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Gesellschaft Gesellschaft: Etikette ist immer noch gefragt

14.03.2006, 08:59
Der Handkuss war einmal: Gutes Benehmen hat aber nicht an Bedeutung verloren. (Foto: dpa)
Der Handkuss war einmal: Gutes Benehmen hat aber nicht an Bedeutung verloren. (Foto: dpa) Jens Schierenbeck

Bonn/dpa. - Sind gute Umgangsformen so selten geworden, oder haben siesogar gänzlich an Wert verloren? «Der Handkuss ist im Alltag nichtmehr üblich», sagt Agnes Anna Jarosch, Benimmexpertin aus Bonn. GutesBenehmen werde dagegen nach wie vor geschätzt. Doch wann sind guteUmgangsformen angebracht, und wie sehen sie aus? Mit einfachen Regelnkommen Mann und Frau heute nicht mehr weit. Vielmehr istAufmerksamkeit gefragt - auf beiden Seiten.Ein Herr, der bei einem feierlichen Dinner seiner Tischdame denStuhl heranschiebt, verhält sich aufmerksam. Rückt ein Mann seinerKollegin in der Kantine den Stuhl zurecht, macht er sich lächerlich.Der Kollegin die Tür aufzuhalten, ist eine nette Geste - sie demKollegen zu öffnen, allerdings auch. «Am Arbeitsplatz herrscht inSachen Höflichkeit Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau», sagtElisabeth Bonneau, Etikette-Trainerin aus Freiburg. «Die Gesten sindunangemessen, wenn sie sich auf den Umgang mit Frauen beschränken.Sie sind angebracht im gegenseitigen Umgang.»

Wo früher der Mann die Führung übernahm, zählen heute andereKriterien: Der Gastgeber bezahlt im Restaurant, der Rangniedrigerelässt dem Ranghöheren den Vortritt. Dabei spielt es keine Rolle, obdie einladende oder die vorgesetzte Person ein Mann oder eine Frauist - «was nicht heißt, dass der Chef dem mit Akten bepackten Azubinicht auch die Tür aufhalten sollte», sagt Elisabeth Bonneau. Überallem stehe das Gebot der gegenseitigen Höflichkeit.

Doch trotz klarer Regeln - etwa wer wem zuerst die Hand reichtoder Getränke einschenkt - kommt es zu Missverständnissen. Problemegebe es häufig dann, wenn Gleichberechtigte zusammentreffen, zumBeispiel Chef und Gast, sagt Mahena Stief. Die Wirtschaftspsychologinaus München hält nichts von pauschalen Verhaltensregeln. «Viele Leutefühlen sich unsicher. Sie denken, wenn sie zehn Regeln beherrschen,kommen sie zurecht.» So einfach sei es aber nicht. «Es gehört mehrdazu, nämlich Aufmerksamkeit und Gespür für andere.»

Bremst der Gesprächspartner beim Gang durch das Büro vor einer Türab, rechnet er damit, dass sie ihm geöffnet wird. Wer plötzlichschneller geht, erwartet, den Vortritt zu bekommen. Feingefühl istauch im Umgang von Mann und Frau gefragt. Denn obwohl dieSonderbehandlung der Frau im Job eigentlich aufgehoben ist, kommt sienoch immer vor: «Ist mein Kunde ein Kavalier der alten Schule, kannes sein, dass er ein Problem damit hat, wenn ich ihm den Vortrittlasse», sagt Jarosch, Chefredakteurin der Loseblattsammlung «Stil undEtikette». Sie rät, sich in diesem Fall auf die klassischeFrauenrolle einzulassen, um Missverständnissen vorzubeugen.

Das ist ohnehin eine Rolle, der manche Frau gar nicht abgeneigtgegenüber steht. «Viele Frauen freuen sich über höfliche Gesten»,sagt Lis Droste, Etikette-Trainerin aus Frankfurt/Main. Zumindest imJob ist aber Zurückhaltung angebracht. Denn mit dem Damenstatus geheauch die Rolle der passiven Frau einher, erklärt Bonneau.

Schließlich stamme die Etikette aus einer Zeit, in der Frauen alsbeschützenswerte Wesen angesehen wurden, die kaum etwas allein tunsollten. «Ich kann nicht als erfolgreiche Managerin auftreten undmich gleichzeitig von allen Seiten hofieren lassen. Das passt nichtzusammen und macht mich unglaubwürdig», warnt Droste.

Während es im Beruf zumindest einige Regeln gibt, fehlt imPrivatleben eine Orientierung. Schwierig wird es, wenn Frau und Mannsich nicht gut kennen. Oft ist unklar, was der andere erwartet. «DasProblem ist, dass viele Frauen zuvorkommend behandelt werden wollen,aber nicht die richtigen Signale senden», sagt Agnes Anna Jarosch.

So ist es für Männer schwer, die Lage richtig einzuschätzen. Wo erdurch die Begleitung zur Haustür seinen Schutz anbieten will, siehtsie möglicherweise zu viel Intimität. Und zahlt er immer dieRechnung, fühlen sich manche Frauen in ihrer Selbstständigkeitangegriffen.

Ist ihr die Aufmerksamkeit unangenehm, sollte sie das auf netteArt zeigen - etwa indem sie dem Mann zuvorkommt und ihren Mantelselbst auszieht, sagt Jarosch. «Dann merkt er, dass sie keinen Wertauf Hilfe legt.» Auch ein «Danke, das geht gerade besser allein»,könne die Situation klären. Keinesfalls sollte die Frau patzigwerden. «Dann stehen Sie schnell als Oberzicke da», warnt Stief.

Auch die Frage, wer zahlt, kann früh geklärt werden - noch bevorpeinliche Situationen am Tisch entstehen. «Einladungen sollten vordem Essen deutlich ausgesprochen werden», rät Lis Droste. Möchte sichder Gast revanchieren, könne er vorschlagen, anschließend noch etwastrinken zu gehen - auf seine Kosten. Oder er spricht gleich dieEinladung für ein erneutes Treffen aus.

Wann welche Etikette im Privatleben angebracht ist, hängt starkvon der Gelegenheit ab. Was bei einem alltäglichen Ausflug albernscheint, ist bei einem Ball angebracht. «Einer Frau mit Jeans undTurnschuhen muss ich nicht aus dem Auto helfen», sagt Droste. MitStöckelschuhen und Abendkleid sei das Aussteigen hingegen schwierigund Hilfe angemessen. Einige Regeln sind aber völlig überholt - egalin welchem Umfeld. «Ich habe noch gelernt, dass sich ein anständigesMädchen nicht selbst vorstellen darf», erzählt Elisabeth Bonneau.«Dieser Grundsatz ist aufgehoben.»