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Künstliche Intelligenz Angriff der Kunstgehirne - Revolution mit dem Vorschlaghammer

Die nächste Revolution kommt aus gigantischen Serverfarmen, sie wird die Wirtschaft umstülpen und die Berufswelt verändern. Im Netz können KI-Modelle ausprobiert werden.

Von Steffen Könau Aktualisiert: 08.03.2025, 13:04
Mit seinem bizarren Gaza-Video zeigte US-Präsident Donald Trump unabsichtlich, was Künstliche Intelligenz heute schon alles kann.
Mit seinem bizarren Gaza-Video zeigte US-Präsident Donald Trump unabsichtlich, was Künstliche Intelligenz heute schon alles kann. Screenshots Truth Social/ Könau

Halle/MZ. - Donald Trump liegt am Strand, ausgestreckt auf einer Liege, einen Cocktail auf dem nackten Bauch. Neben ihm lacht ein Mann, der aussieht wie Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Ins Bild kommt auch ein pizzaschmatzender Tesla-Chef Elon Musk, der Vorschlaghammer, mit dem der alte und neue US-Präsident das zertrümmert, was er für aufgeblähte staatliche Strukturen hält.

Bärtige Bauchtänzer

Die Kameraperspektive wechselt. Bärtige Bauchtänzer schwingen die Hüften. Nächster Schnitt. Es regnet Geld vom Himmel. Nächster Schnitt: Eine himmelhohe goldene Trump-Statue. Eine Rapperin singt dazu „Trump Gaza leuchtet hell, Trump Gaza ist Nummer eins, eine goldene Zukunft, ein brandneues Leben.“ Wolkenkratzer kommen in Sicht. Breite Strände, Menschen im Glück.

So sieht sie aus, die Realität, die es nicht gibt. Jedes einzelne Pixel in dem 33-sekündigen Video, das der US-Präsident auf seiner Kurznachrichtenplattform Truth Social verbreitet hat, entstammt den Berechnungen einer Künstlichen Intelligenz. Den Film zu „drehen“, brauchte es weder Kulissen noch Schauspieler, keine Kameras, keine Statisten und weder Regisseur noch Maske.

Regieanweisungen aus Text

Wer genau und mit Hilfe welcher KI Trumps Video erstellt hat, ist nicht bekannt. Sicher ist aber: Auf Filme spezialisierte sogenannte „Sehr große Sprachmodelle“ wie das gerade für europäische Anwender freigeschaltete Sora von Open AI, Googles Veo oder Qwen vom chinesischen Internetriesen Alibaba brauchen nur Regieanweisungen aus Text, um daraus bewegte Bilder zu machen.

Vor nicht einmal zwei Jahren noch vollkommen undenkbar. Damals galt es noch als ganz erstaunliches Wunderwerk, dass der von Open AI vorgestellte Chatbot ChatGPT in der Lage war, nur aufgrund einer verbalen Beschreibung fast lebensechte Fotos zu produzieren. Kleine Fehler inbegriffen: Die ersten Bildgeneratoren Midjourney, DALL-E oder DeepAI hatten eine Vorliebe für sechs Finger pro Hand. Auch gerieten ihnen die Proportionen zuweilen außer Kontrolle.

Wer die KI Grok bittet, sich selbst beim Anfertigen eines Selfies während eines Waldspaziergangs zu zeigen, bekommt dieses Ergebnis.
Wer die KI Grok bittet, sich selbst beim Anfertigen eines Selfies während eines Waldspaziergangs zu zeigen, bekommt dieses Ergebnis.
Foto: Grok, Prompt Könau

Halluzinationen der Computerintelligenz

Diese Halluzinationen der Computerintelligenz sorgten für viel Spott. Weil die Sprachmodelle zudem schnell unter Beweis stellten, dass sie als Suchmaschinen kaum weniger Fehler machten, wurde aus der Bewunderung des Quantensprungs in der Entwicklung von eigenständig arbeitenden Rechnersystemen schnell das Gefühl, KI – im Englischen Artificial Intelligence und deshalb „AI“ – sei eine Art teures Spielzeug für Computerfreaks, das letztlich zu nichts wirklich zu gebrauchen ist.

