Computer Computer: Wikipedia wird fünf Jahre alt
Hamburg/dpa. - Unter Mithilfe aller Internet-Nutzer solltedie größte Wissenssammlung der Welt entstehen. Heute gibt esWikipedia in mehr als hundert Sprachen. Allein die deutschsprachigeVersion umfasst weit mehr als 300 000 Artikel, die englischsprachige850 000. Doch die Freude zum fünften «Wikipedia Day», wie derGeburtstag genannt wird, dürfte in diesem Jahr etwas gedämpft sein.
In den vergangenen Wochen war Wikipedia gleich wiederholt in dieSchlagzeilen geraten. Ende des vergangenen Jahres erschien einBeitrag über Bertrand Meyer, in dem der französische Informatiker fürtot erklärt worden war. Das entpuppte sich schnell als schlechterScherz eines Studenten und wurde umgehend korrigiert. Dennoch sindsolche Vorfälle ein gefundenes Fressen für Kritiker in der Diskussionum die Verlässlichkeit der populären Online-Enzyklopädie. Auch AdamCurry, MTV-Mitarbeiter und Miterfinder des Podcast (online abrufbareAudiodaten wie Radio-Sendungen), soll seine Wikipedia-Biografieanonym zu seinen Gunsten geändert haben.
Schmerzlicher dürfte Wikipedia ein anderer Eintrag getroffenhaben, der wenige Wochen zuvor für heftige Aufregung gesorgt hatte.Ein «Scherzbold» publizierte eine gefälschte Biografie desamerikanischen Journalisten John Seigenthaler. Darin brachte erSeigenthaler unter anderem mit den Morden an den Kennedy-Brüdern inVerbindung. Alles reine Erfindung, die angeblich einen Kollegen aufsGlatteis führen sollte.
«Im Alter von 78 Jahren dachte ich, ich sei darüber hinaus,überrascht oder verletzt zu sein, wenn irgendetwas Negatives übermich gesagt wird», schrieb der bekannte Journalist im Ruhestand inder Tageszeitung «USA Today». «Da lag ich falsch.» Der Rufmord imNetz traf ihn gleich doppelt, da in diesem Fall der Artikel mehr alsvier Monate lang im Web nachzulesen war. Den Beitrag unverzüglich zuentfernen und den Urheber ausfindig zu machen, soll ihm selbst mitUnterstützung von Wikipedia-Mitbegründer Wales zunächst nichtgelungen sein.
Inzwischen ist der Artikel gelöscht, und der Urheber hat sichentschuldigt. Doch Wikipedia sei bei der Verbreitung von solchenGerüchten wie ein Federkissen, schreibt Seigenthaler. Seien dieFedern einmal in alle Winde zerstreut, sei es unmöglich, sie wiederin das Kissen hinein zu bekommen.
Die viel gerühmten Selbstheilungskräfte, die Idee, dass dieArtikel automatisch reifen, da Fehler schnell gefunden und von jedemNutzer korrigiert werden können, haben zumindest zeitweise im FallSeigenthaler ausgesetzt. Für den englischsprachigen Raum hatWikipedia deshalb Konsequenzen gezogen und erlaubt es nur nochangemeldeten Nutzern, neue Artikel anzulegen. Korrigieren kannallerdings weiterhin jeder, der sich dazu berufen fühlt.
In einem im Internet veröffentlichten Aufsatz zog vor einiger Zeitder Autor und ehemalige Chefredakteur der Encyclopaedia Britannica,Robert McHenry, über die freie Online-Konkurrenz her und verglichWikipedia mit einer öffentlichen Toilette. «Sie kann zum Beispielschmutzig sein, so dass der Besucher mit großer Vorsicht handelt»,schreibt McHenry. Eine augenscheinlich saubere Toilette wiege ihndagegen in falscher Sicherheit. «Wer den Ort vor ihm genutzt hat,weiß er sicherlich nicht.»
Trotz aller Skandale und Diskussionen bleibt die inzwischen vondem gemeinnützigen Verein Wikipedia Foundation betriebeneEnzyklopädie eine Erfolgsgeschichte im Internet. Offiziell fürchtendie großen Enzyklopädie- und Lexikon-Verlage ihre Verbreitung nichtund verweisen auf die Seriosität und verbriefte Korrektheit derEinträge in ihren Traditionswerken.
Doch neben dem Grimme Online Award in diesem Jahr in Deutschlandhat Wikipedia erst kürzlich eine weitere Auszeichnung erhalten. MitteDezember stellte das britische Wissenschafts-Journal «Nature» dieQualität der Einträge fast auf die gleiche Stufe wie die derEncyclopaedia Britannica. Das Fachmagazin hatte Experten ausgewählteund ungekennzeichnete Artikel aus beiden Werken vergleichen lassen.Bei Wikipedia fanden die Prüfer durchschnittlich vier Fehler proArtikel, bei der Encyclopaedia Britannica drei. Ihr Fazit: In SachenQualität liegen beide nahezu gleichauf.