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Verkehr  Verkehr : Leipzig als Versuchsfeld für die neue Mobilität

Von Alexander Schierholz 27.06.2016, 17:39
Gekommen, um zu fahren: Bruno Ginnuth (l.) und Jan Hofmann von „Clever Shuttle“ mit einem ihrer Autos vor dem Leipziger Hauptbahnhof
Gekommen, um zu fahren: Bruno Ginnuth (l.) und Jan Hofmann von „Clever Shuttle“ mit einem ihrer Autos vor dem Leipziger Hauptbahnhof Andreas Stedtler

Leipzig/Dresden - Ein paar Klicks auf dem Smartphone, schon kann die Fahrt losgehen. Leipzig, Innenstadt, ein sonniger Juni-Nachmittag in der Schillerstraße am Uni-Campus. Man will zum Connewitzer Kreuz im Süden der Stadt. Auf dem Smartphone ploppt eine Meldung auf: „Dein Shuttle kommt in fünf Minuten.“ Noch vor Ablauf der Zeit biegt ein kleiner weißer Citroen lautlos um die Ecke, ein Elektroauto. Die vorderen Türen ziert eine grüne Aufschrift: Clever Shuttle.

Taxi mit Mitfahrer

So heißt ein neuer Fahrdienst, der seit einigen Wochen in Leipzig angeboten wird; so heißt auch das dahinter stehende Start-up-Unternehmen aus Berlin. Der Dienst funktioniert ähnlich wie ein Taxi - man bestellt sich ein Auto mit Fahrer. Das Besondere: Man muss damit rechnen, dass noch jemand mitfährt. Bei „Clever Shuttle“ können sich zwei oder mehr Kunden, die in etwa dieselbe Richtung haben, ein Auto teilen. Dadurch sinkt der Fahrpreis - die Firma wirbt damit, 40 Prozent günstiger zu sein als Taxen. Die Fahrgäste müssen aber bereit sein, kleinere Umwege in Kauf zu nehmen.

Unsere Mobilität wandelt sich gerade rasant. „Clever Shuttle“ ist nur ein Beispiel dafür. Mit Apps wie „Qixxit“ oder „Moovel“ lassen sich Wege von A nach B planen, mit Bus und Bahn, Auto und Fahrrad oder allem zusammen. Dienste wie „Easy go“ im Mitteldeutschen Verkehrsverbund bieten Fahrplanauskunft und Ticketkauf in einem. Und nun träumt Bahnchef Rüdiger Grube vom „Deutschland-Ticket“, einer Fahrkarte für alle Verkehrsmittel. Die Hürden dafür sind hoch: Alle Bus- und Bahnbetreiber der Republik, alle Verkehrsverbünde, mehr als 100, müssten ihre Tarifsysteme angleichen.

Suche nach Mehrwerten

Kann das funktionieren? Die Suche nach einer Antwort führt zu Sebastian Pretzsch. Dresden, Südvorstadt. Ein helles L-förmiges Gebäude, am Ende einer ruhigen Wohnstraße halb in den Hang gebaut. Hier hat das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme seinen Sitz. Pretzsch, 33, Diplom-Informatiker, ist der Mann für die Mobilitäts-Apps. Mit seinem Team entwickelt er solche Dienste, genauer: die dafür notwendige Software. Oft in Zusammenarbeit mit Computer-Firmen und Verkehrsunternehmen. „Unsere Aufgabe ist die angewandte Forschung“, sagt Pretzsch. Entscheidend sei am Ende, welchen Mehrwert eine App für den Kunden habe, ob für tägliche Pendler oder Gelegenheitsfahrer.

Auf der Suche nach dem Bahnticket für alles

Ein Ticket für alles - das wäre zweifellos ein Mehrwert. Wie das Angebot konkret aussieht, ist laut Bahn aber noch offen. Zwei Varianten sind denkbar: Eine App, mit der man einfach alle vorhandenen Fahrkarten kaufen kann, egal ob in Hamburg, Halle oder Stuttgart. Der Nachteil dabei: Der Tarifdschungel bliebe bestehen, nur der Weg hindurch würde etwas leichter. Oder ein echtes einheitliches Ticket, das überall gültig ist, in allen Orten, in allen Bussen und Bahnen. Damit wäre der Tarifdschungel gelichtet.

