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Hohe Energiepreise und Bürokratie Industrie auf Rückzug: Sachsen-Anhalt verliert schleichend an Substanz

Wirtschaftsvertreter sehen die Konkurrenzfähigkeit der Firmen in Sachsen-Anhalt gefährdet. Wie hohe Strompreise und Bürokratie die Betriebe belasten.

Von Steffen Höhne und Julius Lukas 10.07.2023, 07:00
Der Kosmetik-Hersteller Colep in Bad Schmiedeberg hat die Produktion eingestellt.
Der Kosmetik-Hersteller Colep in Bad Schmiedeberg hat die Produktion eingestellt. Foto: Thomas Klitzsch

Halle/MZ - Sachsen-Anhalt hat in den zurückliegenden fünf Jahren mehrere Dutzend Industrie-Unternehmen mit tausenden Mitarbeitern verloren. Durch hohe Energiepreise und viel Bürokratie sieht die Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau (IHK) die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in Gefahr. „Eine nicht durchdachte Energiewende, die zu einer nicht überwundenen Energiekrise beigetragen hat, lastet schwer auf den Schultern der hiesigen Unternehmen“, sagte IHK-Präsident Steffen Keitel zuletzt. Durch hohe Kosten verlören Industriefirmen wichtige Marktanteile an Konkurrenten aus den USA und China, aber auch an innereuropäische Konkurrenten.

Vor allem kleinere Industriebetriebe verschwinden

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes gab es vor fünf Jahren 685 Industriebetriebe im Land, deren Zahl ist bis Ende vergangenen Jahres auf 615 gesunken – ein Rückgang von zehn Prozent. Von 2018 bis Ende 2022 ging die Zahl der Mitarbeiter in der Branche um 3.416 auf rund 106.000 zurück.

Es sind fast ausschließlich mittelständische Firmen, die verschwinden. So hat beispielsweise die Firma Coley die Kosmetik-Produktion nach Polen verlagert und die Fabrik in Bad Schmiedeberg (Landkreis Wittenberg) Ende März geschlossen. 70 Mitarbeiter waren davon betroffen. Der Autozulieferer Magna kündigte an, Ende 2024 sein Werk in Roitzsch (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) mit 300 Mitarbeitern zu schließen. Bereits Ende 2021 endete eine 87-jährige Ära in Hettstedt: Das Mansfelder Aluminiumwerk mit damals noch 70 Mitarbeitern schloss die Tore.

Der Autozulieferer Magna will sein Werk in Roitzsch (Anhalt-Bitterfeld) Ende 2024 schließen.
Der Autozulieferer Magna will sein Werk in Roitzsch (Anhalt-Bitterfeld) Ende 2024 schließen.
Foto: Kehrer

Dem gegenüber stehen aber auch etliche Neuansiedlungen. So baut der finnische Konzern UPM im Chemiepark Leuna eine große Bio-Raffinerie. In Bernburg siedelt sich der Chip-Dienstleister Avnet an und in Bitterfeld-Wolfen fährt Meyer Burger die Solarzellen-Produktion hoch. Zudem will der US-Konzern Intel zwei große Chipfabriken in Magdeburg bauen. 10.000 Jobs sollen entstehen. Doch auch Intel pocht bei der Ansiedlung auf Strompreise von zehn Cent je Kilowattstunde. Zudem soll der Bund mehr als zehn Milliarden Euro Förderung zahlen. Auch Meyer Burger will hohe Zuschüsse für Erweiterungen.

Die Lachen uns in China aus.

Hans-Joachim Münch, Sonotec-Geschäftsführer

Der Chef der Landesarbeitsagentur, Markus Behrens, verweist darauf, dass aktuell viele energieintensiven Firmen trotz schwieriger Lage an ihrem Personal festhalten. „Sie wollen Fachkräfte nicht verlieren“, so Behrens. Der Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden sieht momentan keine ausreichenden Belege für eine „Deindustrialisierung“. Aber auch Ragnitz verweist darauf, dass Deutschland gegenüber anderen Wirtschaftsräumen zurückfalle. Im Wettbewerbsranking des Lausanner Research-Instituts ist Deutschland 2023 um sieben Plätze auf Rang 22 gefallen. 64 Länder werden anhand von 164 Kriterien sowie der Befragung von über 6.000 Unternehmenslenkern bewertet. Als besonders bedenklich bewertet die Studie die Gefahr der Abwanderung von Firmen. Deutschland liegt hier auf dem fünftletzten Platz. Neben Energiekosten wird die Bürokratie als negativ bewertet.

Klage über zu viel Bürokratie

Im MZ-Gespräch nennt Hans-Joachim Münch, Geschäftsführer des Ultraschalltechnik-Herstellers Sonotec aus Halle zwei Beispiele: „Allein die Lieferung von Firmendaten an das Statistische Landesamt kostet einmal im Monat zwei Mitarbeiterinnen der Buchhaltung zwei Tage. Dieser Aufwand bringt der Firma rein gar nichts, ist aber gesetzlich verpflichtend.“ Als weiteres nennt Münch das neue Lieferkettengesetz, das Menschenrechte besser schützen soll: „Das Lithium in den Batterien unserer Produkte kommt zum Beispiel aus China. Wie sollen wir denn herausfinden, wie die Arbeitsbedingungen dort sind. Die Hersteller vor Ort interessiert unser Gesetz kein bisschen. Die lachen uns eher aus.“