Berlin Berlin: Essen wie die Flintstones

Berlin/dpa. - Die Überreste eines wilden Tieres sind an einerWand zu Stein geworden. Über der Tür prangt ein Geweih. Auf dem Tischdarunter steht eine Schieferplatte mit Fleisch-Spießen. Eine Kerzeflackert. Wer bei diesem Anblick glaubt, sich in die Küche derFlintstones verirrt zu haben, der liegt nicht ganz falsch: ImBerliner Restaurant «Sauvage» kommt nur das in den Topf, was bereitsden Steinzeit-Menschen geschmeckt hat. Angeblich sollen dadurch sogardie Pfunde purzeln.
«Wir nehmen nur Zutaten, von denen man glaubt, dass es sie auch inder Steinzeit schon gegeben hat», sagt Boris Leite-Poço. Seit gutzwei Monaten betreibt er das «Sauvage» im Stadtteil Neuköllngemeinsam mit Ehemann Rodrigo. Beide ernähren sich streng nach demSpeiseplan unserer prähistorischen Vorfahren. - Zucker, Nudeln, Reis,Kartoffeln und Brot sind tabu. Paläolithisch heißt diese Form derErnährung. Auch bekannt als Steinzeit-Diät.
«Ich esse sehr viel und nehme trotzdem ab», sagt Leite-Poço. Der27-Jährige ernährt sich seit zwei Jahren paläolithisch. «Seitdem binich nicht mehr krank gewesen.» Die «Steinis» erklären sich das so:Der menschliche Körper ist genetisch auf die Steinzeit-Kost getrimmt.Spätere Erzeugnisse wie Brot und Milch kann er daher nur schlechtverarbeiten. Die Folge: Wir werden dick und krank.
Gesund durch Mammut-Steak und Dino-Hüfte? Nicht ganz. DieSpeisekarte liest sich modern: Lammkeule in Rosmarin-Ingwer-Butter,ein Eier-Wrap mit Schalotten-Tomaten-Sauce und sogar einNuss-Sesam-Kuchen stehen darauf - ohne raffinierten Zucker undBackpulver, versteht sich. Während die Steinzeit-Diät vor allem inden USA bereits prominente Anhänger wie Tom Jones gefunden hat, istsie in Deutschland noch relativ unbekannt.
Das «Sauvage» ist nach Angaben der Betreiber das einzigeSteinzeit-Restaurant Europas. Zwar wird etwa im Prager Restaurant«Pravek» (Steinzeit) stilecht über dem Feuer und in Höhlen-Atmosphäregekocht. Dafür ist die Speisekarte mit Kartoffeln und Käse wenigsteinzeitlich. In London gibt es ein Lokal mit paläolithischenGerichten, wie Leite-Poço sagt. Dort würden jedoch auch andereSpeisen angeboten. Bundesweit sind beim Deutschen Hotel- undGaststättenverband keine prähistorischen Schlemmer-Höhlen bekannt.
In der Küche des «Sauvage» bereitet Kawan Lotfi Knäckebrot zu -ohne Getreide, nur mit Gemüse. Auch der 26 Jahre alte Küchenhelferhat seinen Speiseplan an den von Fred Feuerstein angepasst. «Früherfiel es mir schwer, auf Eiscreme und Süßigkeiten zu verzichten», sagter. «Jetzt habe ich kein Bedürfnis mehr nach diesem hochsüßen Zeug.»
Auf manche Errungenschaften der Zivilisation will Lotfi jedochnicht verzichten. Mikrowelle auf, Steinzeit-Knäckebrot rein. Statteines lodernden Feuers, glüht im «Sauvage» der Elektroherd. Wenn esdie Höhlenmenschen damals auch nur so leicht gehabt hätten. «Es gehtuns nicht darum, zu imitieren, wie der prähistorische Mensch gekochthat, sondern zu gucken, was gesund ist», sagt Betreiber Leite-Poço.«Paläo» sei «eigentlich keine Diät, sondern eine Lebensart».
Eine Lebensart, bei der man sich jedes Körnchen Getreideverkneifen muss, sehen Ernährungswissenschaftler zumindest skeptisch.«Ein Anteil an Getreide muss nicht per se negativ sein», sagtAlexander Ströhle von der Universität Hannover. Am Institut fürLebensmittelwissenschaft und Humanernährung forscht er auch über dieSteinzeit-Diät. Unser Körper habe nicht mehr dieselben Bedürfnissewie vor zwei Millionen Jahren, sagt er.
«Von der Nährstoffdichte kann es aber durchaus eine gute Ernährungsein», sagt der Experte. «Nur die Begründung ist nicht plausibel.»Von ihrer Ernährung hätten sich unsere Vorfahren nämlich ganz andereEffekte erhofft, als ihre Nachahmer. «Das, was daran heute funktionalist - das Abnehmen - war in der Steinzeit gar nicht wünschenswert.»