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Brand auf Adria-Fähre "Norman Atlantic" Brand auf Adria-Fähre "Norman Atlantic": Passagiere berichten von Panik und Schlägereien an Bord

29.12.2014, 05:20
Ein geretteter Passagier der „Norman Atlantic“
Ein geretteter Passagier der „Norman Atlantic“ afp Lizenz

Athen - „Es ist jetzt nur noch der Kapitän da, der wie alle guten Kapitäne als Letzter von Bord geht“, sagt Italiens Regierungschef Matteo Renzi. Viele atmen auf. Die Evakuierung der havarierten Adria-Fähre „Norman Atlantic“ ist nach etwa 36 Stunden vorbei. Es war ein langer Kampf, den mindestens zehn Menschen verloren haben. An Bord der brennenden Adria-Fähre müssen fürchterliche Zustände geherrscht haben. Und auch am Montag ist der Verbleib aller 478 Menschen, die auf der Passagierliste standen, nicht endgültig geklärt. Wie viele wirklich auf dem Schiff waren, wissen die Behörden nicht. Klar scheint, dass 427 gerettet wurden.

Nach Angaben des griechischen Ministers für Handelsschifffahrt, Miltiadis Varvitsiotis, sind auch Menschen gerettet worden, die nicht auf der Passagierliste standen. Wie Varvitsiotis am Montag im Fernsehsender Mega sagte, waren ungefähr zwanzig Unbekannte unter den Geretteten, die eine griechische Militärmaschine im italienischen Bari aufnehmen sollte. Griechenland habe eine komplette Liste mit den Namen der geretteten Personen beantragt.

Panik unter den Passagieren

Panik und Schlägereien brachen unter den Hunderten Passagieren aus, die eine gefühlte Ewigkeit auf Hilfe warten mussten. „Man wollte Kindern, älteren Menschen und Frauen Vorrang bei der Rettung geben“, sagt die griechische Sopranistin Dimitra Theodossiou, die auch an Bord war, der Zeitung „La Repubblica“. Aber einige Männer hätten sich nicht darum geschert, „sie schlugen uns und schoben uns weg, um sich als erste in Sicherheit zu bringen“. Sie hat es geschafft, der Hölle auf hoher See zu entkommen.

Passagiere erzählen von dem Chaos, nachdem am Sonntag vor der griechischen Insel Korfu ein Feuer ausgebrochen war. „Man hat uns keine Anweisung gegeben. Es gab nur einen einzigen Notausgang auf Deck 6 in Richtung Bug. Es herrschte dort absolute Panik wegen des Gedränges. Es gab keinerlei Koordination, niemand hat die Leute beruhigt“, sagt etwa Rania Thireou im griechischen Fernsehen. „Das größte Rettungsboot für 150 Menschen war mit nur 60 Leuten besetzt. Das Personal war praktisch nicht vorhanden.“ Zudem sei das Schiff der griechischen Linie Anek Lines in letzter Minute ausgewechselt worden. „Wir fühlten uns, als ob wir auf einem Schiff in der Dritten Welt reisen sollten.“

Andere erzählen von ihrer Verzweiflung. „Mein Mann und ich sind mehr als vier Stunden im Wasser gewesen. Ich wollte ihn retten, habe es aber nicht geschafft“, erzählt die Frau eines Todesopfers, Teodora Douli. Ein Elfjähriger liegt im Krankenhaus von Copertino in Süditalien und wartet auf Nachrichten von seinem Vater. „Geht es Papa gut? Wo ist er? Wann holt er mich ab“, fragte Marco Journalisten.

