerfaktorhinzu.» Zuschauerinnen seien generell kritischer und gucktenwesentlich intensiver hin. Für sie sei es angenehm, sich selbst undauch dem Partner sagen zu können «Guck doch mal die dicken Beine an.Also hübscher als ich ist die auch nicht», erklärt Goldhahn.
Bei Ela allerdings sind nicht allzu viele Makel erkennbar. Währendim Hintergrund sanfte Musik dudelt, schlüpft die ebenso große wieschlanke Blondine nach und nach aus Hotpants, String undBüstenhalter. Den Mund stets leicht geöffnet streichelt sie sichselbst, lässt die Hüften kreisen und streckt die langen Beine inRichtung Decke. Kameramann Clemens rückt mit seiner kleinenDigitalkamera vor, bis ihn kaum mehr 30 Zentimeter von der nacktenHaut trennen. «Cut» ruft er plötzlich. Wie wohl schon ein Dutzend Malerstarrt Ela in der eben eingenommenen Stellung. Clemens wechselt diePosition, krabbelt auf Knien an Ela heran - Blickwechsel für denkünftigen Zuschauer.
«Die meisten Frauen, die sich bei uns melden, haben vonFreundinnen von uns gehört, die schon hier waren», erklärt Goldhahn.Zwischen 150 und 250 Euro plus Fahrgeld zahlt Goldwick Media proDrehtag. Rund 150 Mädchen sind derzeit in der Firmenkartei vermerkt.Viele Mädchen stammen aus Ostdeutschland oder Tschechien.«Westdeutsche Frauen sind oft verklemmt, die brauchen lange, um warmzu werden», bemängelt der Firmenchef. «Bei Pornografie müssen dieFrauen keine Erotik rüberbringen. Hier schon», erklärt er. «Das hatviel mit Gefühl und Körpersprache zu tun - funktioniert nicht, wenndas Mädchen nicht entspannt ist.»
Bei einigen Darstellerinnen sei der Dreh solcher Hemmnisse wegenauch schon abgebrochen worden. «Alles andere wirkt wie eineVergewaltigung mit der Kamera - das hat keinen Sinn», sagt Goldhahn.Obwohl sie sich eigenen Angaben zufolge zum ersten Mal beim Strippenfilmen lässt, wirkt Ela sehr entspannt. «Das war doch ok, oder, fürserste Mal vor der Kamera?», befragt sie anschließend MaskenbildnerinChristina, die zustimmende Worte murmelt und weiter in Glitzercremes,Wimperntusche und Lipgloss herumkramt. «Es ist schon leichter, wennich mich direkt vor 'nen Mann hinsetze», sinniert Ela. Gewöhnlicharbeitet sie als Stripperin in Discos oder bei Junggesellenabschiedenoder auch als Prostituierte auf der Reeperbahn.
Beruf und Herkunft der Darstellerinnen interessieren bei GoldwickMedia niemanden, eine Altersbeschränkung gibt es prinzipiell nur nachunten - 18 Jahre mindestens sind Pflicht. «Wir haben auch schon miteiner 62 Jahre alten Hamburger Witwe gedreht», erinnert sichGoldhahn. «Sie sagte, sie hätte immer viel mit Sex gelebt und war mitviel Spaß an der Sache dabei.» Kellnerin Leonique hat zunächstErotikbilder für Zeitschriften gemacht und dann von Bekannten von den«Sexy Strips» erfahren. Mittlerweile gehört sie zu den Stamm-Darstellerinnen. «Am Anfang war's ungewohnt, aber jetzt ist es wieSelbstbefriedigung, nur vor der Kamera», sagt die Kielerin undstöckelt auf ihren hohen Absätzen nach Parfüm und Creme duftend zumDreh.
Als Kulisse dient auch ihr eine Ecke, die mit Bücherregal,Sitzgruppe und Hausbar im Landhausstil dekorierte ist. Auf denmehreren hundert Quadratmetern des zweistöckigen Studios sind unteranderem ein Büro, ein Heuboden, ein Sportstudio und ein Atelier alsmögliche Szenerien für heiße Strips aufgebaut. Meist dreht GoldwickMedia hier in Norderstedt, seltener in angemieteten HamburgerWohnungen, zwei oder drei Mal im Jahr fliegt die Crew für je zweiWochen mit einem knappen Dutzend Mädchen nach Mallorca oder Ibiza.«Da gibt es aber nichts, was über einen Flirt hinaus geht»,versichert Goldhahn, 46 Jahre alt und ebenso wie sein PartnerFamilienvater.
