Tag der offenen Tür Tag der offenen Tür: Wiedersehen bei Erbsensuppe
Leuna/Spergau/MZ. - Aber was heißt eigentlich in Leuna? Laut Adresse stehen die Anlagen der Total Raffinerie Mitteldeutschland GmbH - so der offizielle Name der vor sieben Jahren in Betrieb gegangenen Firma - ja auf Spergauer Territorium. Doch die meisten der 4 500 Besucher, die am Samstag zum Tag der offenen Tür gekommen sind, interessieren sich nicht für Gemeindegrenzen. Sie wollen wissen oder ihren Kindern und Enkeln zeigen, was aus dem geworden ist, was einmal Leuna II hieß. Und ihnen über Jahre oder Jahrzehnte Arbeitsplatz war.
Leicht allerdings fällt das Vorhaben nur denen, die nach dem Ende der Leuna-Werke bleiben durften und den Aufbau der neuen Raffinerie vom ersten Tag an miterlebt haben. Dass mit dem ersten Spatenstich vor zehn Jahren eine völlig neue Ära der Chemieindustrie eingeläutet wurde, zeigt sich bei der Rundfahrt durch das moderne Werk. Alte Leunaer wie Volkmar Reitzig haben Mühe, zwischen den neuen Anlagen Spuren der eigenen Vergangenheit zu finden. "Da ist kaum noch etwas von den alten Zeiten zu erkennen", sagt der 59-Jährige, der von 1962 bis 1993 in Leuna als Techniker gearbeitet hat. Irgendwie erinnere ihn das alles an die Entwicklung der Telefone: "Die Apparate von früher haben mit den Handys von heute ja auch nichts mehr zu tun."
"Jetzt wohnen wir wirklich im Grünen statt im Grauen." Anna Kersten Leunaerin Zehn Busse sind zwischen zehn und 16 Uhr pausenlos im Einsatz, um Neugierige wie Reitzig kostenlos durch jenen Großbetrieb zu fahren, der jeden zehnten Liter Benzin in Deutschland produziert. Die nüchternen Zahlen machen auch die Ehemaligen stolz. Viele, die etwa in eine der 20 Firmen wechselten, die sich nach dem Aus des Großkombinates im Leunaer Kernwerk angesiedelt haben, schwärmen von der hohen Produktivität der neuen Anlagen. Einige, für die das Ende von Leuna auch das Ende des Arbeitslebens bedeutete, haben freilich Probleme mit dem Fortschritt. "Heute schaffen hier 650 Leute, wozu in der DDR Tausende nicht in der Lage waren", meint Anna Kersten. Der Preis dafür sei hoch gewesen. "Früher habe ich meine Nachbarn in der Kantine getroffen, heute sehe ich sie auf dem Arbeitsamt", so die Leunaerin.
Aber auch Anna Kersten will nicht behaupten, dass der Um- und Neuaufbruch keine Vorteile biete. "Wenn es im alten Leuna-Werk Tage der offenen Tür gegeben hätte, wäre ich nicht mit meinen Enkeln hingegangen", so die 58-Jährige. Die berüchtigte Dunstglocke, die damals permanent über dem Betrieb und der Umgebung gehangen habe, sei heute verschwunden. "Jetzt wohnen wir wirklich im Grünen statt im Grauen", meint die Bewohnerin der größten noch erhaltenen Gartenstadt Deutschlands.
Dass vom Architekten Karl Barth in den 20-er Jahren als Wohn-, Einkaufs- und Freizeitkomplex für die Belegschaft des Chemieriesen errichtete Ensemble zog am Samstag neben der Raffinerie und dem Hauptgebäude der Leuna-Werke die meisten Gäste an. Viele von ihnen wollen dem Vernehmen nach mit dem nächsten Besuch nicht warten, bis die Chemiebetriebe und Verwaltungen von Leuna und Spergau wieder zum Tag der offenen Tür einladen.