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«Digitale Bohème» «Digitale Bohème»: Was es mit den Laptops im Café auf sich hat

Von Caroline Bock 02.11.2006, 08:12
Gäste sitzen im Internetcafe «St. Oberholz» in Berlin hinter Laptops und surfen. (Foto: dpa)
Gäste sitzen im Internetcafe «St. Oberholz» in Berlin hinter Laptops und surfen. (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Hinter den hohen Fenstern haben es sich die Gäste im«St. Oberholz» bei Latte Macchiato und Bio-Limonade gemütlichgemacht. An vielen Tischen leuchtet das Apfel-Logo an denaufgeklappten weißen Laptops. Das Berliner Lokal ist Kaffeehaus,Retrobar und Ersatzbüro in einem, durch das drahtlose Internet, imFachjargon «Wireless Lan» genannt. Zehntausende «Hotspots»,öffentliche Plätze mit teils kostenlosem Online-Zugang, gibt esbereits in Deutschland. Unter Studenten ist der internet-tauglicheLaptop mittlerweile selbstverständlich. Das gilt auch fürFreiberufler, die Arbeitsort und -zeit selbst wählen können.

Die beiden Berliner Autoren Holm Friebe und Sascha Lobo haben inihrem Buch «Wir nennen es Arbeit» (Heyne) ein feuilletonkompatiblesLabel für das Phänomen gefunden. Als «Digitale Bohème» bezeichnen sieKreative und das «Intelligente Leben jenseits der Festanstellung»,wie es im Untertitel heißt. Das Stadtmagazin «Zitty» bespöttelte dieLaptop-Kreativen in einer Titelgeschichte schon als «urbane Penner».Doch gleich, welches Etikett man wählt, der Trend ist da, wohl nichtnur in Großstädten wie Hamburg oder Berlin. «Menschen sitzen mitihren Laptops ganztägig im Café und nennen es Arbeit», haben Friebeund Lobo beobachtet. Beide sind Internet-Profis. Ihr Blog(interaktives elektronisches Journal) «Riesenmaschine.de», für dasauch Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig schreibt, erhielt kürzlicheinen Grimme-Preis.

Auch ihr Blogger-Kollege Johnny Haeusler («Spreeblick.com») glaubtan eine neue Arbeits- bzw. Lebensform. «Viele Leute werden das eherals Bedrohung sehen, aber da ich es schon immer geliebt habe, wennich selbst wählen konnte, wann und wo ich arbeite, empfinde ich dieMobilität als große Erleichterung», sagt er. Mit dem Begriff«Digitale Bohème» sei Friebe und Lobo ein «großartiger Schachzug»gelungen. «Das Buch ist klasse, die beiden wissen aber auch, dass dasniemand bemerkt hätte, wenn sie nicht einen hübschen Begriff dafürgefunden hätten.» Trendforscher Andreas Haderlein vomZukunftsinstitut (Kelkheim/Frankfurt) fasst es so zusammen:«Kommunikation wird schick. Das sieht man nicht zuletzt am (MP3-Player) i-Pod.»

Im Berliner «St. Oberholz» hat die Bohème Tradition. In den zweiGeschossen des denkmalgeschützten Hauses war in den 20er Jahren ein«Aschinger»-Lokal der Treffpunkt von Künstlern wie George Grosz undSchriftstellern wie Döblin, dessen Roman «Berlin-Alexanderplatz»quasi vor der Tür spielt. Heute kommen viele Gäste aus derGalerieszene, Musiker, Film- und Medienschaffende aber auch Berlin-Neulinge auf Wohnungssuche, erzählt Mitinhaber Ansgar Oberholz.Kunden, die sich stundenlang an einem Espresso festhalten und dasGratis-Internet ausnutzen, seien selten. «Die meisten behandeln dasfair, indem sie es über den Konsum honorieren.»

So haben viele einen Laptop als Gegenüber, ohne dabei isoliert zuwirken. Christopher (35) ist Stammgast. Der Amerikaner schreibt seineDoktorarbeit über Hegel und Aristoteles, allerdings nicht im Café,sondern zu Hause, wo er keinen Internetzugang hat. «Ich komme eherzum Zeitung lesen und E-Mail schreiben her», erzählt er. Vier Cafésmit Internetzugang kann er in wenigen Minuten von seiner Wohnung auszu Fuß erreichen. So bleibt die Arbeit bei ihm in der Wohnung, wo ernicht von Internetmagazinen wie «Slate.com» abgelenkt wird. «DieTrennung finde ich schön», sagt er. Eine Etage höher sitztLinguistik-Studentin Rebekka (25) an einem Abschlussbericht für einPraktikum. Im Café fällt es ihr leichter, sich zu konzentrieren. «Ichkann zu Hause nicht arbeiten, da ich nur putzen würde.»