Zumindest für die erotischen Bemühungen Leoniques, die sich geradeihrer Netzstrümpfe entledigt, hat der Firmenchef tatsächlich kaumeinen Blick übrig. «Wenn man jeden Tag nackte Mädchen sieht, freutman sich über jede, die toll angezogen ist», versichert er. «Dusiehst nicht mehr den Reiz, der auf andere wirkt.» Tabu sind fürGoldhahn neben den Mädchen selbst auch die vielen selbst ernanntenModel-Agenturen. «Da zahlen die Mädchen 170 Euro für ein Casting undhören dann nie wieder was von den Leuten. Mit so was will ich nichtszu tun haben.»
Bei Freunden stoßen die Strip-Darstellerinnen häufig aufUnverständnis. «Vor allem die Frauen in meinem Bekanntenkreis warenam Anfang sehr skeptisch», erinnert sich Leonique. Sie sei auch schonvon Leuten angesprochen worden, ob sie nicht die aus dem Fernsehensei. «Da kommt dann so was wie 'Kommst du dir nicht billig vor, wiene Hure?' - am Anfang tat das schon weh.» Pornografie würde sieniemals machen, betont die Kielerin. «Höchstens ein bisschenrumschmusen, auch mit Frauen, ich bin eh bisexuell veranlagt.»
Während Clemens im Dämmerlicht die mittlerweile nackte Kielerinfilmt und sich ab und zu den Schweiß von der Stirn wischt, trinkt derRest der Crew Kaffee, raucht und isst belegte Brötchen. Erzählungen,bei welchen Sendungen und Zeitschriften man Mädchen aus der eigenenKartei entdeckt hat, machen die Runde. Zwei seien kürzlich bei derShow «Beauty Klinik» auf RTL II gewesen, erzählt einer. Patientinnenhätten sie gespielt, deren Schönheits-OP abgelehnt worden sei.
Als Karrieresprungbrett sieht Goldhahn seine Filmchen nicht, etwasSchmuddeliges kann er an den Strip-Clips aber auch nicht entdecken.«Was wir machen, ist pillepalle. Und wir stellen Frauen niemalsniedrig dar.» Im Fernsehen zeige sich häufig eine abstruseDoppelmoral. «Da laufen Filme ab 20.00 Uhr, bei denen Köpfeweggeschossen werden. Aber um Erotik, die doch das Normalste der Weltist, wird ein Riesenbrimborium gemacht.» Schlecht zu sprechen ist derUnternehmer vor allem auf die Landesmedienanstalten, die die «SexyClips» einer strengen moralischen Prüfung unterziehen.
Verboten ist die Darstellung zu vieler Geschlechtsmerkmale,sexuelle Andeutungen dürfen nicht zu eindeutig ausfallen undDarstellerinnen nicht den Eindruck vermitteln, jünger als 18 zu sein.Einschränkungen, mit denen Goldhahn leben könnte, würde da nichtseiner Meinung nach mit zweierlei Maß gemessen. «Manche Sendungen beiden Privaten sind das beste Beispiel - wenn wir das nur einen Hauchso machen würden, bekämen wir richtig viel Ärger», klagt er. «Diegroßen Sender haben bei den Landesmedienanstalten eben Macht, diekleinen Regionalanbieter nicht.»
Leoniques Stripshow ist im Kasten. Kaum zwanzig Minuten nachDrehbeginn stöckelt die Blondine nackt in den Nebenraum, schlüpft inJeans und Pulli und plaudert mit Lydia. Die hat auch als «SexyClips»-Darstellerin angefangen, später moderierte sie die Beiträgean. Mittlerweile hat Lydia Pirelli eine eigene Sendung auf Neun Live:In Dessous gehüllt moderiert sie die Erotik-Spielshow «Alles auf Rot-Licht» - Striptease inklusive. Gegen eine solche Karriere hätte auchLeonique nichts einzuwenden. «Eine eigene Fernsehsendung, das wärschon ok», sagt sie. Zu hören ist ihre Stimme im Fernsehen jetztschon. «Jetzt ist Lack und Leder das Thema», kündigt sie zwischen deneinzelnen Strip-Filmen an, oder: «Jetzt kommen die Bad Girls.»