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Zast in Halberstadt Zast in Halberstadt: Holzhäuser statt Zelte für Flüchtlinge

Von Ralf Böhme 06.10.2015, 05:54
Zelte stehen auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) in Halberstadt.
Zelte stehen auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) in Halberstadt. dpa Lizenz

Halberstadt - Sehnsüchtig blicken Yasin und Ali hinüber zur Baustelle. Ihnen juckt es in den Fingern. Am liebsten würden die beiden Syrer, 25 und 17 Jahre jung, dort mit anpacken. Es sind Tischler aus der Stadt Ariha - auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland. Vorerst angekommen in Sachsen-Anhalts Zentraler Aufnahmestelle, kurz die Zast, in Halberstadt. Um allen der insgesamt mehr als 2.500 Asylbewerber eine warmes Obdach bieten zu können, lässt das Land jetzt Holzhäuser errichten. Wie Yasin und Ali wohnen noch Hunderte, die Schutz suchen in der Stadt am Harz, noch in Zelten.

Andere Bundesländer wie Bayern zum Beispiel folgen dem Beispiel Sachsen-Anhalts und wollen nun auch Holzhäuser errichten. In Halberstadt zeigt sich, was da abläuft: eine gewaltige und zusätzliche Kraftanstrengung. Das Land stellt für die Erweiterung der Aufnahmestelle drei Millionen Euro bereit. Yasin und Ali sehen, dass es jetzt Schlag auf Schlag geht. „Kaum war die erste Bodenplatte gegossen, rollte ein Lastzug mit Bauteilen heran“, berichtet Yasin, der auf die Fertigung von Treppen und Schränken spezialisiert ist. Die erste Ladung ist bereits verbaut: Fertigteile aus der Zimmerei Adams im Schachdorf Ströbeck im Harz. Zug um Zug - Inzwischen stehen die Außen- und Innenwände, auch Strukturen des Dachstuhles. Zimmerermeister Matthias Prokop sitzt ganz oben, passt Holzbalken ein, misst nach, schraubt und nagelt. Insgesamt vier Leute legen sich ins Zeug. Nach einer Woche Bauzeit ist schon das Dach auf dem Gebäude. Prokop: „Das ist mein Job und den will ich gut machen. Aber es ist auch wegen der Leute da drüben in den Zelten, ihnen muss geholfen werden - Ziel ist eine warme Hütte.“

Seit Jahresbeginn sind in Sachsen-Anhalt fast 16.000 Flüchtlinge angekommen. Die größte Gruppe mit rund 5.000 Personen stammt aus Syrien. Viele kommen auch vom Balkan und besitzen möglicherweise keine Bleibechance. In Erstaufnahmeeinrichtungen leben 2500 Menschen. Noch nicht alle sind registriert. 30.000 Flüchtlinge werden bis Jahresende im Land erwartet.

Um die Herausforderung zu meistern hat das Land in der vergangenen Woche ein Konzept verabschiedet. Es richtet sich vor allem auf die Betreuung und Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Dafür werden in diesem Jahr 216 und im kommenden Jahr 471 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. So werden mehr als 700 neue Stellen geschaffen, knapp 400 davon sind unbefristet.

Das Gros entfällt auf das Kultusministerium für 112 neue Lehrer. Halle bekommt die zweite Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber (Zast) Sachsen-Anhalts in einem Gewerbegebiet im Stadtteil Trotha. Für den Mehrbedarf bei der Betreuung erhalten Städte und Gemeinden außerplanmäßig jeweils 25 Millionen Euro in diesem und im kommenden Jahr. Vom Land geplant ist zudem die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge. RBÖ

