Thüringen Thüringen: Rudolstadt ringt um den Ruf
Rudolstadt/Erkelenz/MZ. - Fridolin Zaugg denktlange nach, bevor er spricht. Meist urteiltZaugg ausgleichend. Er kann aber auch Sätzesagen wie: "Die dummen Säcke nehmen sich mehrPlatz, als ihnen zusteht." Gemeint sind Rassisten.
Der Schweizer ist 1992 nach Rudolstadt gekommen.Er ist "kultureller Jugendpfleger" und wohntin einer schönen großen Villa. Dort habenauch Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer, seineindischstämmige Frau Miriam und ihre fünfKinder gewohnt - bis Frau Neuschäfer die fremdenfeindlichenAnfeindungen, denen sie sich ausgesetzt sah,nicht mehr ausgehalten hat und die Familieim September 2007 nach sieben Jahren ins rheinischeErkelenz "floh". Sie fühlten sich beleidigtund bedrängt.
Herr Neuschäfer hat mindestens einen Leserbriefund einen Artikel in der Kirchenzeitung "Glaubeund Heimat" veröffentlicht, in dem er "Intoleranz"beklagt und seinen evangelischen Arbeitgeberdarin einbezieht. Im 25000 Einwohner zählendenRudolstadt mit seinen 400 Ausländern herrschennun Unverständnis und Zorn. Heike Enzian vonder "Ostthüringer Zeitung" berichtet: "DieLeute sagen: Das hat Rudolstadt nicht verdient."Was aber hat Rudolstadt verdient?
Bürgermeister Jörg Reichl hatte in einer erstenReaktion erklärt: "Hier herrscht keine Ausländerfeindlichkeit."s>Anders lautende Behauptungen seien "übertrieben".Das hat Reichl Kritik eingetragen. Deshalbmuss er gerade rücken. Er hat Neuschäferszu einem Gespräch eingeladen und räumt ein:"Die latente Ausländerfeindlichkeit kann mannicht fassen. Die kann man auch nicht ausschließen."Selbst in Rudolstadt nicht. Allerdings gebees keine zählbaren Vorfälle. Und damit dasso bleibt, investiere man seit geraumer Zeit- rein präventiv - in die Jugend- und Kulturarbeitund das jährliche internationale Tanz- undFolklorefestival. "Die Welt darf gerne beiuns zu Gast sein", sagt der Bürgermeister.
Das findet auch die evangelische Landeskirche.Superintendent Peter Taeger ärgert sich, dassNeuschäfer "das Gespräch nicht gesucht" habe."Als Pfarrer kämpft man und hinterlässt nichtpauschale Schuldzuweisungen." Zudem widersprichtTaeger der These, Fremdenfeindlichkeit seiim Osten weiter verbreitet als im Westen.
Die 2000 aus Westdeutschland nach Rudolstadtzugewanderte Familie Neuschäfer sieht dasso. Dienstag wird es ein Treffen zwischen beidenSeiten geben. Neuschäfer fühlt sich unverstanden,sein Dienstherr fühlt sich schuldlos angeklagtund ließ in den Rudolstädter Gemeinden am Sonntagein Wort von Landesbischof Christoph Kählerverlesen. "Eine pauschale Verdächtigung einerganzen Stadt und ihrer Gemeinden hilft wederder Wahrheitsfindung noch dem Bemühen, Fremdenfeindlichkeitzu verhindern", heißt es darin.
Auch Lokalredakteurin Heike Enzian bestreitet,dass Rudolstadt eine Stadt ist, die Fremdefürchten müssen. Sie kann sich jedoch vorstellen,dass die Neuschäfers Rudolstadt so erlebthaben wie Ostdeutsche zuweilen Westdeutschlanderleben - nicht offen feindlich, doch vorurteilsbeladenund ignorant. Was hat Rudolstadt verdient?Die Wahrheit ist schwer zu finden, vermutlichweil es mehrere Wahrheiten gibt. Auf jedenFall wurden Alarmsignale übersehen, bis derRuf der Stadt auf dem Spiel stand.