Aids-Behandlung Aids-Behandlung: HIV-Erreger ist bei Kind verschwunden

Washington/MZ - Die Frau wusste nichts von ihrer Infektion. Auch die Ärzte waren ahnungslos, als die Schwangere im Herbst 2010 ein Krankenhaus im US-Bundesstaat Mississippi aufsuchte, weil die Wehen bereits eingesetzt hatten. Eine Routine-Untersuchung brachte schließlich Gewissheit. Die Frau war HIV-infiziert - und die Ärzte standen vor einem Problem. Denn normalerweise werden in den USA seit ungefähr 15 Jahren alle Frauen, die das Virus während der Schwangerschaft in sich tragen, vorsorglich mit Medikamenten behandelt, um ein Überspringen der Infektion auf das ungeborene Kind zu verhindern. Das aber ging jetzt nicht mehr.
Behandlung sofort nach der Geburt
Die Mutter sei kurz davor gewesen, das Kind zur Welt zu bringen, sagte Hannah Gay, Kinderärztin an der Universitätsklinik von Jackson. Man habe der Frau keine Medikamente gegen die HIV-Infektion mehr geben können, um das Kind zu schützen. Also entschieden sich die Ärzte, das Kind bereits 30 Stunden nach seiner Geburt mit antiviralen Mitteln zu behandeln - obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher wussten, ob das kleine Mädchen infiziert war oder nicht. Das lässt sich bei Neugeborenen gewöhnlich erst nach sechs Wochen feststellen und ist überdies selten. Pro Jahr werden wegen der regelmäßigen Behandlung der infizierten Schwangeren nur rund 200 Fälle einer Übertragung des Virus im Mutterleib in den USA registriert.
Die ungewöhnliche Behandlung führte in Mississippi zu einem ungewöhnlichen Ergebnis, wie jetzt Forscher anlässlich eines Aids-Kongresses in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia erklärten: Im Blut des Mädchens, dessen Identität die Ärzte bislang nicht bekannt gegeben haben, fanden sich bereits 29 Tage nach Geburt und Behandlungsbeginn keine Hinweise mehr auf das Virus - obwohl in den drei Wochen zuvor alle Tests positiv ausgefallen waren.
Und es wurde noch ungewöhnlicher: Das Virus blieb über die nächsten anderthalb Jahre verschwunden. Als ihr Kind ein Jahr alt war, erschien die Mutter immer öfter nicht zu Behandlungsterminen und blieb schließlich einige Monate später der Klink ganz fern. Das Kind bekam keine Medikamente mehr. Erst als das Mädchen 23 Monate alt war, kam die Mutter wieder - und die Kinderärztin Hannah Gay fürchtete bereits, das Virus könnte erneut aufgetaucht sein. Doch Testergebnisse zeigten wiederum keine ernstzunehmenden Hinweise auf eine Infektion. „Das hat mich schon sehr überrascht“, sagte Gay. Heute ist das Mädchen zweieinhalb Jahre alt, hat seit einem Jahr keine Medikamente mehr bekommen, und der Erreger ist immer noch weitgehend verschwunden. Die Restmenge an Viren könne das Immunsystem des Kindes ohne medikamentöse Behandlung verkraften, hieß es.
Keine Viren-Depots
Offenbar habe die sehr frühe Behandlung dazu geführt, dass sich bei dem Baby keine schwer zu behandelnden Viren-Depots bilden konnten, sagte jetzt Deborah Persaud von der Uni-Klinik in Baltimore im Bundesstaat Maryland, die Hauptautorin eines wissenschaftlichen Berichts über den Fall. Bei den meisten HIV-positiven Menschen bleibt der Erreger in so genannten Schläferzellen und bricht wenige Wochen nach Beendigung der anti-viralen Behandlung wieder aus. Dieses Mal sei es aber offensichtlich zum ersten Mal gelungen, ein Neugeborenes von einer HIV-Infektion praktisch zu heilen, sagte Persaud.
Der „Berliner Patient“
Wenn das zutrifft, dann wäre das Mädchen aus Mississippi überhaupt erst der zweite Fall einer Heilung weltweit. Als bislang einziger Mensch galt der US-Amerikaner Timothy Brown, der als der sogenannte „Berliner Patient“ in die Geschichte der Medizin eingegangen ist. Der HIV-positive Brown hatte sich 2007 in der deutschen Hauptstadt wegen Leukämie behandeln lassen. Nach einer Stammzell-Transplantation ließen sich die Aids-Erreger auch einige Jahre danach nicht mehr nachweisen, so Wissenschaftler, die Brown als geheilt bezeichneten.
Ob der Fall des Mädchens aus dem Süden der USA ebenfalls in diese Kategorie gehört, ist noch unklar. Während einige Forscher bereits glauben, dass sich die Zahl der HIV-infizierten Neugeborenen in Zukunft drastisch senken lassen wird, sind andere Experten skeptisch. Es fehle noch der letzte Beweis, dass das Baby aus Mississippi tatsächlich infiziert gewesen sei, als es zur Welt kam, sagte etwa Daniel Kuritzkes, Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten.
