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Hinrichtung in der DDR Stasi-Hauptmann Werner Teske wurde in Leipzig hingerichtet

Von Steffen Könau 26.06.2016, 09:00
Im Waschzuber eher abgelegt als versteckt: Mehr als 3.000 Seiten MfS-Akten hatte Werner Teske mit nach Hause genommen.
Im Waschzuber eher abgelegt als versteckt: Mehr als 3.000 Seiten MfS-Akten hatte Werner Teske mit nach Hause genommen. BSTU/Könau

Halle (Saale) - Nach genau einem Monat wird die Familie unruhig. „Ich wende mich vertrauensvoll an Sie", schreibt Herbert Teske an das Oberste Gericht der DDR, „um Näheres über meinen Halbbruder zu erfahren."

Werner Teske, neun Monate zuvor festgenommen und eingesperrt, hat seit Wochen keinen Brief mehr geschrieben. Seine Frau Sabine hingegen ist aus der Haft entlassen worden. Doch den Verwandten sagt sie nur, dass sie nichts sagen darf.

Herbert Teske wird zum Militärstaatsanwalt einbestellt, weil „ich die briefliche Beantwortung ihrer Frage für unangebracht halte", wie es heißt. Beim Termin erfährt Teske, dass sein Bruder tot ist. Er sei zu 15 Jahren verurteilt worden und habe sich dann leider im Gefängnis das Leben genommen.

Eine Lüge, aber nur eine von vielen im Fall des Stasi-Hauptmannes Werner Teske, der als letzter DDR-Bürger zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Um 10.09 Uhr am 26. Juni vor 35 Jahren wird dem Delinquenten in der Strafvollzugseinrichtung in der Leipziger Alfred-Kästner-Straße eröffnet, dass "der Vorsitzende des Staatsrates von einer Gnadenentscheidung abgesehen" habe.

Dann tritt der Henker hinter den zwei Wochen zuvor Verurteilten und tötet ihn durch einen „Nahschuss ins Hinterhaupt", wie es im DDR-Amtsdeutsch heißt.

Teskes Leben und Tod erzählen die Geschichte eines großen Irrtums, der in einer großen Tragödie endet. Dabei ist Werner Teske eigentlich ein hervorragender DDR-Bürger. Mutter arbeitet am Band, sein Vater ist Arbeiter.

Der Sohn macht das Abitur, als erster in der Familie, und er dankt es dem Staat mit gesellschaftlichem Engagement. Vor dem Mauerbau ist er häufig als Propagandist in Westberlin im Einsatz. Später, da studiert er schon Wirtschaftswissenschaften, sagt er der Stasi zu, als IM für Westeinsätze bereitzustehen.

Nächster Schritt: die Stasi-Karriere

Ein Lebenslauf aus dem Bilderbuch, der fast folgerichtig in eine Stasi-Karriere mündet. Teske, ein spröder, korrekter Mann, der älter aussieht, als er ist, wird Spion in der Hauptverwaltung Aufklärung des Markus Wolf.

Auch hier gehört er zu den Besten, zumindest zu Beginn. Teske, der drei Ausweise besitzt und mehrere Decknamen für Auslandseinsätze führt, kümmert sich um Wirtschaftsspionage, er führt sogenannte Patrioten im Westen. Das sind Leute, die der DDR Material verkaufen oder aus Überzeugung Studien zu Wirtschaftsproblemen zustecken.

Doch „Jack", „Ford" und „Flor" bringen auch Westzeitschriften mit, Zeitschriften, die Teske anfangs liest, weil er glaubt, sich über sein „Operationsgebiet" kundig machen zu müssen.

Irgendwann jedoch stößt ihm der Widerspruch auf zwischen offizieller DDR-Wirklichkeit und dem, was der „Feind" aus dem realen Sozialismus berichtet. Teskes Ausweg ist ein privater: Nach einem Auslandseinsatz in der BRD beginnt er, Teile des ihm zur Verfügung stehenden Westgeldes zu unterschlagen.

Er kauft Parfüm, Kosmetik, Zigaretten und Jeans und fälscht Belege, so dass die Unterschlagung nicht auffällt.

Viele Jahre unentdeckt

Jahrelang geht das so. Später wird die Staatssicherheit ausrechnen, dass Werner Teske 21 478 DDR-Mark und 20 244,50 D-Mark gestohlen hat. Da sitzt der Täter schon in Haft, allerdings nicht wegen der Unterschlagung.

Werner Teske, wegen nachlässiger Dienstführung und Trinkens von Alkohol mehrmals abgemahnt, ist durch dummen Zufall aufgeflogen. Als er einen IM-Treff erfindet, fällt seinen Genossen, die ihn wegen einer dringenden Besprechung in die Stasi-Zentrale zurückholen sollen, durch alte Post im Briefkasten der Treffwohnung „Giebel" auf, dass Teske hier schon lange nicht mehr war.

