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Sexualität und Sadomaso-Praktiken Sexualität und Sadomaso-Praktiken: Beeinflusst "Fifty Shades of Grey" unser Liebesleben?

Von Antonie Städter 13.02.2015, 12:31
Die umjubelten Hauptdarsteller des Films bei der Berlinale: Dakota Johnson und Jamie Dornan
Die umjubelten Hauptdarsteller des Films bei der Berlinale: Dakota Johnson und Jamie Dornan DPA Lizenz

Halle (Saale) - Diese Story scheint halb Deutschland über Sex reden zu lassen. Über eine spezielle Spielart zumal: Sadomaso-Sex. Vor knapp drei Jahren erregte „Shades of Grey“ in Buchform Aufsehen. Nun sorgte die Filmfassung bei der Berlinale für erhöhte Spannung. Das war von den Machern natürlich genau so kalkuliert. Bis zuletzt hatten sie ein Geheimnis um den Film gemacht, jede neue Information - von der Besetzung bis zum Trailer - gezielt herausgegeben. Und alle Welt schien sich bis zur Premiere am Mittwochabend zu fragen: Wie sieht das Zimmer für gewisse Stunden von Hauptfigur Christian Grey im Film aus? Und: Was würde sich dort abspielen?

Aber, diese Frage muss auch bei einem solchen Rummel um den Film erlaubt sein: Worum geht es eigentlich? Die Geschichte ist nicht sonderlich kompliziert: Die junge, sexuell unerfahrene Studentin Anastasia Steele - Bluse, Strickjacke, schüchternes Lächeln - lernt den etwas älteren, reichen und attraktiven Geschäftsmann Christian Grey kennen. Sie kommen sich näher. Und irgendwann erfährt sie, was er damit meint, wenn er sagt: „Ich behalte über alles die Kontrolle, Miss Steele.“ Der dominant agierende Grey mag Sadomaso-Praktiken - und bringt ihr diese näher.

Hype aus der Schmuddelecke

Fragt sich: Bringt der Hype um den Film auch seinem Publikum derlei sexuelle Praktiken näher? Oder: Hat das „Shades-of-Grey“-Phänomen gar zu einem Wandel in den Betten geführt? Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung an der Hochschule Merseburg, die deutschlandweit einmalig einen Masterstudiengang „Angewandte Sexualwissenschaft“ anbietet, ist von dem Hype um die Geschichte erst einmal einigermaßen überrascht: „Sadomaso ist in der Literatur ja nichts Neues, sondern ein relativ gängiges Motiv - man denke zum Beispiel an die bereits um 1800 erschienenen Erzählungen des Marquis de Sade und die um 1900 veröffentlichte ,Venus im Pelz’ Sacher-Masochs.“

Die Romanvorlage für den Film „Fifty Shades of Grey“ lieferte die britische Autorin E. L. James. Zwar wurde ihre Erotik-Trilogie häufig als kitschig kritisiert, doch sie fand ihre Leser. Und zwar etliche: Rund neun Millionen Exemplare sollen bislang allein im deutschsprachigen Raum verkauft worden sein, weltweit sind es sogar mehr als 100 Millionen Bücher.

Keine Überraschung, dass bald auch eine Verfilmung ins Gespräch kam. In dem Streifen, der in Deutschland übrigens ab 16 Jahren freigegeben und gestern in den Kinos angelaufen ist, wird die Studentin Anastasia Steele von der US-Schauspielerin Dakota Johnson gespielt. Sie ist vor allem dadurch bekannt, dass sie die Tochter der Filmstars Melanie Griffith und Don Johnson ist.

