Umstrittener Film über das Impfen Eingeimpft: Kritik an Film über das Impfen von Kindern

Berlin - Kinder impfen zu lassen, hat David Sieveking immer für ganz selbstverständlich gehalten. Bis zu dem Moment, als der Filmemacher aus Berlin-Kreuzberg zum ersten Mal Vater wird. Denn seine Partnerin, die Filmmusik-Komponistin Jessica de Rooij, steht dem Thema äußerst skeptisch gegenüber. Sie glaubt, dass sie infolge einer Tetanusimpfung, die sie in der Schwangerschaft erhalten hat, erkrankt ist. Und nun hat sie die große Sorge, dass sie ihrem Baby mit den Impfungen, zu denen der Kinderarzt rät, schaden könnte.
Jessicas Ängste sind diffus und von Unwissenheit geprägt. Für sie sind Impfstoffe etwas im Labor Hergestelltes, das allerlei Gifte enthält - deren Auswirkungen im Körper ihrer gerade mal acht Wochen alten Tochter sie sich lieber gar nicht vorstellen möchte. Und so schickt sie ihren Partner auf Recherche.
David soll sich schlaumachen, ob es wirklich sinnvoll oder nicht eher gefährlich ist, Töchterchen Zaria gleich gegen acht Krankheiten impfen zu lassen. Denn so sieht es der Impfkalender der Ständigen Impfkommission, kurz Stiko, am Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) vor, weshalb auch Kinderärzte diese Impfungen in aller Regel empfehlen.
David Sieveking, unter anderem durch den Dokumentarfilm „Vergiss mein nicht“ (2012) über seine demenzkranke Mutter bekannt, wälzt für sein neues Projekt Unmengen von Literatur und reist um die halbe Welt, um mit Ärzten, Wissenschaftlern, Impfstoffherstellern, Hebammen und Eltern zu sprechen. Seit Kurzem ist seine Dokumentation „Eingeimpft“ in den Kinos zu sehen.
Impfen für Kinder: Film „Eingeimpft“ zeigt, dass Aufklärung nötig ist
Der Film wird vermutlich viele junge Eltern in die Kinosäle locken - ist doch die Frage „Impfen - ja oder nein?“ eine in Kitas und auf Spielplätzen oft hitzig geführte Diskussion. Denn der Impfkalender der Stiko gibt zwar vor, wann ein Kind gegen welche Krankheiten geimpft werden sollte. Im Alter von acht Wochen beispielsweise stehen die Impfungen gegen Tetanus, Diphterie, Keuchhusten, Hib (Haemophilus influenzae Typ b), Kinderlähmung, Hepatitis B, Pneumokokken und Rotaviren an.
Anders als in vielen anderen Ländern der Welt sind die Empfehlungen für die Eltern aber nicht bindend: Sie allein dürfen in Deutschland darüber entscheiden, ob, wie und wann sie ihr Kind impfen lassen.
Aufklärung in dieser Frage täte also durchaus not. Doch diese Chance, darin sind sich Mediziner und Wissenschaftler einig, die sich seit langem mit der Impffrage beschäftigen, hat der Film vertan. „Die 90 Minuten hätten einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, die Zuschauer ausgewogen über Impfungen zu informieren und Argumente für und gegen das Impfen objektiv zu beleuchten“, sagt Lothar Wieler, der Präsident des RKI.
Stattdessen würden im Film impfkritische Meinungen meist unkommentiert gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenübergestellt, kritisiert Wieler. Aussagen würden weder gewichtet noch eingeordnet, einige Aspekte seien zumindest ungenau dargestellt. Die Risiken des Impfens träten so überproportional in den Vordergrund. „Am Ende lässt der Film die Zuschauer eher ratlos zurück“, lautet das Fazit des RKI-Präsidenten: „Es steht zu befürchten, dass der Film dazu beitragen wird, impfkritische Eltern in ihrer Haltung zu bestätigen - und andere Eltern möglicherweise zu verunsichern.“
Jan Leidel, der 23 Jahre lang Mitglied der Stiko und von 2011 bis 2017 auch deren Vorsitzender war, sieht das ähnlich: „Obwohl der Film gut und empathisch gemacht ist und sich der Filmemacher darum bemüht, den Konflikt eines Elternpaares über das Für und Wider des Impfens nach Möglichkeit durch Recherche zu lösen, gelingt ihm dies letztendlich nicht wirklich“, sagt er. Dies liege etwa daran, dass Sieveking die Kompetenz seiner Interviewpartner nicht einzuordnen wisse.
