1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Totensonntag: Totensonntag: Abschied mit Tusch

Totensonntag Totensonntag: Abschied mit Tusch

Von Ralf Böhme 23.11.2012, 19:29

Halle (Saale)/MZ. - Neumanns sind musikalische Leute. Aus dem Büro, wo Elke Neumann gerade die Abrechnung macht, klingt Klassisches. In der Werkstatt zimmert Roland Neumann, Halles ältester Bestatter, einen Sarg - und summt dabei eine volkstümliche Weise. Wer Verstorbene zur letzten Ruhe bettet, muss selbst nicht traurig sein. Im Gegenteil. "Das Leben ist schön", sagt der fast 70-Jährige. Und schön soll auch das Ende sein, so sein Anspruch. Dafür arbeiten Neumanns seit mehr als zwei Jahrzehnten.

Das Ehepaar leistet Beistand nach Wunsch - ein Anruf genügt. Dann setzt sich Roland Neumann ans Steuer, auch abends und nachts. "Das passiert heute häufiger als früher." Aus diesem Grund verzichtet der Unternehmer auf seine Lieblingsbeschäftigung. "Ich stehe gerne auf der Bühne, war lange Kleindarsteller im Opernhaus." In einem Stück habe er sogar einmal sterben müssen - "ein komisches Gefühl".

Zu jener Zeit verdienten Neumanns ihre Brötchen noch in der Burghochschule. Meister Neumann leitete die Holzwerkstatt, seine Frau war Sekretärin von Willi Sitte, einem der wichtigsten Maler der DDR. Nach der Wende suchten und fanden sie einen Neuanfang: ihr Bestattungshaus in Trotha.

6 728 Todesfälle - manche Kleinstadt zählt weniger Einwohner - haben Neumanns bislang betreut. Auf den ersten Blick ähneln sich die Abläufe. "Doch kein Fall gleicht dem anderen", sagt Elke Neumann. An bestimmte Einzelheiten erinnere man sich noch nach langer Zeit. Da gab es den Notruf, einen 160 Kilogramm schweren Leichnam aus einer verwinkelten Dachgeschoss-Wohnung zu holen. "Das ist Schwerstarbeit." Dort brauchten junge Eltern in ihrer schwersten Stunde unendlich viel Trost, weil ihr Kind tödlich verunglückt war. Aber auch die vielfältigen Wünsche von Angehörigen stellen selbst einen erfahrenen Bestatter vor neue Herausforderungen. Neumanns nennen einige aktuelle Probleme des Handwerks.

Erstes Beispiel: Spezielle Wünsche nehmen zu. Aber wie überzeugt man Betroffene, dass nicht jeder letzte Wille eines Verstorbenen erfüllt werden kann? So ist etwa gesetzlich festgeschrieben, dass Hund und Herrchen nicht zusammen beigesetzt werden dürfen. Dafür gibt es getrennte Friedhöfe. Ebenso wenig darf die Asche eines Toten in alle Winde verstreut werden. Anderes gelingt nur über Umwege. So können Urnen in den Niederlanden auch in Flüssen versenkt werden. Nach deutschem Recht ist so etwas nur in ausgewählten Regionen von Nord- und Ostsee zulässig. Sieben bis zehn Kunden pro Jahr entscheiden sich für diese Variante.

Zweites Beispiel: Immer mehr Kunden regen sich über Bestattungskosten auf. Dabei ist die Spanne der Angebote groß, das reicht vom Kiefernsarg für 350 Euro bis hin zum Mahagoni-Prunksarg mit Schnitzereien und Messing-Griffen für 4 200 Euro. Alles ist möglich, auch bei Urnen. Marmor, Keramik oder exotisches Holz, dann kostet das kleine Behältnis 500 Euro und mehr. Top-Trauerredner wie der hallesche Schriftsteller Konrad Potthoff treffen den Ton, aber umsonst ist auch das nicht. Immerhin, 150 Mal im Jahr ist der Mann gefordert. Ob Erd- oder Feuerbestattung, das ist aber nur selten ein Thema. 90 Prozent der verstorbenen Hallenser werden auf eigenen Wunsch in einem Krematorium verbrannt. Diese Art des Abschieds kostet rund 3 500 Euro. Das althergebrachte Erd-Begräbnis dagegen ist oft doppelt so teuer.

Drittes Beispiel: Der billigste Sarg, das einfachste Sterbehemd für 35 Euro, die schlichteste Urne, nur eine Blume am Grab, keine Pflegeverpflichtung - unschlagbar ist, wenn es um den Preis geht, die anonyme Bestattung in aller Stille. Und das kommt mehr denn je an. Auf manchen Friedhöfen erfolgt mittlerweile jede zweite Beisetzung so. Indes, so Neumanns Erfahrung, fehlt später Angehörigen mitunter der Bezug zur namenlosen "grünen Wiese". Eine spätere Umbettung der Urne ist aber ausgeschlossen, man findet sie nicht.

Nur eine Aufwandsentschädigung verdienen Neumanns an einem neuen Trend aus den USA: Beisetzung im Friedwald. Erst seit ungefähr fünf Jahren besteht diese Möglichkeit in Sachsen-Anhalt, etwa in Oranienbaum (Kreis Wittenberg). Die biologisch abbaubare Urne findet ihren Platz an der Wurzel eines Baumes. Wer diese Zeremonie plant, darf wählen: je nach Baumart und Lage stehen letztlich Summen zwischen 700 und 6 350 Euro auf der Rechnung.

Rente mit 67? Roland Neumann lacht. Ans Aufhören denkt der Bestatter nicht. Wenn der liebe Gott mitspielt, setzt er auch noch mit 75 Jahren den schwarzen Friedhofs-Zylinder auf. Doch natürlich denkt der Unternehmer auch schon mal an die eigene Totenfeier. Jung-Meister Robert Wermann, sein früherer Lehrling, könnte wohl alles bestens regeln. Klar ist, auf dem Gottesacker der benachbarten St. Briccius-Gemeinde will Neumann seine letzte Ruhe finden. Doch vorher gibt es noch einen lauten Tusch. Die Trauergäste sollen seine Lieblingsmelodien hören. "Schlager von Andrea Berg und Hits der Kastelruther Spatzen, der letzte Ton muss stimmen." Ehefrau Elke will sich hingegen mit Antonin Dvoráks Volks-Sinfonie "Aus der neuen Welt" verabschieden, irgendwann. Ihr Mann rät: "Nimm dir nur Zeit, du kommst nach."