Die männliche Hauptrolle des Geschäftsmannes Christian Grey hat der irisch-britische Schauspieler Jamie Dornan übernommen. Auch Regisseurin Sam Taylor-Johnson ist kein alter Hase im Filmbereich: Sie war bislang vor allem als Foto- und Videokünstlerin bekannt. Bereits vor dem Filmstart sollen zehntausende Tickets verkauft worden sein.  (mz/dpa)

Allerdings werde BDSM, wie diese Art sexueller Vorlieben in der Fachwelt zusammengefasst werden (von englisch „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“), mit dem Hype „aus der Schmuddelecke und Stigmatisierung geholt“, wie Voß erklärt. „BDSM ist noch ein Tabu, über das wenig und ungern gesprochen wird - aber es wird langsam aufgebrochen.“ Insofern sei das Thema ein Stück weit in der Gesellschaft angekommen. Das hält er für richtig. Denn: „Je weniger ein Thema mit Tabus behaftet ist, umso aufgeklärter und selbstbewusster können die Menschen damit umgehen.“ Aus seiner Sicht könne es durchaus sein, dass solch ein Film sich aufs Sexleben seines Publikums auswirkt - „zum Beispiel, dass entsprechende Produkte mehr Akzeptanz finden“.

Lesen Sie mehr zu Unterwerfung, Peitschen und Handschellen auf Seite 2.

Sexspielzeug-Händler jedenfalls jubeln und berichten von Mehrverkäufen. Natürlich gibt es die passenden Produkte zu „Fifty Shades of Grey“ - von der Peitsche bis zu Handschellen. Selbst eine britische Baumarktkette riet ihren Mitarbeitern laut Medienberichten, man solle sich auf „sensible“ Fragen von Kunden einstellen. Schließlich gibt es diese eine Szene, in der der Protagonist im Baumarkt Kabelbinder, Seil und Klebeband kaufen will - jedoch nicht für den eigentlichen Zweck.

Passend zum Filmstart hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa die Deutschen im Auftrag des Magazins „Stern“ gefragt, was sie von sadomasochistischer Erotik halten. Demnach kann knapp ein Viertel sexuellen Praktiken zwischen Dominanz und Unterwerfung etwas abgewinnen. 15 Prozent der Befragten geben an, diese ausprobiert zu haben. 69 Prozent finden diese Art der Erotik laut Umfrage indes nicht reizvoll.

Die Frage ist, so Voß, was unter BDSM verstanden wird: „Selbst unter den Anhängern gibt es ganz unterschiedliche Definitionen dazu. Manche erleben etwa die klassische Mann-Frau-Rollenverteilung, mit der Frau als Hausfrau und ökonomisch abhängig vom Mann, als klares Dominanz-Unterwerfungs-Verhältnis.“ Fest stehe, dass der Rahmen, in dem Sexualität ausgelebt wird, relativ konstant sei: „Ein recht großer Teil der Menschen praktiziert Sexualität wertkonservativ und treu - in einer festen Beziehung mit einem Partner.“ Doch Studien belegten auch: „Die Offenheit für verschiedene Praktiken in Paarbeziehungen ist gewachsen.“

Während der Film ein sehr traditionelles Geschlechterverhältnis zeigt, werden die Rollen in der Realität variabler, so Voß. „Frauen und Männer sind heute allgemein nicht mehr so sehr auf Stereotype festgelegt.“ Dass beim Film-Publikum ein Leistungsdruck entsteht, SM selbst auszuprobieren, glaubt er nicht. Eher: „der Freiraum, das auszuprobieren, wenn man das möchte“.

Doch könne mit derlei Filmen bei den Zuschauern „ein gewisser Normalitätsdruck entstehen, bestimmten Körpermerkmalen zu entsprechen“, sagt er: „Ich finde es schwierig, dass für die filmische Darstellung meist ganz besonders schöne Menschen ausgesucht werden. Da sollte mehr Raum für Vielfalt geschaffen werden.“

Der Film übrigens hat bei Kritikern vielfach für Ernüchterung gesorgt. Kitschig, heißt es da, oder langweilig. Die „Shades of Grey“-Fans sehen das natürlich anders. Zu erwarten ist: Viele werden sich selbst ein Bild davon machen.

Anastasia Steele und Christian Grey kommen sich in „Fifty Shades of Grey“ näher.
Anastasia Steele und Christian Grey kommen sich in „Fifty Shades of Grey“ näher.
Universal Pictures/dpa Lizenz
„Shades of Grey“ von E. L. James wurde zum Bestseller.
„Shades of Grey“ von E. L. James wurde zum Bestseller.
DPA Lizenz