"Zwölf Stämme" "Zwölf Stämme": Sekte züchtigt Kinder mit Schlägen

Ansbach/Nördlingen/Dolchau/dpa/MZ - Unter ungewöhnlichen Bedingungen haben die Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“ begonnen. Wegen der Prügelvorwürfe wurden am Freitag zunächst beim Amtsgericht Ansbach in Bayern fünf Elternpaare und ihr Anwalt gehört. In dem nichtöffentlichen Verfahren wurden auch per Videoschalte Aussteiger zu den Erziehungspraktiken der Sekte als Zeugen vernommen. „Die sechs Aussteiger halten sich während ihrer Aussage an einem geheimen Ort auf“, berichtete Amtsgerichtsdirektorin Gudrun Lehnberger.
Jungen und Mädchen geschlagen
Ehemalige Sektenmitglieder hatten darüber berichtet, dass Jungen und Mädchen bei der Sekte geschlagen werden. In der vergangen Woche hatten deshalb auf Anordnung des Gerichts mehr als 100 Polizisten die Kinder aus den zwei deutschen Gemeinschaften der „Zwölf Stämme“ geholt und an Pflegefamilien übergeben. Für 40 Kinder und Jugendliche gilt ein vorläufiger Entzug des Sorgerechts.
Das Ansbacher Amtsgericht verhandelt nun über den Sorgerechtsentzug für zehn Kinder. „Alle Eltern fordern die Aufhebung der gerichtlichen Beschlüsse“, sagte Lehnberger. Wann der Richter über die Anträge entscheidet, sei noch unklar. Am kommenden Mittwoch starten die Verfahren wegen der weiteren 30 Kinder beim Amtsgericht Nördlingen.
Die umstrittene Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“ ist in den 1970er Jahren in den USA entstanden. Als ihre wichtigsten Werte nennen die radikalen Christen Liebe, Ehrfurcht vor Gott, Familie und Freundschaft. „Unsere Liebe füreinander durchbricht die Barrieren von Nationalität, Hautfarbe, Kultur und sozialer Herkunft“, heißt es auf der Homepage. Kritiker allerdings sehen in der Gemeinschaft eine Sekte, die straff hierarchisch organisiert ist. Mit den Behörden gibt es seit Jahren Ärger.
Schon im vorigen Jahr waren in Medien Vorwürfe ehemaliger Schüler laut geworden, dass Kinder geschlagen würden. Daraufhin wurden Behörden aktiv. Die Mitglieder der Gruppe weigern sich außerdem, ihre Kinder in eine staatliche Schule zu schicken, um sie nach eigener Aussage von Alkohol, Drogen und Gewalt fernzuhalten. Einer „privaten Ergänzungsschule“ in Bayern hatten die Behörden im Sommer die Genehmigung entzogen. Grund war der offizielle Ausstieg des einzigen staatlich anerkannten Lehrers.
Rund 2000 Mitglieder weltweit zählen die „Zwölf Stämme“ derzeit nach eigenen Schätzungen.
Bereits seit langem gibt es Vorwürfe gegen die „Zwölf Stämme“, dass sie ihre Kinder auch mit Schlägen züchtigen. Es geht um Kinder und Jugendliche im Alter von wenigen Monaten bis 17 Jahre, die bislang in den Gemeinschaften der Sekte im mittelfränkischen Wörnitz und auf dem schwäbischen Gutshof Klosterzimmern in Deiningen lebten.
Das Gericht hat den Eltern das Sorgerecht weitgehend entzogen, weil nach den bisherigen Erkenntnissen „die konkrete Gefahr bestand, dass es zu einer erheblichen Schädigung der Kinder kommen würde, wenn diese bei ihren Eltern verbleiben würden“. Die „Zwölf Stämme“ sind insbesondere in den USA vertreten. Die Gerichte schauen sich deshalb auch das englischsprachige Kindererziehungs-Handbuch der Sekte an. Dort gehe es in einem Kapitel auch um die „die Züchtigung der Kinder mit der Rute“, berichtete Lehnberger.
Beim Amtsgericht Nördlingen liegen wegen der „Zwölf Stämme“ insgesamt 17 Verfahren. „Das wird ein bis zwei Wochen dauern“, berichtete Direktor Helmut Beyschlag über die bevorstehenden Elternanhörungen. Trotz aller Eilbedürftigkeit dieser Familienverfahren müsse der normale Betrieb des Gerichts weitergehen.
Die „Zwölf Stämme“ haben die vorläufige Gerichtsentscheidung zum teilweisen Sorgerechtsentzug scharf kritisiert. Auf der Homepage der Gemeinschaft wird die Polizeiaktion in Klosterzimmern und Wörnitz als „staatlicher Kinderraub“ bezeichnet. Wegen der Prügelvorwürfe ermittelt auch die Staatsanwaltschaft gegen Mitglieder der Sekte. Ein erstes Ermittlungsverfahren war vor wenigen Wochen zunächst eingestellt worden.
Eine Entscheidung über das Sorgerecht wollte das Amtsgericht Ansbach am Freitag nicht mehr treffen, wie die Direktorin mitteilte. Die Anhörungen der Eltern dauerten am Abend noch an. Am Montagvormittag werde per Pressemitteilung der Sachstand mitgeteilt.
Sekte bewohnte Haus in Sachsen-Anhalt
Auch in Sachsen-Anhalt hatte die Glaubensgemeinschaft mit zehn Kindern ein Haus in der Altmark-Gemeinde Dolchau bewohnt. Wie der MDR berichtete, haben nach Informationen von Anwohnern alle Mitglieder der Sekte einschließlich der Kinder den Ort offenbar in Richtung Tschechien verlassen. Ein Polizei-Sprecher sagte dem Sender, es gebe keine Vermissten-Anzeige und deshalb keine Ermittlungen.