Meterhohe Wellen behinderten Bergung

Große Probleme bereitete den Helfern das Wetter. Bei meterhohen Wellen kann kein anderes Schiff an die „Norman Atlantic“ anlegen und die Menschen von Bord holen. Zu groß wäre das Risiko, dass beide Schiffe einen folgenschweren Schaden davontragen. Der griechische Schifffahrts-Experte Giorgos Margetis sagte im Fernsehen, bei dem Unfall seien mehrere unglückliche Umstände zusammengekommen. „Zunächst das Feuer, das sich ausgesprochen schnell ausgebreitet hat. Feuer ist das Schlimmste, was auf einem Schiff passieren kann. Dazu hatten wir extrem schlechtes Wetter, bis Windstärke zehn. Das passiert auf unseren Meeren vielleicht zwei, drei Mal im Jahr.“

Für Hubschrauber ist das eine Herausforderung. „Die Flammen zu überfliegen, ist keine leichte Sache“, sagte der Ex-General der italienischen Luftwaffe, Vincenzo Camporini. „Zudem macht es die Sache noch komplizierter, wenn sich so viele Institutionen koordinieren müssen.“

Medien spekulierten über Abstimmungsprobleme zwischen den Ländern. So soll Griechenland zum Beispiel favorisiert haben, dass die „Norman Atlantic“ ins nähere Albanien geschleppt werde. Doch dies sollen die Italiener, die das Kommando bei der Operation haben, nicht unterstützt haben. Bei der Abschleppaktion riss dann zu allem Überfluss noch ein Tau und hielt die Retter weiter auf.

Was an Bord wirklich geschehen ist, wird sich später zeigen. Die Staatsanwaltschaften in Bari und Brindisi leiteten Ermittlungen wegen fahrlässigen Schiffbruchs und fahrlässiger Tötung ein. Geprüft werden müssen auch Vorwürfe, wonach bei der „Norman Atlantic“ Mängel festgestellt worden waren und dass das Autodeck überfüllt war.

Die Kabinen reichten nicht aus

Eine Lkw-Fahrerin, die zusammen mit weiteren 42 Geretteten von Bari nach Athen ausgeflogen worden war, sagte griechischen Medien: „Drei meiner Kollegen sind umgekommen“. Die Trucker hätten in der Fahrerkabine geschlafen. Niemand habe die Passagiere rechtzeitig alarmiert. Ähnlich hatte sich zuvor der Lkw-Fahrer Christos Pergis geäußert: „Ja, es gab Kollegen, die im Truck geschlafen hatten, weil es nicht genug Kabinen gab“, sagte er.

Über die Ursache des Brandes auf dem Schiff wurde weiter spekuliert. Möglicherweise waren Laster überladen. Lkw-Fahrer berichteten in griechischen Medien, dass einige Fahrzeuge Olivenöl geladen hätten und dass das Fahrzeugdeck überladen gewesen sei. Ein Funke könne da schnell einen Brand auslösen.

Bei einer Kontrolle sollen Mängel auf dem Schiff festgestellt worden sein, unter anderem an Sicherheitstüren und bei der Beleuchtung. Der Schiffsbauingenieur Giorgos Margetis sagte dem griechischen Sender Skai, die Schäden könnten aber nicht gravierend gewesen sein - andernfalls wäre die „Norman Atlantic“ am Auslaufen gehindert worden. Die Reederei hatte betont, dass das Schiff fahrtüchtig gewesen sei.

In Italien wecken die Schilderungen schmerzhafte Erinnerungen an die Havarie der „Costa Concordia“ im Januar vor drei Jahren. Damals fuhr der Kreuzer mit mehr als 4200 Menschen auf einen Felsen vor der Insel Giglio, 32 Menschen starben. Dem Kapitän Francesco Schettino wird derzeit der Prozess gemacht. „So etwas überwindet man nie“, sagt Chiara Castello, Opfer der Concordia-Katastrophe, der Zeitung „La Repubblica“. „Ich denke an die Armen auf dem Schiff...Diese Tragödie wird sie ein Leben lang begleiten.“(dpa, afp)

Die Retter bringen die Passagiere zum Otranto Hafen im Süden Italiens.
Die Retter bringen die Passagiere zum Otranto Hafen im Süden Italiens.
AP Lizenz