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Udo Jürgens wird 80 Udo Jürgens wird 80: Der Mann am Klavier

Von Margit Boeckh 27.09.2014, 11:39
Auch mit 80 bleibt die Bühne seine Welt: Udo Jürgens – hier bei einem Auftritt Mitte September in Hamburg.
Auch mit 80 bleibt die Bühne seine Welt: Udo Jürgens – hier bei einem Auftritt Mitte September in Hamburg. DPA Lizenz

Halle (Saale) - Griechischer Wein, aber bitte mit Sahne und das auch noch mit 66, ach nein, jetzt sogar unglaublichen 80 Jahren? Ein Udo Jürgens schafft das offenbar ohne Mühe. „Mitten im Leben“ heißt sein neuestes Album. Und unter eben diesem Motto packt er jetzt gerade wieder den Smoking und seinen berühmten Bademantel ein und geht auf Tournee. Ein Konzertmarathon durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Bei stolzen Ticketpreisen. Was sein Publikum aber nicht schreckt. Für ihn füllen sich die Hallen noch immer wie von selbst. Seit über einem halben Jahrhundert, das er generationenübergreifend mit dem Soundtrack seiner Lieder begleitet hat.

Mit 80, mitten im Leben? Hallo, geht’s noch? Soll das augenzwinkernde Ironie sein? Oder doch mehr lächelnde Beharrung mit einer Prise Trotz? Wie auch immer: Dieser Mann ist ein Phänomen. Wie der schon/noch aussieht! Wer ihn heute live erlebt, gibt ihm gut und gerne zehn, ja mehr Jahre weniger. Schlank, straff die Figur, absolut tauglich für den Smoking auf der Bühne wie gerne auch für Jeans und Sakko mit offenem Hemd bei Interviews. Graue Schläfen gönnt er sich jetzt zum immer noch braunen Haarschopf. Ob dessen Tönung doch à la Schröder ist - keine Ahnung.

Die tiefen Nasolabialfalten hatte er schon mit dreißig. Ein paar Altersflecken im Gesicht sind weggeschminkt für die Auftritte. Die auf dem Handrücken bleiben unleugbar. „Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mich mein Alter nicht erschreckt“, hat er schon zu seinem 75. bekannt. Trotz alledem: Auch fünf Jahre später wirkt er keineswegs wie seine Jahre. Schon gar nicht auf der Bühne. Da kann er noch immer auf einen extra Schub Adrenalin zurückgreifen. Was ihn beflügelt, sein Publikum mit dem Charme des begnadeten Entertainers zu verführen. Als irgendwie alterslose Erscheinung, wie seine Musik.

Von Oktober an geht Udo Jürgens auf seine 25. Konzerttournee, u. a. in Erfurt (14.11.), Berlin (15.11.) und Leipzig (17.11.).

Dokumentation „Der Mann, der Udo Jürgens ist“ (29.9., 20.15 Uhr, ARD); Show „Udo Jürgens - Mitten im Leben“ (18.10., 20.15 Uhr, ZDF), u.a. mit Helene Fischer, David Garrett, José Carreras

Zweiteiler „Der Mann mit dem Fagott“ nach dem Roman von Udo Jürgens (28.9., 23.35 Uhr, und 29.9., 21.45 Uhr, ARD)

Ab Ende März ist das Musical „Ich war noch niemals in New York“ im Stage Theater des Westens in Berlin zu sehen.

