1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Stillstand kostet Millionen: Stillstand kostet Millionen: Kraftwerk in Buschhaus "liegt im Koma"

Stillstand kostet Millionen Stillstand kostet Millionen: Kraftwerk in Buschhaus "liegt im Koma"

Von Steffen Höhne 13.12.2016, 09:15
Das Kraftwerk  nahm 1985 den Betrieb auf. Es besitzt einen 300 Meter hohen Schornstein.
Das Kraftwerk  nahm 1985 den Betrieb auf. Es besitzt einen 300 Meter hohen Schornstein. dpa

Helmstedt - Es blinkt rot. Auf den Wandmonitoren in der Leitstelle leuchten Warnhinweise. Kühlwasserrohre leer, Turbine aus, Stromzufuhr an wichtigen Leitungen unterbrochen. Die drei Mitarbeiter in der Schaltwarte des Braunkohle-Kraftwerks Buschhaus schauen dennoch in aller Seelenruhe auf ihre Bildschirme. Hier wird mal ein Knopf gedrückt, dort ein neues Diagramm auf dem Bildschirm aufgerufen. „Es ist, als ob man vom Berufsleben ins Rentenalter geht“, umschreibt Schichtleiter Reiner Kielmann die Situation. Offiziell befindet sich das Kraftwerk, das auf halben Weg zwischen Magdeburg und Braunschweig (Niedersachsen) liegt, im sogenannten Stillstandsbetrieb. Das ist ein Widerspruch in sich. Man könnte auch sagen, das Kraftwerk wurde ins Koma versetzt.

Bucschhaus hat den höchsten deutschen Schornstein

Buschhaus ist das erste deutsche Braunkohle-Kraftwerk, das aus Klimaschutzgründen vom Netz ging. Sieben weitere sollen in den kommenden Jahren noch folgen. Durch die Stilllegung der Anlagen mit einer Gesamtleistung von 2,7 Gigawatt - das entspricht 13 Prozent der installierten Braunkohlenleistung - will die Bundesregierung den Kohlendioxid-Ausstoß reduzieren, um so noch ihre Klimaschutzziele bis zum Jahr 2020 zu erreichen. Die Kraftwerke sollen aber jeweils für vier Jahre einsatzbereit gehalten werden.

Am 24. September um 0.14 Uhr wurde in Buschhaus die Turbine vom Netz getrennt. Die Geschäftsführer Lutz Strumpf und Torsten Dietze begleiteten Tag und Nacht die vier Schichten. „Das sind wir unseren Leuten schuldig gewesen“, sagt Strumpf. „Es sind auch einige Tränen geflossen.“ Nach 143 Jahren endete im Helmstedter Revier faktisch der Kohlebergbau. Auch für den 62-jährigen Strumpf war es ein emotionaler Moment. „Ich habe mein ganzes Berufsleben hier verbracht.“ Als technischer Chef kennt er wahrscheinlich jede Leitung des Kraftwerkes, das er selbst mit aufgebaut hat. Nun leitet er auch dessen Abwicklung.

Bundesregierung durchkreuzt Pläne der Mibrag

Markenzeichen von Buschhaus ist der 300 Meter hohe Schornstein - es ist der höchste in Deutschland. Die Anlage gehört zu den kleineren Kohlekraftwerken und nahm 1985 den Betrieb auf. 2013 erwarb die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) aus Zeitz (Burgenlandkreis) den Standort. Nach dem Ende der Kohleförderung im angrenzenden Tagebau Schöningen wollte die Mibrag von 2017 bis 2030 jährlich mehr als zwei Millionen Tonnen Braunkohle an die Niedersachsen liefern. Die Klimaschutzpläne der Bundesregierung durchkreuzten das Vorhaben. Doch bis 2020 wird das Kraftwerk zumindest einsatzbereit bleiben. Im Falle von Versorgungsengpässen im Strommarkt soll es in elf Tagen zurück ans Netz gebracht werden können. „Wir können es allerdings nicht zuschließen und einmal am Tag läuft ein Wachmann durchs Gebäude“, sagt Strumpf.

Der Betrieb in Buschhaus läuft rund um die Uhr

Beim Gang durchs Kraftwerk zeigt er auf sechs riesige Kohlemühlen. In diesen wurde die Kohle durch schwere Eisenbolzen zermahlen, um den Ofen mit Staub zu befeuern. Nun sind Mitarbeiter in weißen Overalls und Gesichtsmaske damit beschäftigt, die Aschen aus der Anlage zu holen und Leitungen zu konservieren. „Im Betrieb bildet sich eine Schutzschicht in den Rohren, die vor Korrosion schützt. Das müssen wir nun chemisch schaffen“, nennt Strumpf eine der Aufgaben.

