Wulf Gallert Wulf Gallert: Frustriert vor dem Altar
MAGDEBURG/MZ. - Der Hang zum großen Auftritt liegt den Gallerts im Blut. Breit grinsend winkt der zwölfjährige Moritz unbefangen der Masse. Vor ihm 150 gebannt lauschende Delegierte des Linken-Parteitages plus Mama Frauke, die ihn vergeblich mit hektischen Bewegungen vom Podium winken will. Rechts hinter ihm, nur zwei Armlängen entfernt: sein Papa. Der grinst nicht, winkt auch nicht unbefangen. Wulf Gallert spießt mit dem Finger Luft auf und brüllt ins Mikrofon: "Die nächsten 15 Tage sind ein Kampf um unsere Ehre!" Es ist eine schräge Szene, wie die beiden da beieinander stehen. Unübersehbar Vater und Sohn - aber der eine polternd und der andere fröhlich, der Kleine in Jeans und Pulli, der Große in Anzug und Krawatte. In der Szene kommt einiges zusammen, das den Linken-Spitzenkandidaten Gallert ausmacht.
Ein echter Familienmensch
Zunächst: Der zweifache Vater Gallert ist ein echter Familienmensch. "Er vergöttert seine Söhne", sagt ein Vertrauter. Für seine Familie schwänzt Gallert auch schon mal die Arbeit. So erzählt man sich in der Partei, dass sich Gallert einmal als Fraktionschef von einem Fraktionskollegen bei einem Termin wegen eines angeblich anderen, wichtigeren vertreten ließ - später aber in Magdeburg mit der Familie "erwischt" wurde.
Der Auftritt des Juniors beim Parteitag war keine Inszenierung. Moritz leidet am Down-Syndrom. Wegen der geistigen Behinderung hat er keine Scham, vor 150 Leuten an seiner Mutter vorbei auf eine Bühne zu stürmen - ist aber auch unempfänglich für Inszenierungsversuche auf einem Parteitag. Das muss man so genau erklären, denn 2006 hatte Gallert noch mit einem Foto von sich und seinem Sohn geworben, auf Großflächenplakaten. Das stieß bei Freund und Feind auch auf Kritik. Er missbrauche seinen behinderten Sohn für den Wahlkampf, hieß es. Aber nur hinter vorgehaltener Hand - offen ins Gesicht wollte das Gallert keiner sagen. Der 47-Jährige weiß aber, dass die Aktion mindestens grenzwertig war. "Ich würde das nicht noch einmal machen." Es sei darum gegangen, den Ruf als graue Eminenz, als kalter Strippenzieher loszuwerden, den Gallert als Parlamentarischer Geschäftsführer und Organisator der rot-roten Tolerierung bekommen hatte. Ohnehin fällt dem gebürtigen Havelberger die Trennung zwischen Beruf und Privatleben schwer. "Beides geht ineinander über." Deshalb könne er auch nicht in Sachsen-Anhalt Urlaub machen. "Sonst lese ich dann Zeitung, rege mich über irgendwas auf und bin dann wieder voll drin."
Auch die Vermischung - oder neutraler: Vereinbarkeit von Familie und Politik liegt den Gallerts im Blut. Wulf Gallerts Eltern waren beide Lehrer, beide Mitglieder der SED. Und zwar nicht nur pro forma. "Wir waren eine politisierte Familie, mit einer starken emotionalen Verbindung zur DDR. Meine Eltern stammten aus bitterarmen Familien, die hätten im Westen nie studieren können", erzählt Gallert. So wurde auch er Lehrer, unterrichtete nach der Wende Gesellschaftskunde. In die SED trat Gallert junior auch ein. Als dann Hunderttausende auf der Straße gegen die SED-Bonzen ihre Freiheit erkämpften, hat die überzeugte DDR-Familie das nicht als Befreiung erlebt. "1989 war für mich eine politische Krise", sagt Gallert. Die überwand er in seiner Partei, die bald PDS hieß und wo Gallerts Aufstieg begann - unbelastete Polittalente waren dort damals rar. Kreistag, Landtag, Fraktionsgeschäftsführer, Fraktionschef, Spitzenkandidat. Schritt für Schritt ging es bergauf. Doch jetzt tritt er auf der Stelle.
