1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Tödlicher Unfall auf A4: Tödlicher Unfall auf A4: Amtsgericht Dresden lehnt Haftbefehl gegen Busfahrer ab

Tödlicher Unfall auf A4 Tödlicher Unfall auf A4: Amtsgericht Dresden lehnt Haftbefehl gegen Busfahrer ab

20.07.2014, 07:40
Blick ins Innere des am 19. Juli 2014 verunglückten Reisebusses an der Bundesautobahn A4 bei Dresden-Neustadt.
Blick ins Innere des am 19. Juli 2014 verunglückten Reisebusses an der Bundesautobahn A4 bei Dresden-Neustadt. dpa Lizenz

Dresden - Zwischen Fahrzeugtrümmern liegen ein Domino-Spiel, ein Mini-Polizeiauto, Legosteine: „Das sind wohl Mitbringsel für die Familie“, sagt Polizeihauptmeister Sven Korzus. Am Samstagmorgen, wenige Stunden nach dem schweren Busunglück, ist die Unfallstelle auf der A4 rund 500 Meter vor der Abfahrt Dresden-Neustadt ein Trümmerfeld. Und ein Bild des Grauens. Zwischen zerstörten Leitplanken liegt ein völlig zerfetztes Wrack, das einmal ein Kleinbus war, in dem neun Menschen saßen.

Persönliche Gegenstände bedecken Fahrbahn

Über die Fahrbahn verstreut liegen Trolleys, Taschen und Kartons zwischen Autositzen und -resten, Glassplittern, Essen, CDs mit polnischen Schlagern und Zeitschriften auf der Fahrbahn. An der Mittelleitplanke lehnt ein zerbeultes Fahrrad, aus einem von Helfern aufgetürmten Berg Habseligkeiten auf dem Standstreifen ragen die Lenksäule und der zerfetzte Motor des polnischen Kleintransporters.

Acht der neun Insassen hatten auf dem Weg in die Heimat keine Überlebenschance. Sie starben brutal, als kurz vor 2 Uhr nachts ein aus der Gegenrichtung schleudernder, ebenfalls polnischer, Doppeldecker durch die Mittelleitplanke brach, frontal in ihr Fahrzeug raste und es teilweise überrollte. Der Kleinbus war wohl ein Fahrservice, wie er von Zeitarbeitern genutzt wird, mutmaßt ein Beamter. Auch die diesmal neun Insassen waren zum Wochenende gen Osten unterwegs. Insgesamt starben bei dem Umglück zehn Menschen, 69 wurden verletzt, 39 davon schwer, mehrere Opfer schwebten am Sonntag noch in Lebensgefahr.

Am Sonntag erinnern nur noch Markierungen auf der Fahrbahn, plattgedrücktes Gras und abgerissene Leitplanken an die furchtbare Tragödie, die selbst erfahrene Retter wie Angela Otto vom Kriseninterventionsteam der Feuerwehr entsetzt. „Einen Unfall dieses Ausmaßes habe ich noch nie gesehen“, sagt die 50-Jährige. Sie gehörte zu den vielen Helfern in der Nacht, betreute viele unter Schock stehende Opfer. „Die vielen Toten und Verletzten - es war ein Bild des Grauens.“

Im polnischen Fernsehen berichteten Überlebende vom Schrecken in der Nacht. „Der Bus stürzte um, ich stürzte, ich weiß nicht wie es passiert ist“, sagte eine Frau dem Nachrichtensender TVN 24. „Alles ging so schnell.“ Die Frau, die im Doppeldecker in einer der hinteren Reihen saß, wurde von einem der beiden Reisebusfahrer aus dem umgekippten Fahrzeug gezogen. „Er hat mir das Leben gerettet.“

Wie viele Rettungskräfte im Einsatz waren und was sich ihnen für ein Bild bot, erfahren Sie auf Seite 2.

Mehr als zwölf Stunden hatte es gedauert, bis der silbergraue Reisebus am Fuße der Böschung wieder aufgestellt und abgeschleppt werden konnte: zerknautscht, ohne Fensterscheiben, mit zerfetzten Sitzen und Gardinen. „Diese Linienbusse pendeln regelmäßig quer durch ganz Europa“, sagt Polizeihauptmeister Korzus.

Viele Insassen hatte der Horror-Crash - am Anfang stand ein Zusammenstoß des polnischen mit einem ukrainischen Bus, der sogar bis zur nächsten Raststätte weiterfuhr - aus dem Schlaf gerissen. „Sie standen alle unter Schock“, sagt Betreuerin Otto. Aus dem Kleinbus, der auf der Gegenfahrbahn überrollt wurde, konnten nur zwei der neun Insassen lebend geborgen werden. Ein weiterer Mann starb später im Krankenhaus. 40 Insassen des Reisebusses krochen selbstständig aus dem Wrack, teils blutüberströmt, mit Prellungen, Schürfwunden oder Brüchen, wie Helfer berichten. Die anderen waren eingeschlossen und wurden von Rettungskräften geborgen - zwei davon nur noch tot.

Der Notruf ging um Samstagmorgen um 1:50 Uhr ein. 27 Rettungswagen rasten zur Autobahnbrücke über die Elbe, die Alt- und Neustadt verbindet. Den Rettern bot sich ein Bild der Zerstörung: Fotos zeugen von der Wucht des Aufpralls und dem Ausmaß der Tragödie. „Es ist ein Wunder, dass so viele lebend aus dem Bus herausgekommen sind“, sagt ein Fotograf beim Anblick des Reisebuswracks.

150 Rettungskräfte im Einsatz

Bis zum Morgengrauen waren 150 Feuerwehrleute und Rettungskräfte vor Ort, um Opfer zu bergen und Überlebenden zu helfen. Auch für die Helfer eine Ausnahmesituation, wie der Amtsleiter der Dresdner Feuerwehr, Andreas Rümpel sagt. Er kann sich an keine vergleichbare Katastrophe in 36 Dienstjahren erinnern. „Solche grausigen Bilder vergisst man sein Leben lang nicht mehr.“

Am Sonntag beantragt die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen den 44-jährigen Fahrer des Doppeldeckers wegen Fluchtgefahr. Der Pole stehe im Verdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung, sagt Sprecher Lorenz Haase. „Wir gehen davon aus, dass er zum Unfallzeitpunkt nicht in der Lage war, das Fahrzeug zu führen - wegen Übermüdung.“ Das Amtsgericht Dresden lehnt den Antrag am Abend ab. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilt, erkennt es den Haftgrund Fluchtgefahr nicht an.

Ein verunglückter Reisebus steht am 19.07.2014 an der Bundesautobahn A4 bei Dresden-Neustadt.
Ein verunglückter Reisebus steht am 19.07.2014 an der Bundesautobahn A4 bei Dresden-Neustadt.
dpa Lizenz