Frankreich Frankreich: Abstieg in die Pariser Unterwelt

Paris/dpa. - Im Gänsemarsch trappelt dieTouristenhorde vorbei an Wänden aus Skeletten: eine Schicht sauberaufgereihter Knochen, dann eine Reihe Totenköpfe, wieder eine SchichtKnochen - und das bis unter die niedrige Decke. Manchmal durchbrichtein makaberes Kunstwerk wie ein Herz aus Totenköpfen die regelmäßigeAnordnung der Gebeine.
Die Überreste von sechs Millionen Menschen liegen hier in denPariser Katakomben, 20 Meter unter der französischen Hauptstadt.Totenköpfe, Moder und der Gruselfaktor lassen die Touristen Schlangestehen. 250 000 Menschen pro Jahr wagen sich tief in die Erde, um dasGebeinhaus in den ehemaligen Steinbrüchen aus römischer Zeit zuentdecken. Bei dem Andrang sind Staus in den engen Gängen keineSeltenheit. Bevor sich die Besucher der Pariser Unterwelt die 130Stufen in den Bauch der Stadt hinunter wagen, bekommen sie vomKartenabreißer noch eine Warnung mit auf dem Weg: «Wenn siePlatzangst haben, dann lassen sie das lieber sein!»
Schilder dokumentieren, von welchem der vielen Pariser Friedhöfedie Knochen stammen. Im 18. und 19. Jahrhundert transportierte dieKirche die anonymen Überreste hierher. «Die Friedhöfe waren völligüberfüllt, ein Paradis für Ratten und Krankheitserreger, und stankenso unmenschlich, dass die einzige Lösung schien, die Knochen einfachunter der Erde zu versenken», erklärt die Führerin Sandra Cominottoim schummerigen Schein ihrer Taschenlampe den um sie versammeltenTouristen. Wie schrecklich die Friedhöfe rochen, beschreibt PatrickSüsskind in seinem Bestseller «Das Parfum» sehr anschaulich.
Hier unten ist der Geruch dank der erneuerten Klimaanlageerträglich. Die ganze Touristenattraktion unter der Erde wurde geraderenoviert. Es gibt nun Abflussmöglichkeiten für das überall von derDecke tropfende Wasser. Das Gewölbe mit einem aus dem Zeit LudwigsXVI. stammenden steinernen Modell des Forts de Port-Mahon ist nach 13Jahren wieder zu begehen. Und die Knochen wurden auch fein säuberlichneu aufgestapelt. «Bitte Ruhe und Vorsicht, nichts zu berühren: Dashier ist und bleibt ein Ort der Besinnung», flüstert Sandra Cominottoin der Dunkelheit. «Die Totenruhe soll nicht gestört werden.»
Irgendwo in diesen endlosen Reihen an Skeletten liegen auch dieSchädel der Revolutionäre Robespierre und Danton, sollten sie nichtbereits in der Tasche eines Trophäenjägers gelandet sein. Täglichversuchen Besucher, ein makaberes Souvenir aus der Tiefe mit ansTageslicht zu bringen. Am Ausgang erwartet sie heute allerdings eineTaschenkontrolle.
Was dem Besucher der französischen Hauptstadt normalerweise nichtauffallen kann, wird bei dem 1,7 Kilometer langem Marsch unter derOberfläche deutlich: Der Pariser Untergrund ist löchrig wie einSchweizer Käse, durchzogen von Gängen und Gewölben. Unter den Kellernder Pariser Bürgerhäuser und den Abwasserkanälen durchziehen zunächstdie Gänge für die Metro die Erde, zwei Linien untereinander. In 20Metern Tiefe liegt dann das Tunnel- und Gewölbesystem der ehemaligenKalk- und Gipssteinbrüche.
Nur ein Bruchteil des fast 300 Kilometer langen Tunnelsystems istder Öffentlichkeit zugänglich. Doch diese berühmt-berüchtigteUnterwelt zieht seit Jahrhunderten Abenteuerlustige und Verfolgte an.Nach Schmugglern und Revolutionären versteckten sich hier während derdeutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg Widerstandskämpfer. Währendder Studentenunruhen im Mai 1968 flüchteten die jungen Wilden vor denSchlagstöcken der Polizei in das Gewirr aus Gängen.
In den Achtzigern wurde sogar eine eigene Polizeieinheitgegründet, um Jagd auf die Eindringlinge in der Pariser Unterwelt zumachen, die für verbotene Streifzüge und ausgelassene Partys in dieTiefe stiegen. Auch heute noch treffen sich die «Kataphilen», wiesich die Liebhaber der selbst organisierten Gruseltouren nennen, inunterirdischen Orten wie dem «Deutschen Bunker» aus Nazizeiten oderdem «Strand», einem Gewölberaum mit Sandboden, um bei Joint oder Bierzu feiern. Vor vier Jahren entdeckte die Polizei sogar 18 Meter unterdem Platz Trocadero nahe am Eiffelturm einen Kinosaal mit Stühlen,Leinwand, Bar, Toiletten und sogar einem Telefon. Als die Beamtenwiederkamen, um herauszufinden, woher der Strom für dieses«Untergrundkino» kam, fanden sie nur noch einen Zettel mit derAufschrift «Sucht uns nicht».