Äußeres Kennzeichen der Stagnation sind seine Fähigkeiten als Rhetoriker. Vor Publikum reden zu können ist für einen Spitzenpolitiker überlebenswichtig. Gallert ist der beste Redner im Landtag. Nur: Das war er vor fünf Jahren auch schon. Er ist auf vergleichsweise hohem Niveau nicht weitergekommen. Im Gegenteil. Wenn man ihm öfter zuhört, fällt auf, dass er sich auch immer mal hängen lässt. Gallert hält sich dann mit verstärkenden Floskeln aus dem Rhetorik-Setzkasten für Anfänger über Wasser, etwa: "Nun sage ich mal in aller Deutlichkeit", "Ich sage ausdrücklich" oder "Denn eines ist ganz klar". Im Wahlkampf ist er zwar aufgeblüht, aber für ihn hatte die Legislaturperiode einige Längen. "Wulf ist einfach unterfordert", sagt einer aus der Partei. Als Oppositionsführer konnte er die Regierung gelegentlich stellen und unter Druck setzen. Aber Opposition ist Mist, weil man als Politiker dort eben nicht wirklich etwas bewegen kann.
Die natürliche nächste Entwicklungsstufe für den Politiker Gallert wäre ein Regierungsamt. Wenn man ihn im Direktkontakt mit dem Wahlvolk erlebt, wandelt sich der Lautsprecher zum Wählerflüsterer. Etwa in Wittenberg, wo der Kreisverband der Partei gut 30 Bürger zum Thema Grundwasserschäden in den Piesteritzer Hof eingeladen hat. Gallert hört hier vor allem zu, und das ist bei ihm stets unüberhörbar: Er brummt dann nach jedem zweiten, dritten Satz seines Gegenübers so laut und tief, dass man es im ganzen Saal hören kann. Und wenn er selber etwas sagt, hält er sich auffallend zurück. "Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass das Land alle Kosten übernimmt. Das kann ich nicht versprechen. Was wir aber machen können: Die Verantwortung des Landes thematisieren." So seriös-staatstragend hätte es auch ein Ministerpräsident sagen können. Und an dieser Stelle ist der Konjunktiv entscheidend.
SPD: Die Braut, die sich nicht traut
Denn dieser Wulf Gallert, der Lehrersohn aus der Prignitz, könnte der erste Ministerpräsident der Linken in der Geschichte der Bundesrepublik werden. Könnte. Er wird es aber nicht, denn da ist die SPD vor, der einzige mögliche Bündnispartner der Linkspartei. Doch die Sozialdemokraten sind sich in dieser Frage einig, Spitzenkandidat Jens Bullerjahn hat es immer wieder geschworen, Parteichefin Katrin Budde auch: Wir wählen Wulf Gallert nicht zum Ministerpräsidenten.
Es ist ein bisschen so, als stünde der Bräutigam Gallert schon piekfein und in freudiger Erwartung vor dem Altar. Alles ist bereit. Aber die umworbene SPD, die will dann einfach nicht. Wie in der Hollywood-Komödie "Die Braut, die sich nicht traut". Nur dass Gallert darüber gar nicht lachen kann. Er behauptet tapfer weiter, in die Staatskanzlei einziehen zu wollen und dass sich die SPD schon fügen werde, wenn die Linke nur stark genug wird. Er sagt aber auch: "Natürlich ist das ärgerlich. Das darf man aber nicht so an sich rankommen lassen. Ansonsten wird man nur gnatzig und verbittert." Es ist reiner Selbstschutz, dass er die Abweisung durch die Sozialdemokraten versucht so wegzuschieben. Dafür konstruiert er etwas, was sonst nicht seine Art ist, die klare Unterteilung zwischen Person und Politiker. "Da muss man trennen zwischen politischem und persönlichem Ärger." Dass es nicht gelingt, zeigt die Frage, wie er es findet, dass ihn ausgerechnet Bullerjahn, sein Duzfreund bis heute, abweist. Gallert: "Der wird schon sehen, was er davon hat." Am Ende ist es doch die Vermischung von Persönlichem und Politik, die Familie, die dem Politiker Gallert letztlich Halt gibt. "Was mir hilft, damit fertig zu werden: Dass ich zwar das Ziel habe Ministerpräsident zu werden - es ist aber nicht mein einziger Lebenszweck."
