Berlin Berlin: Am 28. Mai geht die Großbaustellen-Ära zu Ende

Berlin/dpa. - Künftig können Reisende aus allen vier Himmelsrichtungen inBerlin am selben Bahnhof ankommen - das erste Mal in der langenEisenbahngeschichte der Stadt.
Von der südlichen Freitreppe des Bahnhofs fällt der Blick derReisenden künftig wie von einem Hügel auf das neue Hauptstadt-Panorama. Vom Potsdamer Platz schweifen die Blicke über den Reichstagund das Bundeskanzleramt hinweg bis zum Spreebogen. Schon fastvergessen ist die Zeit, als das Brandenburger Tor in einem Radius vonzwei Kilometern von hohen Kränen und tiefen Baugruben umzingelt war.
Was für ein Kraftakt hinter dem neuen Berliner Bahnhofssystemsteht, können wohl nur Männer wie der technische Projektleiter HanyAzer nachfühlen. «Das sind zehn Jahre meines Lebens», sagt derIngenieur aus Ägypten. Azer hat während der Bauzeit Arbeiterkolonnenaus 30 Nationen dirigiert und manchmal sehr einsame Entscheidungengetroffen. Er hat einen Herzinfarkt erlitten und sich das Rauchenabgewöhnt. Nun schwingt der Stolz auf das Geleistete mit, wenn erüber die neuen Berliner Bahnhöfe spricht wie über herangewachseneKinder. «Nur Herr Mehdorn hat mir vertraut», sagt Azer. Dann klingeltsein Handy, es ist die Baustelle, das Handy klingelt Tag und Nacht.
Im Eisenbahntunnel hat die technische Abnahme gerade begonnen. ImMärz sollen hier die ersten Testzüge fahren, unter der Spree und demRegierungsviertel hindurch bis hinter den Potsdamer Platz.Oberirdisch ist das Nord-Süd-Glasdach fertig eingeschoben, nun werdendie Bahnhofshallen auf fünf Ebenen fertig ausgebaut. Es soll hiereinmal sehr lebendig werden: Die Bahn rechnet mit 300 000 Passagierenund Besuchern am Tag. 160 Fernzüge, 310 Regionalzüge und 800 S-Bahnenhalten dann täglich am «Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof».
Es soll weit mehr sein als ein Bahnhof: Zwischen denSchienensträngen erstreckt sich auf drei Ebenen ein 15 000Quadratmeter großes Einkaufszentrum. Da das Ladenschlussgesetz hiernicht gilt, können die Geschäfte auch sonntags öffnen. Fast alleLäden seien bereits vermietet, sagt Michael Baufeld, Sprecher derBahn-Projektbau. Nur die beiden Hochhäuser, die den Bahnhof säumen,werden erst 2007 bezugsfertig.
Für die Berliner und Touristen endet nach der Bahnhofseröffnungdie Ära des Baustellen-Guckens. Nach der Vollendung des PotsdamerPlatzes 1998 war es wohl auf keiner anderen Baustelle so spannend wieam Hauptbahnhof. Für die «Kathedrale des Verkehrs» nach den Plänendes Architekten Meinhard von Gerkan wurde nicht nur die Spreeumgeleitet. In den riesigen Baugruben betonierten Taucher anfangsunter Wasser. Für den Eisenbahntunnel fraß sich ein Schildvortriebmit neun Metern Durchmesser durch den Berliner Untergrund.
Auch beim Bau des riesigen Glasdaches hat es bis zuletzt nicht anspektakulären Ingenieurleistungen gefehlt. Dass im Bahnhof über dieJahre hinweg eine halbe Million Kubikmeter Beton verbaut wurde -ausreichend für 65 Kilometer Autobahn -, nahmen die Berliner bald nurnoch achselzuckend zur Kenntnis. Auf dieser Baustelle schien nichtsunmöglich.
500 Millionen Mark sollte der Bahnhof nach den Berechnungen ausden frühen 90er Jahren kosten. Drei Jahre Bauzeit, hieß es zuerst.Doch der Koloss wuchs viel langsamer als in der Euphorie derNachwendezeit geplant, und er wurde auch immer teurer. Es folgtenauch die ersten Wermutstropfen. Die Bahn ließ das filigrane, gläserneOst-West-Dach, das sich 420 Meter lang erstrecken sollte, auf 321Meter Länge zusammenkürzen. Im Herbst 2005, als das Unternehmen auchdie kathedralenartige Decke des Untergeschosses durch einekostengünstigere Flachdecke ersetzen ließ, platzte dem Architektender Kragen. Von Gerkan verklagte die Bahn wegenUrheberrechtsverletzung. Das Urteil steht noch aus.
Seit dem Ende der 90er Jahre war auch abzusehen, dass der neueBahnhof für Berlin viel zu groß gerät. Berlin wuchs nicht auf dieerwarteten fünf Millionen Einwohner an. Es schrumpfte vielmehr auf3,4 Millionen Hauptstädter zusammen. Nun rettet sich die Bahn mit demArgument, der Bahnhof sei für die nächsten 50 Jahre gebaut.
Kritiker des Hauptbahnhofs sind nicht verstummt. Denn noch ist dieAnbindung des Bahnhofs an die Stadt mit Tram, Bus und U-Bahn allesandere als perfekt. Zudem hält am nahen Bahnhof Zoo künftig kein=Fernzug mehr. Die städtebauliche Brache rund um den Bahnhof ist kaumzu übersehen. Die Bahn gibt sich dennoch optimistisch. «DerHauptbahnhof wird nicht lang allein bleiben», glaubt Michael Baufeld.