Im Inneren des Kraftwerks herrscht eine fast gespenstische Atmosphäre. Die riesige Turbinenhalle ist menschenleer. Stille. Von fern ertönt dann das Hämmern auf Metall. Von Maschinen und Wänden blättert die Farbe. Das stört niemanden mehr. Turbine und Förderbänder müssen aber regelmäßig bewegt werden, damit sie im Fall der Fälle funktionsfähig sind. Einsatzbereit bleiben auch die Tiefbrunnen. Andere Teile arbeiten unverändert. Die Trafos bleiben unter Strom, die Wasseraufbereitung läuft wie gehabt für eine Müllverbrennungsanlage auf dem Kraftwerksgelände. Von der Leitstelle wird das gesteuert und überwacht. Fünf Mitarbeiter sind pro Schicht tätig - der „Betrieb“ läuft rund um die Uhr. Es wird das Nötigste getan, um die Lebenserhaltung sicherzustellen.

Was passiert mit den Mitarbeitern in Buschhaus?

Für diese Bereitschaft gibt es bisher keine Pläne. „Wir betreten vielfach technisches Neuland“, sagt Strumpf. Mit solchen Sätzen macht der Geschäftsführer sich und seinen verbliebenen Beschäftigten vielleicht auch Mut. Denn wie motiviert man eine Mannschaft, die den Stillstand verwaltet? „Das ist natürlich eine Herausforderung“, räumt Geschäftsführer Dietze ein.

Von den 330 Mitarbeitern gehen 200 mit Sozialplan in den Vorruhestand, 80 bleiben im Kraftwerk und 50 weitere sanieren den Tagebau. „Wir verlieren natürlich auch Mitarbeiter, die wir eigentlich weiter brauchen“, sagt Dietze. Mit Kraftwerken in Wolfsburg führt er Gespräche, dass Auszubildende aus Buschhaus dort praktische Übungen absolvieren können.

Stromkunden zahlen Stillstand von Kraftwerk in Buschhaus

Dass das alte Kohlekraftwerk noch einmal zum Einsatz kommt, halten viele Energieexperten für unwahrscheinlich. Bei Stromengpässen könnten auch Anlagen aus Polen oder Frankreich einspringen. Mit solchen Überlegungen will und kann sich Dietze aber nicht befassen: „Wir werden dafür bezahlt, dass wir hier unseren Job machen.“ Gezahlt wird aber nicht vom Bund, sondern von den Stromkunden. Diese sollen für den Minimalbetrieb der acht Kraftwerke rund 1,6 Milliarden Euro berappen. Wie viel davon schätzungsweise nach Buschhaus fließt, verrät die Mibrag nicht. Durch die verkürzte Lebensdauer wird das Unternehmen nach eigenen Angaben aber insgesamt Verluste einfahren. Die Grünen kritisieren dagegen, dass sich das Kraftwerk wegen der niedrigen Strompreise ohnehin nicht mehr gerechnet hätte und die Mibrag subventioniert wird.

Mit dem Stillstandsbetrieb wurde auch Zeit erkauft, um Nachfolgekonzepte zu entwickeln. Buschhaus-Chef Strumpf sagt: „Wir wollen dafür sorgen, dass die verbliebenen Mitarbeiter nach 2020 hier eine neue Arbeit finden.“ So sollen sich Industriefirmen auf dem Werksgelände ansiedeln. „Wir liegen verkehrsgünstig an der A2, alle wichtigen Anschlüsse für Strom, Gas und Wasser sind vorhanden, die Müllverbrennungsanlage liefert Dampf.“ Strumpf zählt viele weitere Vorteile auf.

Das Helmstedter Braunkohlerevier an der Landesgrenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ist die kleinste deutsche Kohleregion. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurde die erste Grube eröffnet. Im größeren Rahmen Bergbau wurde ab 1873 von der Braunschweigischen Kohlenbergwerke Aktiengesellschaft (BKB) betrieben. Sie wurde später von der Preussen-Elektra und nach deren Fusion mit dem Bayernwerk von Eon übernommen. In der Region sprechen heute dennoch viele Menschen von „der BKB“.

Das Kraftwerk Buschhaus wurde 1985 in Betrieb genommen. Kurz vorher eröffnete der Tagebau Schöningen. Der Bau war von großen Umweltprotesten begleitet. Es musste eine Entschweflungsanlage nachgerüstet werden. Mitte der 90er Jahre gab es im Tagebau einen spektakulären Fund: Archäologen fanden rund 300.000 Jahre alte Holzspeere. Es sind die ältesten jemals gefundenen Waffen. Im August 2016 wurde im Revier die letzte Braunkohle gefördert. Seither wird der Tagebau saniert. Das heißt, es werden vor allem die Böschungen abgeflacht. Anschließend soll das Gebiet geflutet werden und ein See für Wassersport entstehen. Das Kraftwerk wird nach 2020 wahrscheinlich abgerissen.

Er weiß aber auch, dass es wohl nur mit Hilfe der Landesregierung gelingt, größere Unternehmen in der strukturschwachen Region zu holen. Vielleicht ist es am Ende sogar ein Vorteil für Buschhaus, dass es als eines der ersten Kohlekraftwerke schließt. Von den Kumpels und den vielen Familien, die Jahrzehnte mit und von der Braunkohle gelebt haben, würde allerdings niemand das Ende als Aufbruch verstehen. (mz)

In sechs großen Kohlemühlen wurde die Braunkohle gemahlen. Der Staub wurde anschließend verfeuert.
In sechs großen Kohlemühlen wurde die Braunkohle gemahlen. Der Staub wurde anschließend verfeuert.
Steffen Höhne