„David Sievekings Film trägt zur Diskussion impfkritischer Einstellungen bedauerlicherweise keine Fakten bei“, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), des Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel in Langen. „Letztlich verbreitet dieser Film zahlreiche Fehlinformationen und wiederholt Mythen, die wissenschaftlich längst widerlegt sind.“
Impfen und Autismus bei Kindern: Wie gefährlich ist die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR)?
Tatsächlich holt Sieveking noch einmal die vor zwanzig Jahren aufgestellte Behauptung, die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) könne Autismus hervorrufen, aus der Schublade - nur um wenig später selbst zu dem Schluss zu kommen, dass zwischen dem Impfstoff und der Erkrankung keinerlei Zusammenhang besteht.
Auch die Diskussion um den Sechsfach-Impfstoff Hexavac bringt der Filmemacher noch einmal auf den Tisch. Hexavac wurde 2000 zugelassen und stand sehr bald im Verdacht, den Tod von fünf Kindern verursacht zu haben. Experten aus ganz Europa, darunter Pathologen, Immunologen und Kinderärzte, widerlegten die Vermutung zwar später. Doch die Zweifel in den Köpfen der Eltern blieben - erst recht, nachdem der Impfstoff wegen seiner fehlenden Langzeitwirkung gegen Hepatitis-B-Viren 2005 wieder vom Markt genommen wurde.
Cichutek würde solche Zweifel gerne ausräumen. „Alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe wurden durch Experten des Paul-Ehrlich-Instituts eingehend wissenschaftlich und unabhängig geprüft“, sagt er. Grundsätzlich müsse der positive Effekt des Impfstoffs, also der Schutz vor einer Infektionskrankheit oder ihrem schweren Verlauf, größer sein als mögliche negative Effekte in Form von Nebenwirkungen, die meist vorübergehend seien.
Auch nach ihrer Zulassung würden die Impfstoffe weiter überwacht, betont Cichutek. Proben jeder einzelnen Charge würden behördlich untersucht, bevor diese auf den Markt komme.
David Sieveking hat auf die Vorwürfe seine Kritiker bereits reagiert. „Ich habe bei meinen Recherchen ausschließlich anerkannte Wissenschaftler zu Wort kommen lassen, die in renommierten Fachmagazinen veröffentlicht haben“, schrieb er in einer Pressemitteilung. Die Tatsache, dass deren Forschungsergebnisse und Thesen nicht immer dem schulmedizinischen Mainstream entsprächen, mache sie nicht zu Einzelmeinungen.
„Alle guten Ansätze in der Medizin haben übrigens mal klein angefangen, sonst hätten wir gar keine Impfungen“, schreibt Sieveking: Auch Edward Jenner, der als Vater aller modernen Impfstoffe gilt, sei mit seiner Kuhpockenimpfung vom medizinischen Establishment anfangs ignoriert und lächerlich gemacht worden.
Doch vielleicht ist gerade die Pockenimpfung gar kein so schlechtes Beispiel, um auch impfkritische Eltern zum Impfen ihrer Kinder zu bewegen. Dank Jenners Erfindung konnte die WHO die Pocken, 1980 für ausgerottet erklären. Das nächste Ziel sei nun, die Kinderlähmung aus der Welt zu schaffen, ergänzt Cichutek. 2017 wurden weltweit nur noch 22 Fälle gemeldet. Ohne ein globales Impfprogramm wäre das nicht möglich gewesen. (mz)