Problem: Aufteilung der Einnahmen

Die erste Variante, sagt Forscher Pretzsch, sei technisch kein Problem. Und die zweite? Pretzsch lehnt sich in seinem Stuhl zurück und holt tief Luft, dann sagt er: „Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass das funktioniert.“ Ein Problem sei die Aufteilung der Einnahmen aus dem Ticketverkauf. Klingt kompliziert? Ein Beispiel: Wer eine Fahrkarte des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes von Halle nach Leipzig kauft, kann damit die Straßenbahn in Halle nutzen, den Zug nach Leipzig sowie Straßenbahn und Bus am Ziel. Dahinter stehen drei verschiedene Betreiber - die kommunalen Verkehrsbetriebe in Halle und Leipzig sowie die Deutsche Bahn. Wer von ihnen bekommt wie viel von den 7,20 Euro, die das Ticket kostet? Dafür gibt es einen komplizierten Verteilungsschlüssel. „Schon in einem Verkehrsverbund ist das ein Riesenaufwand“, sagt Pretzsch, „das müsste man dann bundesweit hinbekommen.“

Alles aus einer Hand

Bahnchef Grube hat sich also ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Nicht von ungefähr will die Bahn erklärtermaßen zum Mobilitätsdienstleister Nummer eins werden, zu dem, der den Kunden alles aus einer Hand bietet: Sie will dieses Geschäft nicht der Konkurrenz überlassen, etwa den Autokonzernen. Diese sind längst eingestiegen, bieten Car Sharing oder andere Dienste. Hinter „Moovel“ etwa steht der Daimler-Konzern.

Im vorigen Jahr hat die Bahn eine Digital-Initiative ausgerufen. Beim Geschäft mit neuen Mobilitätsdiensten will sie nicht ins Hintertreffen geraten. Deshalb kann man nun testweise mit dem ICE-Ticket nach Berlin gleich ein Elektroauto zur Weiterfahrt in der Stadt buchen. Deshalb ist die Reiseplanungs-App „Qixxit“ ein Kind der Deutschen Bahn. Und deshalb hat sich die Bahn auch bei „Clever Shuttle“ eingekauft. Der Konzern hält über seine Nahverkehrstochter DB Regio Südost 18 Prozent der Anteile an dem Start-up. Regio-Südost-Chef Frank Klingenhöfer begründet das so: Für immer mehr Kunden sei nicht bloß die Zugverbindung interessant, sondern die Frage, wie sie von Tür zu Tür kämen. Egal, ob sie dafür den Zug, das Auto oder ein Fahrrad nehmen. „Clever Shuttle“ passe zur Bahn, weil es die „letzte Meile“ bediene. Heißt: Man kommt mit dem Zug am Bahnhof an und fährt mit dem Auto bis vor die Haustür.

Pilotphase läuft derzeit

Leipzig ist die zweite deutsche Stadt nach München, in welcher der Dienst an den Start gegangen ist. Zurzeit läuft eine Pilotphase, täglich von 15 Uhr bis Mitternacht. Zeit also für einen Test - der leider nicht so reibungslos verläuft wie erhofft: Zwei-, drei Mal verschwinden Buchungsanfragen im Nirvana. Ein Software-Problem? Ist die Internet-Verbindung zu langsam? Das wird nicht ganz klar. Doch dann klappt es. Auf dem Smartphone ploppt der Fahrpreis auf: Leipzig, Schillerstraße - Leipzig, Connewitzer Kreuz, 3,44 Euro. Ein Festpreis, egal ob man der einzige Fahrgast ist oder sich die Fahrt mit jemandem teilt. Das ist zwar günstiger als ein Taxi, aber teurer als die Straßenbahn. „Man muss bereit sein mehr zu zahlen als für den öffentlichen Nahverkehr“, räumt der Geschäftsführer und Mitgründer Bruno Ginnuth ein, der mit Jeans, Turnschuhen und Bart wirkt wie der Prototyp des smarten Jungunternehmers.

