1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Überwachung: Überwachung: Der Staatsfeind lauerte überall

Überwachung Überwachung: Der Staatsfeind lauerte überall

Von STEFFEN KÖNAU 05.05.2009, 20:12

HALLE/MZ. - Kurze Zeit später holt ein Stasi-Kommando die "Demonstrativtäter" ab. Kriminaltechniker treffen ein, um die Schrift ("zwei Meter breit, 45 cm hoch") auszumessen, zu sichern und zu entfernen.

Letzter großer Auftritt

Es ist der letzte große Auftritt, den das Ministerium für Staatssicherheit in diesen Frühlingstagen 1989 absolviert. Seit dem Winter schon hat in der Bezirksverwaltung immer wieder ein Operativer Einsatzstab getagt, um die Aktion "Symbol 89" zur "Absicherung der Kommunalwahlen" vorzubereiten. Jetzt wird es ernst. Während die führenden SED-Politiker bei Wahlveranstaltungen vom "Sozialismus in den Farben der DDR" schwärmen, wissen die Männer von der Sicherheit durchaus, dass die Stimmung draußen im Lande schlechter ist denn je. Detailliert wird in IM-Berichten aufgelistet, wie die Zahl der Ausreisewilligen steigt und die Zahl der kritischen Schreiben an Partei und Behörden zunimmt.

Doch im 40. Jahr der DDR soll das Wahlergebnis ein leuchtendes Beispiel für die funktionierende sozialistische Demokratie werden. In endlosen Listen haben Stasi-Zuträger deshalb Namen von "Eingabenverfassern", "Symbolträgern" und "Ausreiseantragstellern" zusammengetragen. Eine spezielle Computerdatei zählt alle "feindlich-negativen Kräfte" auf und vermerkt jeden "im Vorfeld" bekannt gewordenen Wahlverweigerer. Viel Arbeit für den Einsatzstab: In den Wochen vor der Wahl bekommen allein im Bezirk Halle mehr als 9 000 erfasste "Wahlverweigerungs-Ankündiger" ("Verdopplung gegenüber 1986") Besuch von MfS-Mitarbeitern. Es gehe darum, heißt es in einer Anweisung, die Betreffenden "zu disziplinieren" und den "Differenzierungsprozess unter den Antragstellern auf Ausreise zu forcieren". Einem Teil der Ausreisewilligen wird versprochen, dass er ausreisen darf, wenn er bis zur Wahl still bleibt. Einem anderen wird mit Repressalien gedroht. Eine dritte Gruppe wird "noch vor dem Wahltag umgesiedelt". Mit dieser minutiös geplanten Strategie hat das Mielke-Ministerium ein letztes Mal Erfolg. "Von den 9 669 angekündigten Wahlverweigerungen wurden 4 530 zurückgezogen", kann die zuständige Abteilung XX nach oben melden.

Sozialistischer Gang

Da Mielkes Männer auch die unmittelbare Vorbereitung der Wahl bis zur Auswahl der Wahlvorstände genau im Auge behalten hatten, geht am Wahltag alles seinen sozialistischen Gang. Die Ergebnisse aus den Briefwahllokalen etwa sind dem Diensthabenden des MfS vierzehn Stunden vor Wahlbeginn bekannt. Schon vor Öffnung der Wahllokale weiß das MfS so genau, in welchem Maß gefälscht werden muss, um zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen. Als die Fälschungen auffliegen und sich massive Kritik regt, erlässt Erich Mielke die "Anweisung 38 / 89", in der er wortwörtlich vorgibt, wie auf die Flut von Beschwerden zu antworten sei: "Die Wahlkommission hat das Wahlergebnis festgestellt und veröffentlicht. Dem ist nichts hinzuzufügen." Folgende Strafanzeigen seien "kommentarlos entgegenzunehmen". Nach Ablauf der vorgesehenen Fristen sei "von den zuständigen Organen zu antworten, dass keine Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen".