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Steffen Fischer Steffen Fischer: Ingenieur baut als einziger in Sachsen-Anhalt Dudelsäcke

Von Ralf Böhme 04.02.2013, 18:59

Köthen/MZ. - Der Dudelsack, auch die Sackpfeife genannt, kommt zurück. Über Jahrhunderte sein Zuhause: auf dem Markt, im Gasthaus. Nach 1900 dann der Niedergang - seit einiger Zeit aber wächst das Interesse wieder. Steffen Fischer in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) spürt das an der Nachfrage. Er ist der einzige professionelle Dudelsackbauer in Sachsen-Anhalt.

Mittelaltermärkte mit Dudelsack-Musik boomen schon geraume Zeit. Zunehmend gewinnt das Instrument eine zusätzliche Bedeutung. Der Dudelsack hilft, den Deutschen neue Lust zu geben, selbst zu musizieren. Rasch stellt sich Erfolg ein. Die ersten Töne hat man schnell drauf.

Jedes Stück ein Unikat

So ein Einstiegsinstrument ist wichtig. Selbstgemachte Musik für den Hausgebrauch ist aus der Mode gekommen. Nur noch in jedem fünften Haushalt greift noch jemand zu einem Instrument. Allenfalls die 30- bis 59-Jährigen gelten als musikalisch aktiv, heißt es in einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung. Die Krux: Viele junge Leute beginnen zwar eine musikalische Ausbildung, brechen sie aber vorzeitig ab.

Noten lernen liegt offenbar nicht mehr im Trend. Genau an diesem Punkt knüpft Steffen Fischer an. "Um den Dudelsack zu spielen, muss man nicht unbedingt Noten kennen." Einfache Grundtöne kriegt man nach dem Gehör hin. Ihm zufolge braucht es dafür nur ein halbwegs ausgeprägtes musikalisches Empfinden und vor allem Liebe zur Sache. Das erlebt der 42-Jährige in seinen zumeist ausgebuchten Kursen.

Was ihn begeistert: "Kinder greifen völlig unkompliziert zum Dudelsack." Aber auch Wissenschaftler der Fachhochschule oder Manager machen mit. Fischer glaubt, dass ein Unternehmer gut beraten ist, wenn er sich den Dudelsack umhängt - "Entspannung mit Erfolgsgarantie". Schon nach einem Jahr können Anfänger zwischen zehn und 15 Melodien spielen "und sind damit glücklich". Fischer, der sich sein Wissen und Können selbst angeeignet hat, sagt: "Wer Dudelsack spielt, der ist der Hit auf jeder Party." Aber nicht nur das. Das Musizieren mit diesem Instrument, das vor 2 000 Jahren in Vorderasien entstanden sein soll, eröffne immer eine faszinierende Klangwelt.

Matthias Stengel aus Halle, der sich in der Werkstatt nach einem Dudelsack erkundigt, meint: "Es ist ein Kontrastprogramm zu dem, was im Radio dudelt." Dudelsack-Musik tue seinen Ohren gut, erzählt der Lehrlingsausbilder aus der Chemie. Ob er sich deshalb gleich einen Dudelsack kauft, steht indes noch nicht fest. Selbst vergleichsweise kleine und einfache Instrumente kosten um die 500 Euro. Das sei viel Geld.

Anderseits leuchte ihm ein, dass das filigrane Handwerk auch seinen Preis haben müsse. "Jedes Stück ist ein Unikat." Der Kundenwunsch entscheidet - auch über den Preis. Wer extra Verzierungen wünscht - vielleicht Büffelhorn oder Blattgold - zahlt mehr. Dudelsack-Liebhaber in Übersee, die Qualitätsarbeit "Made in Sachsen-Anhalt" schätzen, sind dazu bereit. Und Fischers Erzeugnisse gehen oft auf weite Reise. Referenzen liegen unter anderem aus Brasilien, Australien und aus fast allen europäischen Ländern vor. Nur der schottische Markt ist ihm verschlossen. Dort ist die Konkurrenz zu groß. Falls es ihm aber gelingt, auch noch diese Hürde zu nehmen, will sich Fischer glatt einen Schottenrock kaufen.

Zwei bis drei Monate arbeitet Fischer an einem Instrument. Teile wie die fein gedrechselten Spielpfeifen, die später für die Melodie zuständig sind, werden beispielsweise mit Leinöl eingestrichen. Das Trocknen an der Luft dauert einige Wochen. Die kleine Werkstatt in der Altstadt von Köthen verfügt über eine umfangreiche Ausstattung. Da stehen nicht nur Drechselbank, Bohrmaschine und Nähmaschine. Weil die meisten Einzelteile in Handarbeit gefertigt werden, gibt es ungewöhnlich viele Werkzeuge und Hilfsmittel.

Dabei ist Fischer ein Seiteneinsteiger. "Studiert habe ich in Eisleben, eigentlich müsste ich jetzt als Elektrotechniker meine Brötchen verdienen." In dieser Fachrichtung besitzt der Köthener sogar ein Diplom und einige Jahre Erfahrung in der Laborarbeit an der Fachhochschule der Stadt.

Es ist anders gekommen. Schuld ist der Karneval, sagt Fischer und sein "angeborener Hang" zu lauter mittelalterlicher Musik. Anfang der 90er Jahre macht sich Ingenieur Fischer die Mühe, einen Dudelsack für das närrische Treiben zu entwerfen und zu bauen. Ein schwieriges Unterfangen, noch ohne Internet. Anregungen holt er sich damals von Mittelalter-Gruppen und aus Museen. "Beim ersten Ton, den ich dem Dudelsack entlockte, war ich mächtig stolz."

Viel Lehrgeld bezahlt

Zufriedenheit mit der Arbeit stellt sich aber erst viel später ein. Viel Lehrgeld habe er bezahlen müssen, 50 bis 60 Exemplare quasi umsonst gebaut. Erst seit zehn Jahren kann Fischer von seiner Arbeit als Instrumentenbauer leben. Bundesweit gibt es nur ein halbes Dutzend Kollegen, die daran tüfteln, wie der optimale Dudelsack aussehen und klingen soll. Aus Köthen stammt unter anderem die ungewöhnliche Idee, Joghurtbecher zu nutzen. Aus diesem speziellen Plastik schneidet Fischer die kleinen Rohrblätter am Mundstück, mit deren Hilfe der Spieler den Luftstrom im Dudelsack steuert. Das Material ist extrem haltbar - und der Vorrat groß. "Ich habe 1 000 Joghurtbecher geordert", so Fischer. Das reiche bis zur Rente.