Steiners Erben in Dessau-Roßlau Wie ein Paar aus eigener Kraft eine Waldorfschule in Mosgkau gründet

Mosigkau - Zu Beginn rieten Sebastian und Franziska Rumberg den Eltern noch, dass sie ihre Kinder unbedingt auch bei einer anderen Schule anmelden sollen. „Denn sicher, dass wir es mit der Eröffnung schaffen werden, waren wir uns nicht“, erzählt Sebastian Rumberg.
Dabei war die Begeisterung für die neue Schule groß. Anfang 2018 veröffentlichten die Rumbergs ihren Plan in einem sozialen Netzwerk. „Wir wollen in Dessau eine Schule gründen“, schrieben sie. Eine Waldorfschule. Sie machten drei Informationsabende, zahlreiche Interessierte kamen. „Und obwohl die Schule zu diesem Zeitpunkt nur in unseren Köpfen existierte, meldeten viele Eltern ihre Kinder bereits an“, sagt Rumberg.
Waldorfschule in Mosigkau feiert Eröffnung
Etwa eineinhalb Jahre sind seit dieser ersten Ankündigung vergangen, und Sebastian Rumberg steht an einem Freitag vor dem Eingang der neuen Waldorfschule. Sie liegt in Mosigkau, einem dörflichen Vorort Dessau-Roßlaus. Mitte August wurden hier Schulanfang und Eröffnung zugleich gefeiert. Und das fast genau 100 Jahre nachdem Rudolf Steiner in Stuttgart die erste Waldorfschule eröffnete. „Das Jubiläum hatten wir gar nicht im Blick“, sagt Sebastian Rumberg. Ein schöner Zufall sei es trotzdem gewesen.
Das Schuljahr in Mosigkau läuft seit gut zwei Wochen. Doch gerade ruht das Schulgebäude in der Vormittagshitze. Die 22 Kinder der einen ersten Klasse sind nicht zu hören. „Die haben sich heute Morgen entschieden, in den Wald zu gehen.“ Rumberg sagt diesen Satz mit einiger Zufriedenheit. „Der Bezug zur Natur, einfach rausgehen zu können - so haben wir uns das vorgestellt.“
Waldorfschule bei Dessau: Idee zur Schuleröffnung kam nach TV-Doku
Die Idee, eine Schule aufzumachen, entwickelten seine Frau und er, nachdem sie 2017 eine TV-Doku gesehen hatten. Es ging um Waldorf-Pädagogik. Die Rumbergs waren damals selbst erst seit kurzem Eltern. Ihre beiden Kinder sind heute drei und vier Jahre alt. „Nach der Doku war uns klar: Das wollen wir auch für unsere Kinder“, sagt Rumberg.
In Waldorfschulen wird nur gesungen und getanzt. „Das ist das Klischee“, sagt Lichthild Koehler. Sie ist seit 25 Jahren Waldorf-Lehrerin und arbeitet an der neuen Schule in Dessau-Roßlau.
Die Waldorf-Pädagogik, die von Rudolf Steiner entwickelt wurde, beinhaltet aber viel mehr. „Und das ist noch immer hochaktuell, etwa beim Thema Inklusion“, sagt Koehler. So sei die erste Schule 1919 in Stuttgart auf Betreiben von Emil Molt gegründet worden. Der Eigentümer der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik wollte eine Schule für den Nachwuchs seiner Arbeiter haben. „Da wurden erstmals Mädchen und Jungen zusammen unterrichtet, und es ging auch um die Bildung sozial schwacher Kinder.“
Für Lichthild Koehler ist zudem der kindzentrierte Ansatz bei Waldorf bedeutend, auch das fächerübergreifende Denken. „Wir lassen uns sehr intensiv auf die Kinder und deren Interessen ein“, sagt die Lehrerin. Allerdings gibt es auch Kritik an dem Bildungskonzept. Es gilt als esoterisch und gegenüber äußeren Einflüssen abgeschottet. Steiner werden auch rassistische Tendenzen vorgeworfen.
Die Eurythmie, der täglich praktizierte Ausdruckstanz, wird von Schülern bei Befragungen als störend abgelehnt. Um einen Abschluss zu bekommen, müssen auch Waldorfschüler die staatlichen Prüfungen bestehen. Weltweit gibt es etwa 1.100 Schulen und 2.000 Kindergärten nach Waldorf-Ideal.
