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Unternehmerinnen in Sachsen-Anhalt Unternehmerinnen in Sachsen-Anhalt: Firma aus der Insolvenz gerettet

Von Bärbel Böttcher 14.03.2014, 06:00
Katrin Simstedt demonstriert die Funktion eines Bowdenzuges.
Katrin Simstedt demonstriert die Funktion eines Bowdenzuges. Boe Lizenz

Quedlinburg/MZ - „Quant e“ - das ist der Name eines Elektroautos. Die Firma Nanoflowcell aus Liechtenstein hat es entwickelt. Sie sorgt damit derzeit auf dem Genfer Autosalon für viel Aufmerksamkeit. Und daran hat auch die Quedlinburgerin Katrin Simstedt einen kleinen Anteil. Denn in dem Modell stecken Bowdenzüge, die in ihrem Betrieb hergestellt worden sind. Ganz kurz vor der Eröffnung der Automesse Anfang März kam die Anfrage, ob sie liefern kann. Und sie konnte.

Katrin Simstedt ist eine Jungunternehmerin, die einem Traditionsunternehmen vorsteht. Ein Widerspruch? Nein. Bereits seit 1958 stellt der Quedlinburger Betrieb Bowdenzüge her - bewegliche Drahtseile in einer Hülle zur Übertragung einer mechanischen Bewegung. Er kam gut über die Wende. Doch Mitte 2012 musste der damalige Besitzer der Mechanischen Werkstätten Insolvenz anmelden. Die heute 48-Jährige, die selbst viele Jahre dort gearbeitet hatte, wollte nicht zulassen, dass das Unternehmen von der Bildfläche verschwindet. Sie gründete es neu. So entstand die „Bowdenzugmanufaktur“. Katrin Simstedt ist damit ein Beispiel dafür, dass Frauen nicht nur in der Ferne ihr Glück finden können. „Sie müssen sich nur selbst etwas zutrauen“, sagt sie. Ihr Engagement wurde gestern sogar mit einem vom Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr ausgelobten Preis gewürdigt.

Einmaliges Angebot

Was hat die Quedlinburgerin angetrieben? „Einen Betrieb wie den unseren gibt es deutschlandweit in dieser Form nicht noch einmal“, sagt sie. Zwar würden Bowdenzüge auch anderenorts hergestellt. „Wir sind aber deutschlandweit der einzige Betrieb, der sie in Kleinserien und auch als Einzelanfertigungen in Handarbeit anbietet.“ So etwas könne man doch nicht den Bach runtergehen lassen.

Sachsen-Anhalt hat Unternehmerinnen und Firmen in drei Kategorien ausgezeichnet:

Besonders engagierte Frau: Franziska Hillmer, Unternehmensberaterin aus Hettstedt und Cornelia Heidrich, Pflege-Unternehmerin in Bitterfeld-Wolfen

Frauenfreundliches Unternehmen: Salutas Pharma GmbH Barleben und Kelles Suppenmanufaktur Bismark

Bestes Jungunternehmen: Bowdenzugmanufaktur GmbH Quedlinburg und Bilder-Buch-Café in Havelberg

Das Hauptmotiv, das Unternehmen zu erhalten, waren für Katrin Simstedt jedoch die Menschen, die dort beschäftigt sind. Die kannte sie seit langem, wusste um ihre familiären Verhältnisse und ihre Verwurzelung in der Region. Sie erzählt beispielsweise vom Produktionsleiter, der der Firma seit zehn Jahren die Treue hält. Der Mann hat eine kleine Tochter, seine Frau arbeitet in Quedlinburg, Eltern und Schwiegereltern leben am Ort. „Er wollte nie wegziehen aus Quedlinburg“, erzählt sie. Doch das wäre wohl die Alternative zur Arbeitslosigkeit gewesen. Oder von dem älteren Ehepaar - 57 und 59 Jahre alt. „Die beiden hätten doch nie wieder eine Arbeit gefunden“, sagt Katrin Simstedt. Sie nahm kurzerhand die Geschicke der Firma selbst in die Hand. Das nötige Rüstzeug lieferte ihr eine ingenieurtechnische Ausbildung. Erfahrungen hat sie im Verlauf ihres Berufslebens zudem im kaufmännischen Bereich sowie in der Personalabteilung eines großen Lebensmitteldiscounters gesammelt.