Ein Irrtum. Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug, das sich gerade erst anschickt, eine Revolution auszulösen. Die wird weit über fast echte Fotos, bizarre Kurzfilme und Bücher hinausgehen, die nicht von menschlichen Autoren, sondern nach menschlichen Anweisungen von Kunsthirnen geschrieben werden. Ohne es zu bemerken, nutzt fast jeder heute bereits KI-Dienste: Wer sein Handy mit dem Fingerabdruck oder per Gesichtserkennung entsperrt, ist dabei. Wer eine Wetter-App öffnet, um die Regenwahrscheinlichkeit zu überprüfen, oder bei Google Maps eine Route plant, dem hilft im Hintergrund ein großes Sprachmodell.

Lernt beständig dazu

Das denkt nicht wirklich, lernt aber beständig dazu, indem es seine Fähigkeiten perfektioniert, Muster zu erkennen. Aufgaben, im KI-Bereich „Prompt“ genannt, werden dazu nach einem Algorithmus, der sich beständig selbst perfektioniert, nach Wahrscheinlichkeitsregeln bearbeitet. Die KI gibt nicht wie die Google-Suche eine richtige Antwort. Sondern die, die sie als am wahrscheinlichsten zutreffend errechnet hat.

Im Unterschied zu einfachen Chatbots, wie sie seit Jahren etwa in Callcentern im Einsatz sind, greift KI dabei nicht auf einen begrenzten Vorrat an vorgegebenen Antworten zurück. Sondern sie denkt sich die passende Antwort tatsächlich selbst aus. Auf dieselbe Weise erledigen Googles Gemini, ChatGPT, Grok von X oder die neue chinesische KI Deepseek auch alle anderen Aufgaben: Den Inhalt langer Texte kurz zusammenfassen. Aus kurzen Stichpunkten ein Urlaubstagebuch schreiben. Einen fremdsprachigen Artikel ins Deutsche übersetzen. Oder am Fließband Kugellager prüfen, Eier auf ihre Qualität checken und in der Radiologie Röntgenaufnahmen analysieren.

KI ersetzt Fachkräfte

In den USA wie in China werden die Möglichkeiten der neuen Technologie vor allem als Chance gesehen, in Europa hingegen als Gefahr. Während in den USA und in China KI-gelenkte Autos längst Hunderttausende Fahrgäste transportieren, beklagt Deutschland einen wachsenden Mangel an Fachkräften, die Busse und Straßenbahnen lenken können.

Aus demselben Grund waren die neuesten KI-Modelle etwa zur Videoproduktion in Deutschland bisher nicht verfügbar. Die Anbieter scheuen davor zurück, eigene Versionen für den europäischen Markt anzubieten, die der strengen KI-Gesetzgebung der EU gerecht werden. Europa kommt so oft zuletzt dran, wie jetzt bei Sora. Dennoch finden sich unter der Vielzahl der im Internet bereitstehenden KI-Werkzeuge nicht nur für jeden Zweck passende Angebote, sondern sogar viele, die kostenlos ausprobiert werden können. So verlangt Googles Gemini nur eine Anmeldung per Mail, ebenso handhabt es Microsoft mit seinem Copiloten.

Grok von Elon Musks Firma xAI verzichtet sogar darauf, genauso wie Deepseek aus China und das von Amazon-Chef Jeff Bezos mitfinanzierte Unternehmen Perplexity. Nicht alle diese Kunsthirne können alles, so erstellen nur einige von ihnen lebensechte Fotos. Sowohl Grok als auch Adobe und Leonardo.ai helfen hier weiter. Sogar Videos lassen sich kostenfrei erstellen − Alibabas Qwen hilft. Allerdings nur, wenn der Roboter nicht gerade überlaufen ist.

Buchtipp zum Thema: Prompting like a Pro, Prompts für die Praxis, Peter Huber, Haufe-Verlag, 128 Seiten, 14,99 Euro