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Vor 20 Jahren in Halle/Saale Vor 20 Jahren in Halle/Saale: Eier auf den Einheitskanzler

Von Steffen Könau 09.05.2011, 21:07

Halle (Saale) - Es ist alles vorbei, so lange her, fast vergessen. Matthias Schipke hätte nicht einmal mehr gewusst, "welcher Tag das damals genau war, der zehnte oder 15.?" An die Einzelheiten allerdings erinnert sich der 41-Jährige noch ziemlich genau. Wie sie ihre Eier geworfen haben, an jenem 10. Mai 1991 vor dem halleschen Stadthaus.

„Schande aus Halle“: Jurastudent Matthias Schipke warf Eier auf Helmut Kohl

Wie Helmut Kohl nicht den Kopf einzog, sondern seine Angreifer attackierte. Wie der Kanzler der Einheit austeilte und er, Matthias Schipke, damals Vize-Chef der Jungsozialisten von Halle, dem Pfälzer noch ein Ei aus nächster Nähe verpasste.

Matthias Schipke, der inzwischen glücklich in Skandinavien lebt, arbeitet und Steuern zahlt, sein Privatleben aber "endlich privat halten" möchte, ist nie losgekommen von dieser Szene. Als "Schande von Halle" wurde der Jurastudent bundesweit bekannt. Seine Partei wollte ihn ausschließen. Eine Zeitung nutzte Fotos von seiner Tat für eine Werbekampagne. "Aufeinander zugehen" stand unter dem zornig auf die Hallenser zustürmenden Einheitskanzler.

Schipke schmunzelt. Eigentlich sei "die Sache" auch so gedacht gewesen. "Ein Spaß", sagt Schipke, "kein Attentat." So, wie die Einheit damals gelaufen sei, habe er nicht einverstanden sein können. "Ich war kein Extremist, aber ich hatte eine gewisse Wut im Bauch und die wollte ich Kohl zeigen."

10. Mai 1991  - Eier auf Helmut Kohl sollte "eine witzige Aktion" werden

Eine "witzige Aktion" (Schipke) sollte es werden. Aus dem Ruder geriet alles, weil Kohl anders reagiert als gedacht. Statt sich unter schnell aufgespannte Regenschirme zu flüchten, schlägt der erboste Regierungschef zurück. Dadurch, dass Matthias Schipke auf den Schultern eines Mit-Demonstranten sitzt, ist er als Eierwerfer gut zu identifizieren. "Wir waren ja mehrere", erinnert er sich, "aber viel ging dann auf mich".

Schipke gilt seitdem als Urheber dieses "schäbigen Kapitels hallescher Gastfreundschaft", wie es der Kanzler nennt. Ein "Radikaler", ein Mann aus dem "Pöbel", ewiggestrig in seiner Sehnsucht nach der DDR und auf Krawall gebürstet. Dabei ist Matthias Schipke ganz anders. Mit 20 war der Hallenser, Sohn einer Familie, die seit Willy Brandts Erfurtbesuch sozialdemokratisch denkt, in den Westen gegangen. Als die Mauer fällt, kehrt er zurück. Er engagiert sich politisch, vor allem im Kampf gegen die erstarkende Nazi-Szene im Osten Deutschlands. "Mit der DDR hatte ich nichts am Hut", sagt er, "aber wie der Westen dann kam, das gefiel mir auch nicht." Ein wenig blind nennt er sich da heute. "Erst nach der Sache, als ich mit CDU-Leuten gesprochen habe, mit denen ich bis heute befreundet bin, wurde mir klar, wie viele Gemeinsamkeiten es zwischen uns gibt."

Auch die Entfernung hat ihm geholfen, sie zu entdecken. Schipke, der in der neuen Heimat "ganz bürgerlich lebt" und davon ausgeht, "dass ich bis heute SPD-Mitglied bin", ist nicht vor den Schatten der Vergangenheit geflohen, sondern aus "ganz privaten Gründen" fortgegangen. In Skandinavien hat er sein Glück gefunden. Und er hat seinen Frieden mit dem Deutschland gemacht, das er so nie haben wollte. "Seit ich hier oben lebe", sagt er, "bin ich ja irgendwie mehr Deutscher als vorher." (mz)