Landwirtschaft Kräuterzauber ist verflogen: Warum Hof in Hedersleben den Anbau zusammenstreicht
Die Agrargenossenschaft Hedersleben ist bekannt für ihre Majoran- und Thymianäcker. Doch der Anbau mit viel Handarbeit rechnet sich kaum noch. Landwirt Lutz Trautmann sieht die Vielfalt in der Landwirtschaft gefährdet.

Hedersleben/MZ. - Lutz Trautmann geht am Rand des Majoranfeldes entlang. Die Pflanzen sind etwa 20 Zentimeter groß. „In ein bis zwei Wochen werden wir ernten“, sagt der Vorstand der Agrargenossenschaft Hedersleben (Salzlandkreis). „Schauen Sie mal hier“, ruft der Landwirt plötzlich. Er geht zu einem hochgewachsenen Unkraut. „Ein Kreuzkraut.“ Mit einem kräftigen Ruck zieht er die Pflanze samt Wurzel aus dem Boden. „Das muss vor der Ernte alles raus.“ Das Kraut produziere Alkaloide, die für Mensch wie Tier giftig seien.
Die Agrargenossenschaft hat sich für die Ernte eigens einen alten Mähdrescher umgebaut. Mit einem speziellen Schneidwerk wird der Majoran maschinell geerntet. „Unkräuter wie Disteln, Quecken oder eben Kreuzkraut müssen wir aber vorher per Hand entfernen“, erklärt Trautmann. Dafür würden ältere Saisonkräfte, die meist in der Region wohnen, die Reihen abgehen. „Die fangen bei Sonnenaufgang an und sind bis 10 Uhr fertig“, sagt er. Doch solche Mitarbeiter gebe es immer weniger. Pflanzenschutzmittel gibt es für die Kräuter nicht mehr auf dem Markt. Die Kosten der Entwicklung und Zulassung sind laut Trautmann für die Hersteller im Verhältnis zu den zu erwartenden Einnahmen zu hoch.
Personalmangel ist ein Grund, warum die Agrargenossenschaft, die insgesamt mehr als 4.000 Hektar bewirtschaftet, nur noch auf zehn bis 20 Hektar Majoran und Thymian aussät. „Fenchel bauen wir aktuell gar nicht an“, sagt Trautmann. Zum Vergleich: Winterweizen nimmt 1.900 Hektar ein.
Eine Bewässerung für die Felder fehlt
Neben ihm auf dem Feld steht Christiane Hänsch-Mehlhorn. Die künftige Geschäftsführerin im Mawea Majoranwerk Aschersleben (Salzlandkreis) prüft vor der Ernte die Güte. Sie nimmt einen Busch Majoran und kostet. Die Agrargenossenschaft liefert, wie viele Betriebe der Region, den Majoran exklusiv an den Gewürz-Hersteller. Hänsch-Mehlhorn erwartet eine ordentliche Ernte. Der Regen im August habe den Pflanzen gutgetan. Reiche Ernten waren zuletzt selten. „Vor allem in den Dürrejahren 2018 bis 2022 gab es mitunter herbe Ernteeinbußen“, sagt sie. Die Kräuter würden zwar ein mildes, trockenes Klima bevorzugen. „Doch ohne Regen geht es auch nicht.“
Ernteeinbußen bei den Kräutern treffen die Agrargenossenschaft besonders. „Die Felder müssen vier bis fünf Mal pro Jahr begangen werden, um die Unkräuter zu beseitigen“, erläutert Trautmann. „Das kostet viel Geld. Wenn dann die Erntemenge nicht stimmt, ist der wirtschaftliche Schaden deutlich zu spüren.“
Trautmann wollte daher den Hauptseegraben des nahe gelegenen Concordiasees nutzen, um einen Teil der Felder zu bewässern. „Wir hatten sogar die Wasserrechte bekommen, um das Wasser zu nutzen“, erläutert der Genossenschaftschef. Doch dann habe der Landkreis in den Hitzejahren jegliche Wasserentnahme untersagt. „Das Bewässerungsprojekt war damit gestorben“, berichtet Trautmann. Seinen Unmut darüber verbirgt er nicht: „Die Behörden sind schnell darin, etwas zu verbieten. Welche Konsequenzen das alles hat, darüber wird kaum gesprochen.“
Der Kräuterzauber ist bei der Genossenschaft verflogen. Und nicht nur dort. Die Zahlen sind eindeutig: Das Majoranwerk, welches eine Vielzahl von Kräutern verarbeitet, hat den Vertragsanbau bei Landwirten in der Region von 550 Hektar im Jahr 2015 auf zuletzt 180 Hektar reduziert. Die Anbaufläche ging damit um zwei Drittel zurück. „Das darf auf keinen Fall so weitergehen“, sagt Hänsch-Mehlhorn. Die Region um Aschersleben sei das wichtigste Anbaugebiet in Deutschland für Kräuter wie Majoran und Thymian.

