Schmetterlinge Schmetterlinge: Gaukler in Gefahr
DESSAU/MZ. - Man nimmt ein Netz und fängt sich seinen Lieblingsschmetterling - so einfach ist es leider nicht. Nicht einmal im Wonnemonat Mai klappt es. Das Insekt mag zwar nur ein ziemlich kleines Hirn besitzen, auf den Kopf gefallen ist es aber nicht. So tun, als ob und dann im letzten Moment abschwirren - jeder Schmetterling liebt die Freiheit. Und Tricksen ist die einzige Chance des Gauklers im Überlebenskampf. Forscher Timm Karisch aus Dessau spricht deshalb vom Mimikry-Effekt. Wer am Wochenende durch die Natur streift, kann dieses Geheimnis vielleicht enträtseln.
Verwirrte Räuber
Karisch ist dazu gern unterwegs zwischen Elbe und Mulde. Und dort dauert es nicht lange, bis ein attraktives Tagpfauenauge - Spannweite bis 55 Millimeter - unruhig umher flattert. "Um hungrige Feinde zu schrecken, gibt es sich gefährlich und giftig." Der Biologe verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf die Flügel. Es stimmt, sie sehen fast aus wie Katzenaugen. "Das verwirrt die Räuber, lässt sie an der falschen Stelle zuschnappen", so der Experte. Andere Tagfalter erscheinen ihm zufolge auf der Unterseite oft wie welkes Laub. Nachtfalter wie der Mondvogel hingegen, schlingen die Flügel eng um den Leib und wirken ganz wie ein fauliges Ästchen. Ob solche Meister der Tarnung und des Täuschens damit allen Gefahren entrinnen?
In Sachsen-Anhalt sind 1 100 Arten großer Schmetterlinge nachgewiesen. Ob das in einigen Jahrzehnten immer noch so ist, daran zweifeln mittlerweile viele Fachleute. Der Rückgang ist bereits in vollem Gange. Verschwunden ist neben anderen der Brocken-Mohrenfalter, laut Karisch eine einstige Kostbarkeit der Region. Etliche Schmetterlinge stehen auf der Roten Liste der in Sachsen-Anhalt gefährdeten Exemplare.
Zwei Umstände sind laut Karisch besonders problematisch. Zum einen ist da der mittlerweile extreme Mangel an Wiesen mit ganz unterschiedlichen Gräsern, Blüten und Kräutern, ohne die viele Schmetterlinge undenkbar sind. "Häufiges Mähen, große Flächen, intensives Düngen - alles das ist Gift für Schmetterlinge." Zum anderen zeichnen sich Folgen des schleichenden Klimawandels auf die Pflanzen- und damit auch auf die Insektenwelt - ab. Karisch befürchtet: "Einigen Arten geht vermutlich das Futter aus." Als ein Beispiel unter vielen führt der Dessauer den geschützten großen Wiesenknopf an. Ohne ihn als Futterpflanze müssten Ameisenbläulingen regelrecht verhungern.
Belege des Wandels suchen und finden die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Sie warnen vor einer deutlichen Verschiebung der Lebensräume. Ihr Anlass zur Sorge: Die Temperaturen haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten in Europa schneller erhöht als Schmetterlinge sich anpassen können. Eigentlich hätten Schmetterlinge, die kühlere Temperaturen mögen, 249 Kilometer weiter in den Norden ziehen müssen. Wie weit sind sie gekommen? Gerade einmal 114 Kilometer - zum Überleben auf Dauer zu wenig. So entsteht eine fatale Situation, obwohl gerade Schmetterlinge im Vergleich zu vielen anderen Tieren als überdurchschnittlich mobil gelten. UFZ-Forscher Josef Settele sieht darin ein Alarmsignal, weil Lebensräume regelrecht auseinander gerissen werden.
Refugium im Saaletal
Eine Übersicht, welche Schmetterlinge wo in Europa zu Hause sind, zeigt der aktuelle Schmetterlingsatlas. Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbundes Deutschlands, sieht nach der Analyse von 400 000 Daten vor allem die Agrarpolitik in der Pflicht. Wenn es mit der Industrialisierung der Landwirtschaft so weiter gehe wie bisher, bestehe die Gefahr, dass selbst jetzt noch weit verbreitete Schmetterlinge wie der Aurorafalter 85 Prozent ihrer Lebensräume verlieren. Kleine Hilfe für interessierte Spaziergänger: Erkennungsmerkmal ist der für Männchen typische orangefarbene Fleck an den Flügelspitzen. Trotz vieler pessimistischer Optionen glaubt der Eisleber Schmetterlingsforscher Dirk Stadie, dass das südliche Sachsen-Anhalt ein bevorzugtes Schmetterlingsland bleibt. "Wir profitieren vom Regenschatten des Harzes." Gerade das spezielle Klima locke zunehmend manche Art an, die man sonst südlich der Alpen finde. Er selbst entdeckte in Eisleben eine Rarität - die zweifleckige Plump-Eule, einen geschützten Nachtfalter. Auch der hellgelbe und sogar vom Aussterben bedrohte Segelfalter sei jetzt ein Heimischer - zu Hause am Freyburger Schlossberg.
Eine optimistische Prognose gibt unterdessen auch Joachim Händel, Schmetterlingsexperte der Martin-Luther-Universität Halle ab. Mit 750 Arten erweise sich das Saaletal vor allem am Giebichenstein und an den Klausbergen als ein Refugium. Besucher der Zoologischen Sammlung am halleschen Domplatz können gleich heute in der "Nacht der Museen " die Probe aufs Exempel machen. Nach Einbruch der Dunkelheit sollen mit Hilfe spezieller Lampen innerstädtische Nachtschmetterlinge angelockt werden.