Wenig später schon sitzt der „zurückhaltende Typ" (T. über T.) im Stasi-Objekt „Baude" und wird verhört. Es folgt eine Woche Hausarrest, schließlich Anfang September die Verhaftung.

Diese erstaunlichen Details enthalten die DDR-Akten zu dem Fall

Die acht dicken Aktenordner aus dem Stasi-Archiv, die den Fall dokumentieren, zeigen Erstaunliches. Die Stasi, sensibilisiert von der Flucht des HVA-Oberleutnants Werner Stiller ein Jahr zuvor, konzentriert sich von Anfang an darauf, Teske andere Straftaten nachzuweisen.

Es ist, als wolle das „Untersuchungsorgan" (DDR-Jargon) mit größeren Verbrechen den Umstand kaschieren, dass ein „Tschekist" sechs Jahre lang ungestört in die Kasse greifen konnte. In der Anklage wird der Diebstahl später nicht einmal mit einem Wort erwähnt.

Teske tut seinen Kollegen den Gefallen. Anfangs heißt es in den Protokollen noch, „er spielt den Naiven" und „deckt Lügen mit neuen Lügen". Doch dann bricht Teske zusammen. Er gesteht nicht nur die Diebstähle, sondern offenbart auch, dass er daran gedacht habe, in den Westen zu flüchten.

#openimage

Das ist es, was die Vernehmer hören wollten. Tagelang reiten sie auf Einzelheiten herum, immer wieder bekommt Teske zu hören, dass nur Ehrlichkeit ihn retten könne. Der abgebrühte Geheimdienstmann reagiert mit irrationaler Offenheit.

Bei einem Treffen mit seiner ebenfalls festgenommenen Frau, das die Stasi nur inszeniert, um die Eheleute über Nacht belauschen zu können, bittet er sie heimlich, in der Waschküche versteckte 3 300 Blatt interner Stasipapiere zu vernichten.

Doch kaum ist seine Frau auf dem Weg nach Hause, verrät er auch seinem Vernehmer, dass er geheime Dokumente gebunkert hat, um sie nach seiner Flucht meistbietend zu verkaufen.

Werner Teske spricht damit wohl sein eigenes Todesurteil. Monatelang wird er verhört, 70 Mal insgesamt. Immer tiefer lässt er das MfS dabei in sich hineinschauen.

Es ist, als wolle Teske bestraft werden. Er spricht von seinen Zweifeln am Sozialismus, von der Enttäuschung über das MfS, von Unterschlagungsmethoden und erklärt den Weg, über den er hätte flüchten können.

Stasi-Chef Mielke, der über die Ermittlungen informiert wird, ist stinksauer darüber, wie leicht sich seine Elitetruppe übertölpeln lassen hat. Nur eine Strafe gebe es für solche „Schufte", wie Mielke abtrünnige Mitarbeiter nennt: „Hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil."

Teske bekommt dennoch eines, doch vieles am Verfahren verrät, dass Staatsanwälte, Richter und Vollstrecker genau wissen, wie weit außerhalb des „sozialistischen Rechts" sie sich bewegen. Direkt mit der Verkündung lässt man das Urteil rechtskräftig werden.

Keine Revision möglich

Schon am Tag danach weist der Vorsitzende Richter an, „235 Blatt Zwischenmaterial zu vernichten". Keine Berufung ist möglich, keine Revision, ein Gnadengesuch wird abgelehnt.

Nach der Vollstreckung, der eine amtliche „Feststellung der Personengleichheit" vorausgeht, beginnt die totale Vertuschung des Mordes im Namen des Volkes.

Wie aus Berlin angewiesen, erfolgt „keine Erfassung" des Werner Teske in Leipzig. Er stirbt, ohne überhaupt dagewesen zu sein.

Die Sterbeurkunde wird zur Tarnung im fernen Stendal ausgestellt, aber nicht einmal die Witwe bekommt sie. Alle "Magnettonaufzeichnungen" (MfS) aus dem Prozess plant man zu löschen. Alle Beteiligen werden zum Schweigen verpflichtet.

Sabine Teske wird am Todestag ihres Mannes aus der Haft entlassen. Als sie nach ihrem Mann fragt, heißt es lapidar, „der wird heute hingerichtet". Sabine Teske möchte schreien, doch sie darf nicht.

Auf Anweisung der Stasi bekommt sie neue Papiere, ihre Tochter neue Zeugnisse. Die beiden heißen jetzt Kampf. Die Stasi siedelt sie in Schwerin an. Später bezieht die Witwe von Werner Teske, die keinerlei Unterlagen mehr darüber hat, jemals mit ihrem Mann verheiratet gewesen zu sein, ein Hochhaus am halleschen Thälmannplatz. Über ihren Mann spricht sie neun lange Jahre kein Wort.