Staatskanzlei in Magdeburg Staatskanzlei in Magdeburg: Das Zentrum der Macht
MAGDEBURG/MZ. - Eine kleine Gedächtnisstütze braucht jeder an irgendeinem Punkt in seinem Leben. Gerhard Blume benötigt sie eigentlich nach jedem Regierungswechsel. Sorgfältig schneidet er jeden einzelnen Ministerkopf aus Broschüren aus, klebt ihn auf ein weißes Blatt Papier und schreibt Name und Amt darunter. Als Pförtner der Staatskanzlei in Magdeburg muss der 42-Jährige jeden Minister erkennen, ihn begrüßen, ihm die Tür öffnen. Und wer kein Minister oder Mitarbeiter des Hauses ist, kommt ohne Termin überhaupt nicht rein. Ganz einfach.
Wer aber den strengen Blume hinter sich lassen darf, dem eröffnet sich ein kleines architektonisches Kunstwerk aus Marmorsäulen, Blattgold und filigran gearbeiteten Stuckdecken. Breite Treppenaufgänge führen in ein lichtdurchflutetes Foyer. Das Gebäude - heute die Staatskanzlei oder auch Fürstenwall-Palais genannt - wurde 1889 als eines der wichtigsten Verwaltungsgebäude Preußens errichtet. Regelmäßig sollte die kaiserliche Familie um Wilhelm II. in den prächtigen Zimmern im Obergeschoss übernachten. Prunkvolle Leuchter und aufwendige Gemälde lassen den Pomp innerhalb der Sandstein-Mauern aus Kaisers Zeiten erahnen.
Im Stil der Renaissance
Gästeführerin Magda Manns kommt aus dem Schwärmen nicht mehr raus, wenn es um "ihre Staatskanzlei" geht. Es sei ganz eindeutig die schönste Staatskanzlei in Deutschland, findet die Ur-Magdeburgerin. Was andere sagen, ist ihr egal. Auch Bayern und Mecklenburg-Vorpommern könnten da nicht mithalten. Der Magdeburger Architekt Paul Ochs hat das Haus im Stil der italienischen Hochrenaissance erbaut und die Inneneinrichtung bei Zeitgenosse Gottlieb Semper abgekupfert. "Das ist meine eigene kleine Semperoper", sagt Manns. Rote Marmorsäulen, mit Engeln besetzte Kronleuchter erinnern an die Dresdner Oper.
Einigen war das Palais aber zu pompös. Der damalige SPD-Ministerpräsident Reinhard Höppner wollte nicht in den herrschaftlichen Bau einziehen. Zu protzig, zu unnötig sei das Gebäude. So zog zunächst das Justizministerium ein. Später hielt Ministerpräsident Wolfgang Böhmer das Haus wohl für angemessen und stimmte 2005 einem Umzug in die Hegelstraße 42 zu.
Staatsminister Rainer Robra zog damals mit ein. Seit neun Jahren hält er als der dienstälteste Staatskanzleichef Deutschlands die Fäden in der Hand. "Wir sind der verlängerte Arm des Ministerpräsidenten", erklärt Robra. Die Staatskanzlei unterstütze den Regierungschef bei der Festlegung und Umsetzung von politischen Richtlinien sowie in seiner Funktion als Repräsentant des Landes. Regierungs- und Verwaltungsarbeit treffen hier aufeinander. Als "Schnittstelle zur Politik" sieht Burkhard Fieber seine Arbeit, der die Abteilung Internationale Zusammenarbeit leitet. Er kümmere sich unter anderem darum, "Strömungen aus Brüssel frühzeitig aufzunehmen und die Interessen des Landes einzubringen". Parteigebunden muss der 54-Jährige für seinen Job nicht sein. Wer aber am Ende Abteilungsleiter wird, das bestimmt der Ministerpräsident.
Böhmer als Rasenpfleger
Manch einer engagiert sich auch darüber hinaus: Robra erinnert sich noch gut an den vorigen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer. Zwar sei er deutlich zurückhaltender als sein Nachfolger mit E-Mails umgegangen, habe aber dafür den Rasen vor der Staatskanzlei gepflegt wie kein anderer. "Er hat ihn behütet, als wäre es sein eigener." Ständig sei er bemüht gewesen, keine großen Veranstaltungen, wie das alljährliche Sommerfest, auf dem geliebten Grün stattfinden zu lassen. "Dank seiner Fürsorge ist er aber nun gefestigt."
Ministerpräsident Reiner Haseloff sorgt sich eher um den Nachschub an Süßigkeiten, wie eine seiner Sekretärinnen erzählt. "Vor allem im Landtag braucht er immer eine gewisse Ration", sagt Birgitt Bergholz. Wo einst Kaiser Wilhelm II. das Reich hochleben ließ, sitzt heute der Ministerpräsident und befasst sich mit auslaufenden EU-Fördermitteln. Oft aber sei Haseloff nicht im Hause, erzählt die 56-Jährige. Ein Blick in den vollen Terminkalender verrät ihr, wo er sich momentan aufhält. Gerade ist CDU-Parteitag in Leipzig. Auch die nächsten Tage sind durchgeplant - von 7 bis 21, von 8 bis 22 Uhr. "Das heißt aber nicht, dass keine Arbeit anfällt, wenn er nicht im Hause ist", sagt Bergholz. Fahrzeiten anpassen, Telefonate entgegennehmen, Post sortieren, Besucher in Empfang nehmen. Ein Ministerpräsident ist eben gefragt.
Haseloff reist nicht nur, er empfängt auch. Und das muss - so will es das Protokoll - geplant sein. In der Staatskanzlei ist dafür Andreas Penning zuständig. Der 62-Jährige ist Protokollchef in einer der fünf Abteilungen im Hause. "Für solide Staatsbesuche braucht man ein Jahr zur Vorbereitung", sagt Penning. Auf die Minute genau plant er voraus, wann und wo ein Landesgast zu sein hat, wie viele Motorräder die Autokolonne anführen, wie viel Polizisten zum Schutz nötig sind. Ein anstrengender, aber aufregender Job, findet Penning. "Aber einen G-20-Gipfel organisieren oder den amerikanischen Präsidenten empfangen?" Er winkt ab.
Über einen Besuch von Barack Obama würde sich Pförtner Blume sicher freuen. Neben Bundespräsident Christian Wulff durfte er sich auch schon für Bundeskanzlerin Angela Merkel herausputzen. Eine selbst gebastelte Gedächtnisstütze brauchte er dafür nicht.