In der Corona-Pandemie, als ausländische Saisonkräfte fehlten, konnte das Majoranwerk laut Hänsch-Mehlhorn teilweise Kunden nicht beliefern. „Diese haben sich dann andere Lieferanten gesucht – vor allem aus dem Ausland.“ Dennoch seien die Perspektiven im Grunde nicht schlecht. „Wir liefern den Majoran beispielsweise an Thüringer Wursthersteller, die damit die Bratwurst würzen“, erzählt sie. „Die wollen unbedingt Gewürze aus der Region, das hat auch mit der Qualität zu tun.“ Die Nachfrage sei da.
Auch die Agrargenossenschaft Hedersleben geht neue Wege, um den Anbau von Sonderkulturen zu bewahren. Schon seit der Wende besitzt der Betrieb einen Hofladen, der zuletzt in einen Hofmarkt umgebaut wurde. In diesem wird die ganze Palette regionaler Produkte angeboten. Das fängt bei Milchprodukten vom Hof Pfaffendorf an, geht über eigene Kartoffeln und Konserven von Keunecke bis zu frischem Rindfleisch von eigenen Tieren. Auch einen Online-Versand hat die Agrargenossenschaft eingerichtet.
Hanf-Produkte der Agrargenossenschaft sind gefragt
Die Hanfartikel des Hofes sind sehr gefragt. „Wir bauen den Hanf selbst an, daraus werden Produkte wie Tee und Hanföl“, berichtet Trautmann. Der Absatz entwickle sich positiv. Teilweise habe man jährlich schon auf 40 Hektar Hanf angebaut. Der Landwirt ist für Neuerungen offen.
Trautmann steigt auf dem Majoran-Feld wieder in seinen schwarzen Geländewagen, fährt über bereits abgeerntete Äcker. Er zeigt auf eine Gruppe von Kolkraben, die auf dem Feld sitzen. „Die haben sich hier angesiedelt, die Rotmilane im nahe gelegenen Waldgebiet Hakel haben es dagegen weiter schwer“, sagt er.
Nach der Wende sei die Population dramatisch eingebrochen. Nach seinen Worten hängt das auch mit dem Anbau auf den Feldern zusammen. Es seien in der DDR viel Klee und Luzerne als Futterpflanzen angebaut worden. Die Felder seien dann nacheinander geerntet worden. „Die Rotmilane haben hinter den Treckern gleich die ersten Mäuse gefangen“, erinnert sich der Landwirt. Heute würden solche Futterpflanzen kaum noch auf den Feldern stehen, die Tierhaltung geht zurück.
Auch die Agrargenossenschaft Hedersleben hat 2021 die Milchviehhaltung eingestellt. „Die Preise waren über Jahre zu niedrig“, sagt Trautmann. „Wir bekommen immer mehr Auflagen für Umwelt- und Tierschutz, das wird aber unzureichend vergütet.“ Der Bauer befürchtet, dass die Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt an Vielfalt verliert: „Am Ende geht nicht nur Tradition verloren, sondern auch Umwelt und Tierwelt leiden.“