Eltern-Mörder Eltern-Mörder: «Ich wollte endlich Ruhe haben»

Potsdam/dapd. - Den 67-jährigen Vater mit mehreren Messerstichengetötet, der 60 Jahre alten Mutter mit einem Hammer den Schädeleingeschlagen. Anschließend die Leichen über Wochen mit einerKettensäge zerstückelt, mit einer Lötlampe verbrannt und dieÜberreste in Plastikfässern versteckt. Als «barbarisch» und«bestialisch» beschrieben Medien die Tat und als «Schauplatz desHorrors» den Tatort.
Es war ein junger, stiller, schüchterner Mann mit kindlichemGesicht, den Polizisten am 13. Juli 2010 aus dem Doppelhaus in derkleinen Stadtrandsiedlung des brandenburgischen Rathenow führten.Kurz zuvor hatte René S. den Polizisten erklärt, dass sie nichtlänger nach seinen Eltern suchen müssen. Er selbst hatte sieumgebracht, weil er die ständigen Vorhaltungen und Demütigungennicht mehr ertragen konnte.
Am Donnerstag ist René S. vom Potsdamer Landgericht wegenzweifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteiltworden. Gleich am ersten Prozesstag hatte er die Tat umfassendgestanden. Sein Geständnis, die Zeugenaussagen von Nachbarn, daspsychiatrische Gutachten zeichneten das Schicksal einer Familienach, deren tragisches Ende «so kommen musste», wie ein Nachbar imProzess sagte.
Der Psychiater Alexander Böhle beschrieb René S. als kühl unddistanziert, überkorrekt und hoch abstrakt. In Bezug auf die Tatenhabe René S. gesagt: «Meine Familie gestaltet sich jetztübersichtlich. »René S. ist sehr intelligent mit einem IQ von 120.Zugleich aber attestierte Böhle dem 28-Jährigen eine schizoidzwanghafte Persönlichkeitsstörung als Resultat einer Erziehung undBeeinflussung, die für die Familie seit Generationen typisch gewesensei.
Zwtl: Ein «Balkonbaby» ohne Sozialkontakte
Die Mutter arbeitete zu DDR-Zeiten als Chemikerin. Sie bekamPrämien und Auszeichnungen. Der Vater war Lagerarbeiter. Ihr Sohnkam mit einer Missbildung auf die Welt, einem Klumpfuß. Die nachPerfektion strebende Mutter «musste das als schwere Kränkungverarbeiten», vermutete Böhle. Der Sohn wuchs überbehütet auf,Kontakte zu anderen Kindern gab es nicht. Auch in Schule und Studiumblieb René Einzelgänger. Er hatte nie eine Freundin. Nachbarnerinnerten sich, wie der Junge im Kinderwagen im Garten unter einemObstbaum schrie. Böhle zitierte den Begriff «Balkonbaby» aus derFachsprache: Kinder mit wenig Beziehungskontakten.
Nach 1989 wurden die Eltern arbeitslos, «typische Wendeopfer»nannte sie ein Nachbar. Sie zogen sich immer mehr zurück.Geburtstage und Weihnachtsfeste wurden nicht mehr gefeiert, es gabkeine Reisen mehr. Das Haus wurde zu einer dunklen Festung, in derLebensmittel gebunkert wurden. Böhle und Staatsanwalt sprachen imProzess von einem «Eiskeller».
Die Mutter projizierte ihren Ehrgeiz auf den Sohn. DieVorschulbildung übernahm sie selbst, als sich der Notendurchschnittdes Jungen in der 5. Klasse von 1,2 auf 1,5 verschlechterte,praktizierte sie einen eigenen Ganztagsunterricht. Er machte einsehr gutes Abitur, doch als die Mutter ihn zum Jura-Studium drängte,«war er von Anfang an aufgeschmissen», wie Böhle einschätzte. Mitseiner emotionalen Ausstattung und den nie erlernten Fähigkeiten,sich zu streiten, abzuwägen und zu interpretieren, sei ihm dasStudium unheimlich schwer gefallen. René S. quälte sich durch 17Semester.
Zwtl: Lügen bis kein Ausweg mehr blieb
Dem Leistungsdruck der Eltern entgegnete er mit Lügen underfundenen Examensprüfungen. Im November 2009 sah er jedoch keinenAusweg mehr: Er schnitt sich die Pulsadern auf. Der Suizidversuchscheiterte und verschlimmerte die Situation. «Nach altemFamilienmuster reagierten die Eltern mit Vorwürfen und Schmähungen»,konstatierte der Staatsanwaltschaft. Der an sich zurückhaltendeVater hielt dem Sohn vor, dass er nicht mal in der Lage sei, sichumzubringen.
Am 9. Juni 2010 hatte René S. genug. «Er ist praktischausgerastet», formulierte es Richter Frank Tiemann in seinerUrteilsbegründung. Doch trotz der kühlen und düsteren Atmosphäre seidas Elternhaus kein Martyrium gewesen, befand der Richter und fügtehinzu: «Es wäre dem Angeklagten möglich gewesen, auszubrechen.» Renéhatte im Prozess mit der ihm eigenen Kühle gesagt: «Ich wollteendlich Ruhe haben.»
