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Schneeberg in Sachsen Schneeberg in Sachsen: Rechtsextremisten machen Stimmung

Von Alexander Schierholz 05.11.2013, 08:07
Heißt „Lichtellauf“, ist aber eine Demonstration gegen Asylbewerber - Schneeberg im Erzgebirge am vergangenen Wochenende.
Heißt „Lichtellauf“, ist aber eine Demonstration gegen Asylbewerber - Schneeberg im Erzgebirge am vergangenen Wochenende. dpa Lizenz

Schneeberg/MZ - Stefan Hartung nennt es „Lichtellauf“. Klingt so schön heimelig, nach erzgebirgischer Gemütlichkeit. In Schneeberg aber, 15.000 Einwohner, Erzgebirgskreis in Sachsen, ist es gerade ganz und gar nicht gemütlich. Seit Wochen demonstrieren Bürger Hand in Hand mit Rechtsextremisten gegen Asylbewerber, die in einer ehemaligen Kaserne am Stadtrand untergebracht sind. Beim ersten „Lichtellauf“ vor zwei Wochen waren es noch rund 1.000 Demonstranten, am vergangenen Wochenende fast doppelt so viele. Sie trugen Fackeln mit sich, sie riefen „Wir sind das Volk“. Stefan Hartung, 24, hat die Aufzüge angemeldet. Er ist Kreisvorsitzender der rechtsextremen NPD im Erzgebirge. Und die Bürger, sie laufen ihm nach.

Im Oktober hatte der Freistaat Sachsen 500 Asylbewerber in die leerstehende Jäger-Kaserne am Rand von Schneeberg verlegt. Meist Familien, viele aus Tschetschenien. Sie kamen aus der überfüllten zentralen sächsischen Aufnahmestelle in Chemnitz. Dort waren Ende September Bewohner mit Gewalt aufeinander losgegangen.

Die Schneeberger sahen sich überrumpelt. „Weder die Flüchtlinge noch wir waren vorbereitet“, klagt Bürgermeister Frieder Stimpel (CDU). Erst in der vergangenen Woche schickte das Innenministerium in Dresden Staatssekretär Michael Wilhelm zu einer Einwohnerversammlung nach Schneeberg. Zu spät, wie Innenminister Markus Ulbig (CDU) mittlerweile einräumt. Da hatte NPD-Mann Hartung längst zum ersten Fackelmarsch mobilisiert, unter anderem über die eigens eingerichtete Facebook-Gruppe „Schneeberg wehrt sich“.

Es ist ein bekanntes Muster: Bürger fühlen sich verunsichert, sind schlecht oder gar nicht informiert. Die Rechtsextremen nutzen diese Lücke, um sich zu profilieren. So war es auch im Altmark-Dörfchen Insel. Als vor zwei Jahren bekannt wurde, dass dort zwei verurteilte, aus der Sicherheitsverwahrung entlassene Sexualstraftäter wohnen, gehörten Neonazis zu den ersten, die dagegen demonstrierten. Unterstützt von Bürgern, die ihnen auf den Leim gingen. Der Politik blieb nur noch übrig, die Scherben aufzukehren.

„Die NPD agiert nicht im luftleeren Raum“, sagt Jens Paßlack, „sie greift Vorbehalte und Verunsicherungen in der Bevölkerung auf.“ Der Politologe erlebt das nicht zum ersten Mal, für die Anti-Rechts-Initiative Kulturbüro Sachsen berät er Kommunen und Vereine im Umgang mit Neonazis. Die rechtsextreme Partei, sagt Paßlack, versuche mit Aktionen wie in Schneeberg „ihre Politik zu normalisieren“, sich als Partei zu gerieren, die sich um die Sorgen des kleinen Mannes auf der Straße kümmere.

Dagegen helfe nur Kommunikation: „Wenn 500 Asylbewerber untergebracht werden sollen, müssen die Kommune und die Öffentlichkeit rechtzeitig vorher informiert werden.“ Und die Bürger müssten klar gegen rechtsextreme Positionen Stellung beziehen, rät Paßlack. Immerhin das ist in Schneeberg passiert: Am Wochenende demonstrierten auch 500 Menschen gegen die Rechtsextremisten und für die Asylbewerber.

Die NPD ist bei den Protesten gegen die Flüchtlinge nicht offen in Erscheinung getreten. Beide Fackel-Aufmärsche kamen ohne Plakate oder Slogans der Partei aus. Ihr Kreisvorsitzender Stefan Hartung spricht lieber von einer „Bürgerinitiative“. Warum sich 15 000 Schneeberger seiner Ansicht nach gegen 500 Flüchtlinge wehren müssen, die weit weg vom Stadtzentrum wohnen, erklärt der NPD-Kader so: Man müsse gegen „Asylmissbrauch“ Stellung beziehen.

Aha. Sind die Menschen aus der Kaserne denn alle Betrüger? Nein, beteuert Hartung treuherzig, es werde nicht pauschalisiert. Bei Mario Löffler hört sich das so an: Bei beiden Fackelzügen tritt der NPD-Landtagsabgeordnete als Redner auf, er schwadroniert von „Asylmissbrauch, Überfremdung und Ausländerkriminalität“. Beim ersten „Lichtellauf“ tritt eine 16-jährige Schülerin ans Mikrofon, sie sagt: „Ich will mich frei bewegen können, ohne Angst zu haben, angebaggert, bedroht oder beklaut zu werden.“ Tosender Applaus. Und schon ist es in der Welt, das Bild vom kriminellen Asylbewerber, der deutsche Frauen belästigt. Dabei stellt die Polizei gar nicht mehr Kriminalität in Schneeberg fest.

Bürgermeister Stimpel will nun „weiter aufklären“, wie er sagt. Er will Menschen aus der Kaserne einladen, öffentlich ihre Fluchtgeschichten zu erzählen. Er weiß aber auch, dass das gar nicht alle in Schneeberg hören wollen. Selbst wenn, wie der CDU-Politiker beteuert, viele der „Lichtellauf“-Teilnehmer von auswärts kamen: „Es gibt auch bei uns Menschen, die rechtem Gedankengut anhängen.“ Bei der Landtagswahl 2009 ist die NPD in Schneeberg mit 6,9 Prozent der Zweitstimmen viertstärkste Partei geworden.

Und die Flüchtlinge in der Kaserne? Schneeberg, sagt Innenstaatssekretär Wilhelm, sei „keine Lösung auf lange Sicht“. Die NPD wird es freuen, sie hätte ihr Ziel dann erreicht.

Gegendemonstranten setzten sich für die Flüchtlinge ein.
Gegendemonstranten setzten sich für die Flüchtlinge ein.
dpa Lizenz