„Udo Jürgens: Sein Leben, seine Erfolge“ (Atlantik Verlag, 2014, 9,99 Euro); „Der Mann mit dem Fagott“ (Limes Verlag, 2011, 14,99 Euro)

Selbst wenn man seine eigenen musikalischen Favoriten nicht unbedingt im deutschen Schlager findet, haben sich doch viele Udo-Jürgens-Hits beharrlich ins Ohr eingenistet. Merci, Cherié. . .! Wohl auch, weil dieser Ausnahmekünstler stets mehr als nur ein Schlagerfuzzi sein wollte. Die Musik für seine mittlerweile über tausend Lieder hat er selbst geschrieben. Die Texte nicht. Da ist denn auch viel Gebrauchslyrik der gefühligen Art enthalten. Mit Reimen wie Herz auf Schmerz und Zeit auf Glückseligkeit. Doch liegen die meisten seiner Texte allemal noch über dem Durchschnitt deutschen Schunkelschlagerschaffens.

Für sein Geburtstagsständchen wurde Helene Fischer engagiert - eine, die im Vergleich zum großen Udo gewissermaßen noch in den Anfängen steckt. Doch Udo Superstar, der ist nicht so. Hat offenbar kaum Berührungsängste. Zollte der Drag-Erscheinung Conchita Wurst Anerkennung. Belächelte allenfalls sanft das krachlederne Pseudo-Volksmusikschaffen in seinem Lied „Humtata und Täterä“ mit dem Vers „Fesche Madel, feste Wadel und den Musikantenstadel“. Und bemängelt überhaupt allzuviel heutige Spießigkeit im Gegensatz zum Zeitgeist seiner Jugend, wo „wir alle fröhlich unterwegs“ waren: „Es wurde viel getrunken, es waren viele Frauen in unserem Leben. Ich glaube, da lebt die heutige Jugend bedeutend spießiger.“

Auf der nächsten Seite: "Ein Star zum Anfassen, gar zum kumpelhaften Auf-die-Schulter-Klopfen ist der so viel Verehrte gerade nicht"

Sein Leben, das war ja über lange Jahrzehnte nun wirklich rund und bunt. Die unter seinem Namen erschienenen Biografien geben Einblicke in die Vergangenheit und das Dasein, wenn wohl auch nur eine Ahnung von dem Mann, der Udo Jürgens ist. Denn bei all seiner sympathischen Offenheit, der Zuwendung zum Publikum (das - wie das Management zufrieden vermerkt - keineswegs nur aus reifen Damen, sondern immer öfter auch aus Männern und überhaupt aus allen Altersgruppen besteht), selbst bei aller Popularität im besten Sinne: Ein Star zum Anfassen, gar zum kumpelhaften Auf-die-Schulter-Klopfen ist der so viel Verehrte gerade nicht. Auch in einer TV-Dokumentation zeigt sich „Der Mann, der Udo Jürgens ist“ rein privat eher verhalten. Das mag sehr wohl auch von seiner Herkunft rühren.

Die bewegte Geschichte der Familie Bockelmann wird in seiner Autobiografie „Der Mann mit dem Fagott“, verfilmt in einem TV-Zweiteiler, erzählt. Denn als Jürgen Udo Bockelmann wurde der erst seit den Fünfzigern unter dem Namen Udo Jürgens Auftretende am 30. September 1934 im österreichischen Klagenfurt geboren. Auf einem Schloss. In großbürgerlichem Umfeld und mit entsprechender Lebensweise samt Dienstboten und programmierter „seriöser“ Karriere. Der Reichtum geht zurück auf den im zaristischen Russland als Banker erfolgreichen Großvater. Der floh nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und vor den radikal-kommunistischen Bedrängungen mit der Familie nach Schweden, fand schließlich auf Schloss Ottmanach im österreichischen Kärnten eine neue Heimat. Prominente Verwandtschaft inbegriffen. Zu der zählten etwa Dadaisten-Guru Hans Arp und Frankfurts langjähriger Oberbürgermeister Werner Bockelmann.