Am Steuer des Citroens, der jetzt um die Ecke biegt, sitzt Ali („Ali reicht“), Student der Elektrotechnik, 25. Bei Clever Shuttle hat er einen 20-Stunden-Job: „Ich muss ja auch noch studieren.“ Lässig lenkt er den Kleinwagen durch den Leipziger Feierabendverkehr. Ein Fahrgast pro Fahrt, das sei die Regel bisher, erzählt er. Nur selten habe er Touren, bei denen zwei Kunden sich die Fahrt teilten.

Zuerst hatte die Stadtverwaltung noch Angst

Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei zur selben Zeit in etwa in dieselbe Richtung müssten, ist noch gering. Das Unternehmen gibt den Anteil geteilter Touren mit acht Prozent an, Tendenz steigend. Die Zahl der Kunden in Leipzig hat sich von sechs beim Start Ende März auf 280 erhöht, sie buchen wöchentlich 120 Fahrten.

Nach viel klingt das nicht. Doch zum einen, sagt Geschäftsführer Ginnuth, stecke „Clever Shuttle“ noch in der Testphase. Und zum anderem fahren in Leipzig jährlich fast 140 Millionen Menschen mit Bussen und Bahnen. „Wenn wir nur einen kleinen Teil davon gewinnen können, können wir gut existieren.“ Welche Zahl von Kunden realistisch ist, darauf mag Ginnuth sich nicht festlegen.

Umsatz am Wochenende

An Freitag- und Samstagabenden sei am meisten los, erzählt Fahrer Ali. Dann teilen sich Leute ein Auto, die bisher ein Taxi genommen haben. Auch in München macht „Clever Shuttle“ den größten Umsatz an den Wochenenden. Als Zielgruppe hat das Unternehmen die so genannten „Young Professionals“ im Auge. Junge Leute zwischen 25 und 35, die einen Uni-Abschluss und einen guten Job haben. Die sich etwas leisten können, denen Busse und Bahnen zu unsicher sind oder zu unbequem, wenn sie mit einem Haufen Gepäck am Bahnsteig stehen. Und denen, so betont Geschäftsführer Ginnuth, es nicht egal sei, wie sie von A nach B kämen. „Immer mehr Menschen wollen umweltfreundlich fahren.“ Deshalb hat das Unternehmen ausschließlich Elektro- und Hybrid-Autos im Fuhrpark.

Der Start in Leipzig war nicht ganz einfach. „Am Anfang dachte man in der Stadtverwaltung, da kommt jemand wie Uber“, sagt Frank Klingenhöfer vom Anteilseigner Deutsche Bahn. Doch „Clever Shuttle“ sei anders als der umstrittene US-Fahrtvermittler, der nach mehreren Gerichtsurteilen seinen Taxi-Dienst „UberPop“ mit privaten Fahrern in der Bundesrepublik mittlerweile eingestellt hat. Die Fahrer von Clever Shuttle haben nach Unternehmensangaben einen Personenbeförderungsschein und eine sogenannte Ortskundeprüfung absolviert, um nachzuweisen, dass sie sich auskennen in der Stadt - genau wie Taxifahrer. Sie arbeiten nicht auf eigene Rechnung, sondern sind fest angestellt.

Tablet an der Frontscheibe

So wie Ali. Kaum ist er losgefahren, ploppen auf einem Tablet an der Frontscheibe Daten zum nächsten Kunden auf - Name, Abfahrtsort, Ziel. Er möchte vom Süden in den Osten, von der Zwickauer in die Mariannenstraße. Für Ali wäre das auch ohne Ortskundenachweis kein Problem. Bevor er bei dem Fahrdienst anheuerte, hat er drei Jahre lang Pizza ausgefahren in Leipzig.

(mz)

Die App des Fahrdienstes zeigt die Route auf einer Karte.
Die App des Fahrdienstes zeigt die Route auf einer Karte.
Andreas Stedtler