Ali zufolge herrschen jetzt in seiner Heimatstadt, wo täglich Bomben fallen, 28 Grad. Ihm und den anderen Zeltbewohnern, die nachts bei Bodenfrost frieren, können die Zimmerleute versprechen: Trocken, sicher und warm ist das entstehende Haus allemal - auch bei heftigem Frost. 20 Zentimeter sind die Holzwände, verstärkt mit einer speziellen Dämmung. Auf einer Grundfläche von 20 mal 11 Metern verteilen sich die Zimmer. Jeder Raum ist für fünf Bewohner vorgesehen. Die sanitären Anlagen befinden sich in einem noch zu errichtenden Nebenhaus. Der Anspruch ist knapp formuliert. Es muss alles sehr schnell gehen und immer noch bezahlbar bleiben. Trotzdem kostet ein Holzhaus, das für ungefähr 50 Personen ausgelegt ist, mehr als 150.000 Euro. „Allein Zweckmäßigkeit entscheidet.“ Architekt Wieland Kämpfe von der Liegenschaftsverwaltung des Landes, der die Baustelle leitet, sagt: „Uns bleibt wenig Zeit. Ende Oktober, spätestens Anfang November, soll hier eine Siedlung stehen und bezogen werden.“

Wenn alles klappt, können in dann sechs Holzhäusern und weiteren Gebäuden 500 bis 600 Flüchtlinge untergebracht werden. Jeder soll ein Bett, einen Stuhl, Fächer im Schrank und einen Platz am Tisch bekommen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dann werden Yasin und Ali vielleicht an einem richtigen Schachbrett spielen, im Moment muss dafür das Smartphone herhalten. Um das gesteckte Bau-Ziel zu erreichen, muss anders verfahren werden als sonst. Der Abstand von der Idee bis zum Baustart ist auf ein Drittel verkürzt, so Architekt Kämpfe. Auf früher übliche Fristen verzichte man. Die Beteiligten entschieden unverzüglich. So habe der Bund das drei Hektar große Gelände unbürokratisch pachtfrei und damit kostenlos zur Verfügung gestellt. Weniger Schriftverkehr, mehr Zeitersparnis - Baupläne entstehen quasi vor Ort.

Von diesen Vorbereitungen bekommen die treuen Zuschauer am Bauzaun, Yasin und Ali, wenig mit. Während sie ihre warme Mittagsmahlzeit, Fisch und Kartoffelbrei, zu sich nehmen, tauschen sie sich über das Tempo auf der Baustelle aus. Es sei viel höher, als sie es aus Syrien kennen. Und übertreffe ihre nicht geringen Erwartungen bei weitem. Da wird ein großer Autokran in Stellung gebracht. Mit seinem 32 Meter langen Ausleger soll er Wohncontainer, die eine Firma aus Sachsen kurzfristig liefert, an ihren Platz heben. Ein Stück weiter rattern Planierraupe und Hublader um die Wette. Morgen soll ein weiteres Fundament gegossen werden - für das nächste große Holzhaus, vermuten die syrischen Flüchtlinge richtig. Nicht alle diese Gebäude auf dem Zast-Gelände kommen aus der Umgebung. Architekt Kämpfe erklärt, warum das so ist: „Der Markt ist angespannt, viele Baufirmen profitieren ohnehin von der anhaltenden Konjunktur und arbeiten bereits an der Kapazitätsgrenze.“ So sei eine einheimische Firma, die auch ein Gebäude liefern wollte, wieder abgesprungen.

Unterdessen richtet sich die Aufmerksamkeit der Bauleitung bereits auf Details. Damit sind unter anderem die Anschlüsse an die Fernheizung gemeint. Neben Wasser und Abwasser geht es außerdem um eine Stromleitung, die noch verlegt werden muss. Sie beginnt am der neuen Trafostation, ohne die der Bedarf am Standort gar nicht mehr gedeckt werden könnte. Der Grund: Ursprünglich war die Zast als ehemalige DDR-Kaserne für rund 800 Soldaten ausgelegt. Inzwischen kümmert man sich hier um mehr als 2.500 Menschen. (mz)

Holzhäuser sollen die Zelte als Unterkunft ersetzen.
Holzhäuser sollen die Zelte als Unterkunft ersetzen.
Andreas Stedtler Lizenz