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Gesellschaft Gesellschaft: Staub der Geschichte

Von Martin Oversohl 07.01.2005, 08:21
Der Historiker Harald Schukraft beschreibt in der Grablege der Stuttgarter Stiftskirche die Ruhestätte (Foto vom 20.12.2004): Mehr als 100 Angehörige des Hauses Württemberg - Herzöge, Könige, Fürsten, Kinder - Haben in der kleinen Gruft ihre letzte Ruhestätte gefunden. Für die Öffentlichkeit ist die Grabkammer unter Chor und Sakristei geschlossen. (Foto: dpa)
Der Historiker Harald Schukraft beschreibt in der Grablege der Stuttgarter Stiftskirche die Ruhestätte (Foto vom 20.12.2004): Mehr als 100 Angehörige des Hauses Württemberg - Herzöge, Könige, Fürsten, Kinder - Haben in der kleinen Gruft ihre letzte Ruhestätte gefunden. Für die Öffentlichkeit ist die Grabkammer unter Chor und Sakristei geschlossen. (Foto: dpa) dpa

Stuttgart/dpa. - Für die Öffentlichkeitist die Grablege unter Chor und Sakristei geschlossen. Es gibt aberPläne, ein Fenster in der Holztüre anzubringen, um die Neugier derBesucher zu befriedigen.

Unter den Steinplatten liegen die knöchernen Reste und Eingeweidesämtlicher Grafen des württembergischen Adels vom 13. bis ins frühe16. Jahrhundert in einem Sammelbehälter - in «bester Kleidung,hervorragend konserviert», wie Schukraft betont. Gesammelt und in dasGrabgewölbe umgebettet wurden sie 1608, nachdem die neue Gruftinnerhalb von nur 17 Tagen in den Stein geschlagen worden war. DerGrund: «Für Herzog Friedrich war kein Platz mehr im Gotteshaus,Tübingen war auch belegt und der Adelige musste bestattet werden,bevor er verweste», erzählt Schukraft.

Bereits seit Graf Eberhard dem Erlauchten (gestorben 1325) werdendie württembergischen Grafen in der Stiftskirche bestattet. Für dieältere Grabkammer unter der Sakristei wurden 1321 zudem die Gebeineder württembergischen Ahnen aus Beutelsbach im Rems-Murr-Kreisübergeführt. Neben der Grabkammer mit dem Sarg Friedrichs wurde dieGruft 1683 unter der Sakristei erweitert und durch einen kleinen Gangmit der Chorgruft verbunden.

Während in dem älteren Raum die Särge der bekannteren Adeligenstehen, herrscht im benachbarten zweiten Raum Unordnung: AufHolzregalen und zweistöckig warten die Särge auf die Ewigkeit, mal inFassform, mal eckig, mal geschmückt mit Bibelsprüchen und Emblemen,dann wieder nur mit Samt bedeckt, Zentner schwer. «Bei den meistenheißt es: begraben und vergessen», meint Schukraft. Die Gruft war,sei und bleibe eine Totenkammer. «Und sie ist ein stiller Ort, wo mannicht viel erleben, aber viel nachvollziehen kann», meint derHistoriker, der unter anderem ein Buch über die württembergischeGrablege verfasst hat.

Auch Königin Katharina, russische Großfürstin und Frau von KönigWilhelm I., ruhte nach ihrem Tod 1819 fünf Jahre in der Gruft, bissie in die Grabkapelle auf dem Rotenberg übergeführt wurde. Durch einGitterfenster stieg ihr trauernder Gatte in die Gruft hinab, um seinetote Liebe zu besuchen.

Nicht nur die Körper der toten Adeligen finden sich in der Gruft.In einer Vase liegen Reste aus 1820 kurzzeitig in Tübingen geöffnetenGräbern. «Passanten konnten damals mehrere Zähne, Haarbüschel undGewandstücke stehlen», erzählt Schukraft. «Später fand man dieReliquien in einem Nachttisch.» Sobald die Gräber in Tübingen wiedergeöffnet werden, sollen die Überreste laut Befehl wieder zurückgegeben werden, betonen die Nachfahren stets.

Nicht alle Blaublüter Württembergs wurden bis Ende des 17.Jahrhunderts unter der Stiftskirche bestattet. Eberhard im Bart(gestorben 1496), Herzog Ulrich (1550) und Herzog Christoph (1568)liegen in der Stiftskirche in Tübingen, König Karl (1891) und KöniginOlga (1892) in der Gruft des Alten Schlosses und Herzogin Wera (1912)auf dem alten Friedhof in Ludwigsburg, König Wilhelm II. (1921) sogarnur in einem schlichten Grab.

So sehr die Adeligen gefeiert werden, so wenig sind die Studienüber ihre Grüfte noch Teil der Forschung: «Für viele ist es noch einTabu, solange die Familie noch Zugriff oder Belegungsrecht hat»,erläutert Schukraft. Vor allem in Ostdeutschland gebe es nochzahlreiche Grüfte von unschätzbarem künstlerischem Wert.