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Vorurteile von Nichtwählern Vorurteile von Nichtwählern: "Politiker wirtschaften nur in die eigene Tasche"

Von Julius Lukas 10.02.2016, 13:32
Ein Vorurteil von Nichtwählern lautet: „Ich bin doch nicht blöd und gehe wählen, weil Politiker zu gut leben und sowieso nur in die eigene Tasche wirtschaften.“
Ein Vorurteil von Nichtwählern lautet: „Ich bin doch nicht blöd und gehe wählen, weil Politiker zu gut leben und sowieso nur in die eigene Tasche wirtschaften.“ Archiv/dpa Lizenz

Halle (Saale) - Am 13. März wird der neue Landtag von Sachsen-Anhalt gewählt. Das elektrisiert nicht jeden. Viele Sachsen-Anhalter sind bei der Wahl 2011 zu Hause geblieben. Eine Studie hat ermittelt, warum das so war. Die Mitteldeutsche Zeitung setzt sich in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung mit Klischees und Vorurteilen von Nichtwählern auseinander. Heute: „Ich bin doch nicht blöd und gehe wählen, weil Politiker zu gut leben und sowieso nur in die eigene Tasche wirtschaften.“

„Manchmal“, erzählt Dorothea Frederking, „sind nur noch die Polizisten und ich da.“ Dann ist es im Landtag in Magdeburg dunkel. Nur im Büro der Abgeordneten von den Grünen brennt noch Licht. „Da beantworte ich Mails oder Anfragen - alle die Dinge, die ich am Tag nicht geschafft habe, weil ich unterwegs war oder fachlich intensiv gearbeitet habe.“

Eine 65-Stunden-Woche habe sie mindestens, sagt Frederking. Oft seien es sogar 80 Stunden. Fragt man andere Abgeordnete, so geben sie ähnliche Werte an. Auch zahlreiche Untersuchungen kommen auf einen Wert zwischen 60 und 70 Stunden pro Woche. Abgeordneter sein, ist ein Vollzeit-Job. Das stellte bereits das Bundesverfassungsgericht 1975 in seinem bekannten Diäten-Urteil fest. Damals verhandelte es die Frage, ob Parlamentarier ihre Bezüge selber festlegen dürfen. Das Gericht bejahte das und schuf damit eine verfängliche Situation. Seit dem Urteil stehen Parlamente nämlich dauerhaft im Verdacht, Selbstbedienungsläden zu sein. Regelmäßig führt das zu aufgeregten Debatten.

5.655 Euro brutto

Richtig hitzig wurde in Sachsen-Anhalt zuletzt im Sommer 2012 diskutiert. Damals beschlossen die Abgeordneten eine Erhöhung ihres Grundentschädigung genannten Gehalts. Von 4.797 Euro ging es auf 5.655 Euro pro Monat nach oben. Ein Plus von 18 Prozent. Das Klischee vom Parlament, das sich mit Steuergeldern selbst bereichert, war sofort wieder da.

Dabei steckte hinter der Entscheidung ein Mechanismus, der diesen Verdacht eigentlich im Keim ersticken sollte. Die Anhebung der Diäten folgte nämlich der Empfehlung einer vom Landtag unabhängigen Diätenkommission. Und die nimmt als Maßstab die Besoldung eines Richters im Land, eben 5.655 Euro. Ein Vergleich, der schon 1975 vom Verfassungsgericht gezogen wurde.

Viele Abgeordnete haben neben der politischen Landtagsarbeit noch Ämter inne, die auch bezahlt werden. Oft hängen die mit dem Mandat zusammen. So müssen Posten in Beiräten von Institutionen besetzt werden, an denen das Land beteiligt ist. Zudem gibt es Parlamentarier, die einer beruflichen Nebentätigkeit nachgehen. Das ist Mandatsträgern nicht verboten, allerdings schaffen diese Zusatzarbeit nicht viele.

Um über die Nebeneinkommen mehr Transparenz herzustellen, beschloss der Landtag bei seiner Parlamentsreform 2014 die Zusatzeinkünfte in Stufen anzugeben. Die erste umfasst dabei Verdienste von 400 bis 1.000 Euro pro Monat. Die zweite geht bis 3.000 und die dritte bis 6.000 Euro. Wer sich in Stufe vier befindet, bezieht monatlich zusätzlich bis zu 10.000 Euro. Wer darüber liegt, wird in Stufe fünf eingeordnet.

Allerdings gibt es nach den derzeitigen Angaben der Parlamentarier (Stand Mitte 2015) niemanden in den höchsten beiden Stufen. Andreas Steppuhn (SPD) erreicht als einziger Abgeordneter Stufe drei. Er ist Mitgeschäftsführer der facts Infoline GmbH und verdient dort zwischen 3.000 und 6.000 Euro pro Monat. (jul)

Doch trotz dieser Regelung, die Debatte war wieder da. Stefan Gebhardt kann das gut verstehen. Der 41-Jährige sitzt seit 1998 für die Linkspartei im Landtag. Er ist gelernter Krankenpfleger. „In meinem alten Beruf bekommen die Menschen bei weitem nicht so viel Geld und müssen körperlich sehr schwer arbeiten“, meint Gebhardt. Auch andere Abgeordneten sehen das so. „Das Problem ist nicht unbedingt, dass wir zu viel verdienen“, meint SPD-Parlamentarier Andreas Steppuhn. „Sondern, dass viele Menschen im Land oft nur ein sehr geringes Einkommen haben.“

Der durchschnittliche Bruttolohn in Sachsen-Anhalt liegt derzeit bei rund 2.900 Euro im Monat. Landtagsabgeordnete verdienen also fast doppelt soviel. Nicht eingerechnet sind da Zulagen für Funktionsposten. Wer einem Ausschuss vorsitzt, erhält zum Beispiel 350 Euro pro Monat mehr. Wer seine Fraktion anführt, bekommt 4.300 Euro zusätzlich im Monat. Alle Abgeordneten beziehen zudem eine monatliche Pauschale von 1.600 Euro. Damit sollen Wahlkreisbüros und durch die Abgeordnetentätigkeit anfallende Kosten beglichen werden. Über die tatsächliche Verwendung sind die Parlamentarier aber nicht rechenschaftspflichtig.

