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Erdbeben von 1906 Erdbeben von 1906: San Francisco auf dem Pulverfass

11.04.2006, 08:06
Blick auf zerstörte Gebäude nach dem großen Erdbeben von 1906 in San Francisco. Durch das Erdbeben und das danach ausgebrochene Großfeuer wurde nahezu die ganze Stadt zerstört, mit dem Wiederaufbau jedoch unmittelbar begonnen. (Foto: dpa)
Blick auf zerstörte Gebäude nach dem großen Erdbeben von 1906 in San Francisco. Durch das Erdbeben und das danach ausgebrochene Großfeuer wurde nahezu die ganze Stadt zerstört, mit dem Wiederaufbau jedoch unmittelbar begonnen. (Foto: dpa) UPI

San Francisco/dpa. - Das Szenario nach dem drohenden «Big One», derseismologischen Katastrophe für Nordkalifornien, könnte das Ausmaßder Verwüstung durch Hurrikan «Katrina» in den Südstaaten nochübertreffen. Bis zu 5000 Tote, 225 000 Obdachlose, zerstörteStadtviertel, Straßenzüge und Brücken, lautet die Prognose.

Warnrufe treffen derzeit auf offene Ohren. Seit Wochen werden dieBürger am San-Andreas-Graben an das Trauma von 1906 erinnert. Anjenem Dienstag (18. April) vor 100 Jahren riss die berüchtigteVerwerfung auf einer Länge von 470 Kilometern auf. Das schlimmsteBeben in der Geschichte der USA legte das «Paris des Westens» inSchutt und Asche, tötete 3000 Menschen und machte die Hälfte derBevölkerung odbachlos. San Francisco war mit 400 000 Einwohnerndamals die größte Stadt westlich des Mississippi, Bankenzentrum,Hafen und Tummelplatz für Abenteurer und Genießer.

Der Polizist Jesse Cook, der um 5.00 Uhr morgens Dienst hatte,beschrieb die Aufwölbung der Straßen mit «Wellen des Ozeans, die aufmich zurollen». Was der Erdstoß der Stärke 7,9 nicht zerstörte,besorgte der nachfolgende dreitägige Feuersturm. Schon eine Stundenach dem Beben tobten 50 Feuer, durch zerborstene Gasleitungenangefacht, die schnell die Holzbauten erfassten. Der italienischeStar-Tenor Enrico Caruso, der am Vorabend des Bebens in der Oper aufder Bühne stand, beschrieb den Blick aus dem prachtvollen PalaceHotel, das dem Erdstoß standhielt, später aber ausbrannte: «Was ichsehe, lässt mich vor Angst erzittern. Ich sehe Gebäude einstürzen,große Mauerstücke fallen, und von der Straße höre ich Weinen undSchreie von Männern, Frauen und Kindern.» Er hielt sein Versprechen,nie mehr nach San Francisco zurückzukehren.

Heute leben rund sechs Millionen Menschen in der Bay Area um SanFrancisco, Oakland und San José. Am Jahrestag des Bebens startet dasRote Kreuz das ehrgeizige Projekt «Prepare Bay Area»: Eine MillionMenschen sollen in Erster Hilfe geschult werden, Notfallvorräteanlegen und einen Evakuierungsplan für den eigenen Haushaltausarbeiten. Die 109-jährige Lucille Meyer zählt zu den etwa 80Prozent der Anwohner, die noch kein «Earthquake-Kit» mit Wasser,Notproviant und Taschenlampe griffbereit am Eingang stehen haben. Dieälteste Überlebende des Bebens von 1906 wohnt mit ihrer 81-jährigenTochter in einem Vorort von San Francisco. Sie war neun Jahre alt,als ihr Elternhaus in Flammen aufging. Sie erinnere sich noch gut,mag aber nicht darüber sprechen.

Die Stadt wird ihre Überlebenden am 18. April wie Berühmtheitenfeiern. Die immer kleiner werdende Gruppe der «Survivors» - jetztnoch ein gutes Dutzend - trifft sich alljährlich im Morgengrauen aneinem Brunnen in der Innenstadt, der damals das Beben überstand. Zum100. Gedenktag werden 20 000 Schaulustige, viele in historischenKostümen, erwartet. Das Palace Hotel lockt mit einem Erdbeben-Paketfür 1500 Dollar, Übernachtung und Galadinner. Über eine MillionDollar lässt die Stadt für die Jahrhundert-Feier springen.

17 Jahre sind seit dem schwächeren Loma-Prieta-Beben vergangen,das 67 Menschenleben forderte und eine Fahrspur der Bay Bridgezwischen San Francisco und Oakland zum Einsturz brachte. Dieerdbebenanfällige Brücke sollte bis zum Jahr 2004 durch eine neueKonstruktion ersetzt werden, doch noch sind täglich 200 000 Autos aufder alten, reparierten Brücke unterwegs. Die Kosten für den Neubausind auf sechs Milliarden Dollar (4,95 Milliarden Euro) gestiegen.Vor 2013 ist kaum mit der Fertigstellung zu rechnen.

Nach dem Beben von 1906 fasste die Stadt überraschend schnellwieder Fuß. Bei einer der größten Hilfsaktionen unterstützten dasMilitär, Banken und Spenden aus aller Welt die Stadt und ihreMenschen. Parkanlagen verwandelten sich in Zeltstädte, imSchnellverfahren wurden über 5000 Notunterkünfte gezimmert. «SanFrancisco wurde quasi in drei Jahren wieder aufgebaut», sagt derHistoriker Randolph Delehanty.

Der legendäre Phönix-Vogel, der triumphierend aus der Ascheaufsteigt, ist über Jahrzehnte zum Symbol der Stadt geworden. Sowerde es auch nach dem nächsten großen Beben wieder sein, meintDelehanty mit unerschütterlicher Zuversicht. «Schließlich möchtejeder hier leben».

Blick auf ein nach dem großen Erdbeben von 1906 brennendes Hochhaus in der kalifornischen Stadt San Francisco. Durch das Erdbeben und das danach ausgebrochene Großfeuer wurde nahezu die ganze Stadt zerstört, mit dem Wiederaufbau jedoch unmittelbar begonnen. (Foto: dpa)
Blick auf ein nach dem großen Erdbeben von 1906 brennendes Hochhaus in der kalifornischen Stadt San Francisco. Durch das Erdbeben und das danach ausgebrochene Großfeuer wurde nahezu die ganze Stadt zerstört, mit dem Wiederaufbau jedoch unmittelbar begonnen. (Foto: dpa)
UPI
Der Seismologe David Schwartz vom USGS (Geological Survey) zeigt auf die Hayward-Verwerfung in der Bay Area von San Francisco (Foto von Anfang April 2006). Es handelt sich um eine von fünf Verwerfungszonen im Großraum von San Francisco. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 62 Prozent wird vor 2032 einer dieser Gräben ein schweres Erdbeben auslösen, prophezeien Geologen (Foto: dpa)
Der Seismologe David Schwartz vom USGS (Geological Survey) zeigt auf die Hayward-Verwerfung in der Bay Area von San Francisco (Foto von Anfang April 2006). Es handelt sich um eine von fünf Verwerfungszonen im Großraum von San Francisco. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 62 Prozent wird vor 2032 einer dieser Gräben ein schweres Erdbeben auslösen, prophezeien Geologen (Foto: dpa)
dpa