Der Bierdeckel wird 100 Der Bierdeckel wird 100: Ein Stück Kultur mit falschem Namen

Weisenbach/dpa. - Für die einen ist er kaum mehr als ein Spielzeug bei allzu langweiligen Kneipenbesuchen, andere halten ihn für einen «hocheffizienten Werbeträger»: Der Bierdeckel wird 100. Ihrer ureigensten Aufgabe, dem simplen Aufsaugen von Bierschaum, ist die kleine Pappscheibe jedenfalls längst entwachsen. Elmar Hohmann, Geschäftsführender Gesellschafter der Katz GmbH im kleinen Weisenbach (Baden-Württemberg) bezeichnet sie sogar als «ein Stück europäische Bierkultur». Die Katz International Coasters GmbH & Co. KG ist Weltmarktführer in Sachen Bierdeckel.
Casimir Otto Katz begann 1903 in Murgtal am Rande des Schwarzwaldes mit der Produktion von Bierdeckeln in großem Stil. Schon damals war der Name eigentlich falsch: Denn warum heißt der Bierdeckel Deckel, wo er doch gar nichts bedeckt? Begründet sei dieser Irrtum im 19. Jahrhundert, berichtet Hohmann. Damals hatten die Bierseidel der feineren Leute Deckel aus Silber oder Zinn. Weniger betuchte Zeitgenossen tranken ihr Bier aus Krügen ohne Deckel. Und um im Freien ihr Bier dennoch vor Blättern oder Insekten zu schützen, legten viele die damals gebräuchlichen Filz-Untersetzer auf die Krüge. Im Bayerischen hält sich bis heute der Begriff «Bierfilz».
Allerdings waren diese dunkelrot oder dunkelgrün gefärbten Filze nicht gerade hygienisch. Meist waren sie feucht, beherbergten Bakterien aller Art und rochen streng. So um 1880 soll der Dresdner Robert Sputh dann Holzfilzplatten erfunden haben. Er goss Papierbrei in Formen und ließ sie über Nacht trocknen. Bald stellt sich heraus, dass diese Papierplatten sich auch bestens dazu eigneten, Bierschaum aufzusaugen. Der Vorläufer des Bierdeckels hatte einen Durchmesser von 107 Millimetern - bis heute ist das Standard.
Eine Alternativ-Vokabel zur falschen Bezeichnung Bierdeckel hat sich nie wirklich durchgesetzt. Mal wurden sie Bierteller genannt, bei Katz existieren auch Begriffe wie Getränkeuntersetzer oder das reichlich förmliche «BGU» (Bierglasuntersetzer).
40 Prozent aller Bierdeckel der Welt kommen laut Hohmann aus dem Murgtal. Die kleine Fabrik am Rande des Schwarzwaldes, in der ursprünglich Eisenbahnschwellen und Telegrafenmasten hergestellt wurden, verlassen heute täglich rund zehn Millionen Bierdeckel. Im Jahr sind es 1,4 Milliarden. Der Exportanteil liegt bei 80 Prozent. Knapp 190 Mitarbeiter bewältigen konstant 24 Millionen Euro Umsatz.
Frisches Fichtenholz eignet sich am besten. Es hat lange Fasern und gewährleiste höchste Saugfähigkeit, so Hohmann. Die Stämme werden zermalmt und zu einem Brei verarbeitet, dem dann das Wasser entzogen wird. Auf eines legt Hohmann Wert: Katz arbeite nur mit Durchforstungsholz, betont er. «Für unsere Bierdeckel ist noch kein Baum gefällt worden, der nicht ohnehin raus musste.»
Längst werben nicht mehr nur Brauereien auf den Untersetzern. Parteien, Radiosender oder Kinofilme nutzen sie als Werbeträger. «Sie sind billig und erregen große Aufmerksamkeit.» Auch die Form ist inzwischen nicht mehr nullachtfünfzehn: Es gibt Bierdeckel in den Umrissen von Australien, mit «Löffelparkplatz» für den verschmierten Kaffeelöffel oder in Form eines Blattes für Weingläser.
Sollte der Gesprächsfaden in der Kneipe reißen, lassen sich einige Luxus-Exemplare sogar zum Puzzle oder zu einem Mühle-Spiel umgestalten. Der herausbrechbare Mini-Bumerang («Fingerang») könnte jedoch an der Ordnungsliebe mancher Gastwirte scheitern. Trotzdem sind der Katz GmbH freilich solche Einweg-Deckel am liebsten. Kultur hin oder her - «am Ende eines jeden Kneipenbesuchs», sagt Hohmann, «sollte jeder Gast seinen Bierdeckel natürlich zerstören».