„Wir werden schon gut bezahlt“, sagt Angela Gorr. Sie sitzt für die CDU seit zehn Jahren im Landtag. „Wenn man weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt, kann ich mir aber nicht vorstellen, dass ein Abgeordneter den Job wegen des Geldes macht.“ Eine typische Woche ist bei Gorr bis obenhin vollgepackt. Fachgruppenarbeit und Koalitionssitzungen in Magdeburg. Zwei Ausschüsse mit regelmäßigen Treffen und einmal im Monat Plenum im Landtag. Hinzu kommen Bürgergespräche, Vereinsvisiten und Firmenbesuche im Wahlkreis. Außerdem ist sie im Kreistag Harz und im Stadtrat von Wernigerode. „Und dann sind da ja noch Ehrenämter, die auch Zeit in Anspruch nehmen“, meint die 58-Jährige.

Bei ihren Kollegen klingen die Aufzählungen ähnlich. SPD-Mann Andreas Steppuhn ist Mitglied in acht Vereinen und ehrenamtlicher Vorsitzender der Tafeln in Sachsen-Anhalt. Veranstaltungen am Abend und Wochenendtermine gehören für ihn zur Normalität. „Das ist ein Engagement, das von Abgeordneten einfach auch erwartet wird“, sagt er. Stefan Gebhardt sieht das ähnlich: „Sein Mandat legt man ja eigentlich nie ab“, sagt der Politiker der Linken. Auch im privaten Alltag sei er immer ansprechbar.

Sicherlich, auch unter Abgeordneten gibt es schwarze Schafe. Hinter vorgehaltener Hand hört man immer wieder von Parlamentariern, die ihr Mandat eher halbherzig ausüben. Doch volle Terminkalender sind ohnehin nicht das Hauptkriterium für die Diäten. „Andere Menschen arbeiten auch viel“, sagt Dorothea Frederking. Als weitere Begründung wird aus diesem Grund oft die Unsicherheit im Amt angeführt. Abgeordneter ist man nur fünf Jahre. Wird man nicht wiedergewählt, bekommt man zwar ein Übergangsgeld. Aber das wird maximal zwei Jahre gezahlt.

Kopplung an Lohnentwicklung

Der wichtigere Grund für die Diäten ist jedoch die Verantwortung, die die 105 Parlamentarier haben. Sie beschließen Gesetze und entscheiden über den Haushalt - immerhin zehn Milliarden Euro. Diese Kompetenzen bringen sie in eine herausgehobene Stellung innerhalb des Landes. Und die muss sich auch im Gehalt widerspiegeln. So soll möglichst gut sichergestellt werden, dass Mandatsträger frei von unlauteren Einflüssen entscheiden. Das ist auch im Grundgesetz so hinterlegt. In Artikel 48 steht dort, dass Abgeordnete Anspruch auf eine „angemessene“, „ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung“ haben.

Was genau angemessen ist, ist freilich umstritten. Um die leidigen Debatten aber ein für allem Mal zu beenden, beschloss der Landtag im September 2014 einen Parlamentsreform. Zum einen steigerten sie die Diäten für die Mitglieder des nächsten Landtages auf 5 976 Euro. Zum anderen entschieden die Abgeordneten, dass die Erhöhung der Grundentschädigung künftig an die Lohnentwicklung im Land gekoppelt werden soll. Die Diäten werden dann jedes Jahr in dem Maß erhöht, wie sich die Bruttoeinkommen von Beschäftigten im Land steigern.

Allerdings darf man nicht übersehen, dass die Diäten der Abgeordneten keine Nettogehälter sind. Wie bei allen anderen Beschäftigten auch fallen Steuern und Abgaben an. Hinzu kommen sogenannte Mandatsträgerbeiträge an die Partei. Mehrere hundert Euro pro Monat sind das in allen Fraktionen. Die Abgeordneten der Linken zahlen zudem seit Jahren in einen Solidarfonds ein, derzeit 300 Euro pro Monat. „Damit werden gemeinnützige Projekte im Land unterstützt“, erklärt Stefan Gebhardt. Auch die Grünen haben einen solchen Fonds.

2.700 Euro netto

„Unterm Strich bleiben bei mir rund 2.700 Euro netto übrig“, sagt Dorothea Frederking. Ein sehr hoher Betrag sei das für sie. „Aber er ist nicht meine Motivation.“ Sie verstehe ihr Mandat als Auftrag, sich für Themen wie artgerechte Tierhaltung, Klimaschutz und hundert Prozent erneuerbare Energien einzusetzen. „Natürlich bin ich manchmal müde und kann nicht mehr“, sagt die 51-Jährige. „Aber ich sehe mich in der Pflicht, die Möglichkeiten, die ich als Abgeordnete wie in kaum einer anderen Position habe, zu nutzen.“ Auch wenn das für sie bedeutet, dass es am Abend oft länger dauert. (mz)