Mit zwei Brüdern wuchs der eher schmächtige Junge, der später Udo Jürgens wurde, dort auf. Was gewiss einen anderen Start als über ein Irgendwas-Casting bedeutete, den Heranwachsenden mit seinem unbedingten Musikerwunsch aber doch zum „schwarzen Schaf“ der Familie stempelte. Denn die Musik war für ihn das Leben von Kindheit an. Beinahe gefährdet allerdings durch die heftige Ohrfeige eines Hitlerjugendführers, die sein Hörvermögen beeinträchtigt. Doch Udo ging seinen Weg. Immer nur die Musik im Sinn. Kein Abitur, aber Studium am Salzburger Mozarteum. Der erste Erfolg: Unter 300 Teilnehmern Sieger bei einem Komponistenwettbewerb im Rundfunk. 1950 war das. Nebenbei erste Auftritte in kleinen Lokalen. Rund ein Jahrzehnt hieß es durchhalten bis zu einem ersten Erfolg mit dem Lied „Jenny“. Harte Jahre, von denen er sagt: „Ich hatte kein Geld, lebte von der Hand in den Mund und von der Klaviertaste in den Teller.“

Auf der nächsten Seite: Keine Erfolge beim Eurovision Song Contest und ein bewegtes Privatleben.

Bei mehreren Anläufen beim Eurovision Song Contest wurde er immer nur auf die Plätze verwiesen. Selbst mit dem Titel „Warum nur, warum“, der zum Superhit in den USA und rund um die Welt werden sollte. Er komponierte für Frank Sinatra, Sammy Davis Jr. und Shirley Bassey. Mit „17 Jahr, blondes Haar“ und „Sag ihr, ich lass’ sie grüßen“ entstanden Ohrwurmkracher wie für die Ewigkeit. Doch erst 1966 war dann mit dem Eurovision-Sieg von „Merci, Cherie“ alles klar. Internationaler Karrierestart, Tourneen weltweit, Hits ohne Ende. Die bringen oft ein Stück vom Leben ihres Schöpfers in die Welt. Musik und Texte, die Generationen von Menschen berühren. Herz und Empfinden fürs Soziale („Griechischer Wein“, „Ein ehrenwertes Haus“) jenseits von politischer Vereinnahmung waren oft Anliegen und Bekenntnis. Schlichte Wahrheiten, den Zeitnerv im Fokus.

Udo Jürgens privat: zwei Ehen, zwei Kinder. Der Sohn John (geboren 1964) Schauspieler und DJ, Tochter Jenny (geboren 1967) Sängerin und Schauspielerin. Dass die Treue einzig seiner Musik galt und gilt, im übrigen eine Sache der (ihm oft gebotenen) Gelegenheiten sei, daraus macht Udo Jürgens ebenso wenig ein Hehl wie daraus, dass er es zu Zeiten ordentlich krachen ließ.

Seit langem geht er es ruhiger an. Lebt mit einer Freundin als österreichisch-schweizerischer Doppelstaatsbürger in Zürich und an einem Rückzugsort in Portugal. „Das Leben genießen ist etwas, was unserer Seele und damit auch unserem Körper gut tut“, ist sein Credo. Wie ein lebender Beweis trägt der nunmehr 80-Jährige diese Haltung vor das Publikum seiner nun vielleicht allerletzten Tournee. Als ein „Flügelstürmer der Sentimentalität“, wie er auch schon genannt wurde. Ganz sicher als einer der größten, im besten Sinne populärsten Entertainer deutscher Zunge der vergangenen Jahrzehnte.

80 Jahre und noch immer nicht genug: Schlagersänger Udo Jürgens
80 Jahre und noch immer nicht genug: Schlagersänger Udo Jürgens
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Jürgens im Gespräch mit Willy Brandt und dessen Frau Ruth beim Sommerfest des Bundeskanzlers 1970.
Jürgens im Gespräch mit Willy Brandt und dessen Frau Ruth beim Sommerfest des Bundeskanzlers 1970.
Bundesarchiv Lizenz
Die deutsche Nationalmannschaft nahm mit Udo Jürgens 1990 Lieder auf.
Die deutsche Nationalmannschaft nahm mit Udo Jürgens 1990 Lieder auf.
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