Es war dann der 19. November 2012, als Katrin Simstedt von der Insolvenzverwalterin den Schlüssel der Firma übernahm. Nun galt es zunächst aufzuräumen. 1,6 Tonnen Schrott wurden im ersten Schritt entsorgt. Bereits am 1. Dezember startete die Produktion. Zunächst mit zwei Mitarbeitern. Heute, ein reichliches Jahr später, sind es bereits acht - fünf Vollbeschäftigte, zwei geringfügig Beschäftigte und ein Azubi. Zum Standardsortiment gehören Bowdenzüge für DDR-Mopeds und -Motorräder. „Die sind Kult“, sagt Katrin Simstedt. Es werden Bowdenzüge für Oldtimer, Traktoren, Baumaschinen, Badewannen, Fördertechnik und vieles mehr gefertigt. Auch Reißleinen für Rettungsfallschirme gehören zur Produktpalette. „Ein Wahnsinnssortiment“, findet die Unternehmerin. Und ist ständig dabei, es zu erweitern. So konnte die Vorgängerfirma nur Bowdenzüge mit einer Seilstärke von bis zu vier Millimetern herstellen. Jetzt geht das bis zu einer Seilstärke von sechs Millimetern. „Das lässt Angebote für Baumaschinen und schwere Arbeitsgeräte zu“, erläutert die Chefin. Seit kurzem werden zudem Tachowellen angefertigt.

Nein, über Auftragsmangel kann sich die Quedlinburger Bowdenzugmanufaktur nicht beklagen. Und sie hat nicht nur in ganz Deutschland Kunden. „Mit einem Schweizer Klavierbauer haben wir zum Beispiel einen speziellen Stummschalt-Bowdenzug entwickelt, der das lautlose Spielen ermöglicht“, erzählt Katrin Simstedt. Auch aus Belgien, Ungarn und Österreich gibt es Anfragen.

Doch von selbst hat sich der Erfolg nicht eingestellt. Die Unternehmerin rührt emsig die Werbetrommel. Zum einen im Internet, zum anderen aber macht sie ihren Betrieb durch die gute alte Postkarte bekannt. 17 000 davon hat die Unternehmerin mit Unterstützung ihres Vaters bereits verschickt - etwa an Motorradwerkstätten, Oldtimerrestaurateure und - vereine, aber auch an Baumaschinenhersteller und -vermieter. Der Clou dabei ist - sie werden mit der Hand geschrieben. „Das fällt mehr auf als ein gedruckter Flyer.“ Die Resonanz bestätigt das.

Natürlich ist Katrin Simstedt auch auf Messen unterwegs. Bei solchen Gelegenheiten spürt sie oft, dass sie anders behandelt wird als ein Mann. „Ich muss immer Fachwissen nachweisen, das bei einem Mann als selbstverständlich angesehen wird“, sagt sie. Tauche sie irgendwo mit ihrem Lebensgefährten auf, werde grundsätzlich er angesprochen. Und da im Betrieb ihr Büro das erste nach der Eingangstür ist, wurde sie häufig als die Vorzimmerdame angesehen. Jetzt hängt an der Tür ein großes Schild mit der Aufschrift „Chefin“.

Selbstbewusstsein nötig

„Wer über ein so ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügt wie ich, kann das wegstecken“, sagt Katrin Simstedt. „Ja, man muss richtig von sich überzeugt sein.“ Und da sie das ist, hat sie sich um den vom Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr ausgelobten „Women-Award“ beworben - in der Kategorie „Bestes Jungunternehmen unter weiblicher Führung“. „Die Jury ist besonders beeindruckt, mit welchem Herzblut Frau Simstedt hinter der Bowdenzugmanufaktur und den Angestellten steht“, sagt Jury-Mitglied Bianca Röthig.

Es ist übrigens nicht der erste Preis für die Unternehmerin. Im vergangenen Jahr erhielt sie den vom Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium verliehenen „Gründerinnenpreis 2013“.

„Die Preise“, so sagt Katrin Simstedt „sind meine Anerkennung.“ Natürlich weiß sie auch um die Werbung, die damit verbunden ist. Die wird sie in Zukunft verstärkt haben - als Preisträgerin wird sie Teil einer Imagekampagne sein, mit der Sachsen-Anhalt gerade Frauen zeigen will, dass sie hier eine gute Perspektive haben.