Die Eltern begeisterte das kindzentrierte Lernen. Bei Waldorf gibt es keinen Notendruck und keine festgefahrenen Lehrpläne. Es gibt auch keine klassischen Schulbänke, da alles sehr auf Bewegung ausgelegt ist. „Wir fanden auch charmant, dass die Lehrer einzig und allein für ihre Klasse und nicht noch für irgendwelche Bürokratie verantwortlich sind“, sagt Rumberg.
Allerdings gab es ein Problem: Eine Waldorfschule war weit und breit nicht in Sicht. „Wir waren damals gerade aus dem Speckgürtel von Berlin nach Mosigkau gezogen.“ Franziska Rumbergs Eltern wohnen in Dessau, außerdem wollte die junge Familie naturnäher leben. Für den Unternehmensberater und die Ärztin blieb nur eine Option: selbst eine Waldorfschule gründen.
Schulengründer Sebastian Rumberg: „Mit solch einem Projekt ist man nie fertig.“
Während Sebastian Rumberg über das Gelände der Schule läuft, bleibt er immer wieder stehen und schaut sich um. Das Hauptgebäude ist mit einem Gerüst eingezäunt. Auf dem Boden davor stapel sich Steine. „Mit solch einem Projekt ist man nie fertig“, sagt der 33-Jährige. Aber dass sie es so weit schaffen, dass Kinder hier eingeschult wurden - das hätte ihnen kaum jemand zugetraut - vielleicht nicht einmal sie sich selbst.
„Freunde, Familie und Bekannte hielten den Plan für verrückt“, sagt Rumberg. „Und hätten wir vorher gewusst, wie viel Arbeit es wird, hätten wir es wohl auch nicht gemacht.“ Allerdings sei von Beginn an die Unterstützung groß gewesen.
Nach Infoabend: Schulverein erhält Zulauf
Gleich nach den ersten Infoabenden hätten sich viele Mitglieder für den eigens gegründeten Schulverein gemeldet. „Es fand sich eine Gruppe von 15 bis 20 Leuten, die wirklich gesagt haben: Wir machen mit“, erzählt Rumberg. Ohne diese Menschen hätte es nicht funktioniert. „Das war ein großes Glück, und dafür sind wir auch sehr dankbar.“
Tatkraft allein reichte jedoch nicht. Sie mussten drei Lehrer für sich gewinnen und brauchten auch einen Ort zum Lernen. Da sie in Mosigkau lebten, lag es nahe, die Schule hier zu gründen. Den geeigneten Platz gab es auch: den ehemaligen Schulkomplex. Bis 2010 hatte Mosigkau nämlich eine Schule, dann wurde sie zugemacht. Sie nun wiederzueröffnen und zu beleben - das sei nur bei einigen auf Skepsis gestoßen. „Die meisten Menschen im Ort waren aber sehr offen, denn eine Schule bringt ja auch Leben ins Dorf.“
Waldorfschule ins Mosigkau bekommt Hilfe aus Halle
Mit der Stadt Dessau-Roßlau verhandelten sie einen Pachtvertrag. Mit viel Unterstützung der lokalen Firmen und 10.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit machten sie den alten Bau wieder schulfit. Blieb nur noch das Bürokratieproblem. „Eine Schulgründung ist ein riesiger Verwaltungsakt“, sagt Rumberg.
Eine ihrer glücklichsten Griffe sei es deswegen gewesen, ganz früh schon die Waldorfschule in Halle anzusprechen. Die gibt es schon seit 1990. Der Erfahrungsschatz ist also riesig. Die Mosigkauer wurden so zu einer Art Zweigstelle der Hallenser - was enorm bei der Verwaltung entlastet. Nach eineinhalb Jahren hatten sie ihre neue Schule gegründet. „Im Schulamt hat man uns gesagt, dass das Rekord ist.“
Nach den aufregenden Monaten soll nun erst einmal Ruhe einkehren, der normale Schulalltag alles bestimmen. „Die nächsten Ausbauvorhaben stehen aber bereits an“, sagt Sebastian Rumberg. Schließlich solle die Schule weiter wachsen. Dass das gelingen kann, zeigen allein die Zahlen. Für die kommenden Jahre wurden schon jetzt 160 Kinder angemeldet.
››Weitere Informationen zur Schule unter: www.waldorfschule-dessau.de