Schloss und Riegel Schloss und Riegel: Schwüre aus Stahl werden zum Problem

Halle (Saale)/MZ - Die große Liebe zwischen T und S, sie hielt nur 24 Stunden, zumindest in aller Öffentlichkeit. Dann war das riesige Schloss aus Sperrholz, mit dem das junge Paar seine Beziehung an einer Brücke auf der halleschen Naherholungsinsel Peißnitz öffentlich gemacht hatte, wieder verschwunden, abgesägt von Unbekannten, die vielleicht neidisch waren auf das protzige Mega-Schloss, das alle anderen 264 Liebesbeweise an derselben Brücke überstrahlte.
Jana und Sven, Sören und Sina, Elke und Gert - sie alle dokumentieren ihre Beziehung hier mit Schwüren aus Stahl. Aber nicht nur in Halle sammeln sich an bestimmten Orten massenhaft zweckentfremdete Vorhängeschlösser. Ob in Berlin oder Köln, an der Goitzsche bei Bitterfeld, in Magdeburg oder im Plötzkauer Schloss, ja, sogar an der Golden Gate Bridge in San Francisco, am Huang-Shan, dem gelben Berg der Chinesen, oder an der Pont des Arts in Paris - in den vergangenen Jahren haben die mit Namen bemalten oder gar professionell gravierten Schlösser junger oder nicht mehr ganz so junger Paare die Welt erobert.
„Ich steh auf dich“
Woher die Idee kommt, wieso sie sich über die Grenzen aller Länder, Religionen und örtlichen Gebräuche hinweg so verbreitet, ist unklar. Niemand weiß genau, wo der Ursprung das Brauches liegt, aber der italienische Autor Federico Moccia behauptet immerhin, er habe die Idee mit seinem Liebesroman „Ich steh auf dich“ populär gemacht. In dem Jugendbuch, das nicht nur in Italien sehr erfolgreich war, schwören sich die beiden verliebten Teenager Step und Gin auf einer Brücke in Rom ewige Treue. Und um den Schwur zu besiegeln, schließen sie ein Schloss an eine Laterne und versenken den Schlüssel in den Fluten des Tiber.
Für die Behauptung Moccias spricht, dass die Mode, Liebe als Schloss aufzuhängen, in den Jahren nach dem Erscheinen seiner herzigen Schnulze aufkam. Andererseits haben Absolventen der Sanitätsakademie San Giorgio schon viel früher jeweils am Ende ihrer Ausbildungszeit die Vorhängeschlösser ihrer Spinde an eine Brückenlaterne auf der Milvischen Brücke in Rom gehängt. Auch am gelben Berg in Ch ina hingen die Schlösser schon, als Moccia noch an seinem Buch schrieb. Hier, an dem heiligen Ort, den jeder Chinese einmal im Leben besuchen soll, gründete sich auch die Liebesschloss-Industrie: Statt eigene Schlösser mitbringen zu müssen, können Schwurbereite sich bei professionellen Graveuren mit unterschiedlichsten Modellen in allen Größen und Farben eindecken.
Liebesschlösser aus Titalium
„Lucchetti d’Amore“ oder auf englisch „Love Padlocks“ sind unterdessen weltweit zu einem lukrativen Geschäft geworden. „Klassische Bereiche wie der Bergbau mit seinen vielen Spinden sind weggebrochen - das findet seine Kompensation im Trend der Liebesschlösser“, sagt Jorga Burri-Griesloff von Deutschlands Schloss-Marktführer Abus. Das traditionsreiche Familienunternehmen hat letztes Jahr eigens eine neue Produktlinie mit Liebesschlössern aus Titalium auf den Markt gebracht. Das auf Aluminium basierende Material soll leichter sein als die traditionell verwendeten Metalle Messing oder Stahl, aber ebenso haltbar. Auch der größte Konkurrent Burg-Wächter liebt den Trend zum Symbol- Schloss. Seit 2011 stellt Burg-Wächter Liebesschlösser als „Gag, der das Sortiment aufhellt“ her, wie Vertriebschef Detlef Schmale sagt. Und zuletzt verdoppelten sich die Umsätze.
Und hier landen sie dann, die Metallklumpen, die nach dem Willen ihrer Absender mit dem Schließen und dem Wegwerfen des Schlüssels Liebe, Freundschaft oder Ehebund für alle Zeiten symbolisieren sollen. Der Pegelturm an der Goitzsche oder die Sternbrücke über der Elbe in Magdeburg, aber auch die Schafbrücke in Halle, eine kleine, idyllisch gelegene Saale-überquerung, sind beliebte Anschlussstellen für große und kleine, bemalte oder aufwendige gravierte Schlösser. Stille Zeichen einer Zeitenwende: Wo früher ein Ehering ein Paar auf eher private Art zu binden versprach, geben Liebesschlösser der Generation Facebook auf ihre Weise Halt. Nicht mehr winzig am Finger, sondern ganz öffentlich wird das Herz ausgestellt, unter den Augen der Welt soll der Bund unlösbar werden, den der Schlosser auf seine Art beeidet.
Schutz der Bauwerke hat Vorrang
Trotz des Andrangs droht in Sachsen-Anhalt im Augenblick nirgendwo die Gefahr, dass es zu viele Individualisten werden, die sich so verewigen. Wie etwa an der Milvischen Brücke in Rom, wo der berühmte Lampenmast bereits einmal unter den Liebesgaben Unbekannter zusammenbrach, oder in Köln, wo 40.000 Schlösser an der Hohenzollernbrücke immer wieder die Frage aufwerfen, wie lange die Statik der Brücke unter der Liebeslast von 15 zusätzlichen Tonnen noch durchhalten kann.
Jedes Schloss bringt natürlich auch in Magdeburg oder Bitterfeld die Gefahr mit, Farb- und Schutzanstriche zu beschädigen und dem Rost so Tür und Tor zu öffnen. An der Dessauer Tiergartenbrücke etwa mussten bereits einmal 160 stählerne Zeichen ewiger Verbundenheit entfernt werden. Der Schutz des Bauwerkes habe Vorrang, hieß es. Romantik hin oder her, geduldet werden könnten die Stahl gewordenen Dokumente intensiver Zweisamkeit „nur in einem gewissen Rahmen“, wie Stadtsprecher Carsten Sauer meint. An der Goitzsche dagegen liegt das Problem anders. Am Pegelturm sind es nicht die Schlösser, sondern Frischverliebte, die für Ärger sorgen: Immer wieder zerschneiden sie das Stahlnetz, in das sie ihre Liebesschwüre eben noch gebunden haben. Meist geht es dabei darum, überholte Zeugen früherer Liebesbeziehungen mit solidem Werkzeug zu entfernen.
Für Halle immerhin gibt Stadtsprecher Drago Bock Entwarnung: „Die Anzahl der Schlösser als auch die Art ihrer Befestigung stellen mit Blick auf Sicherheit, Gefährdung und Korrosion gegenwärtig kein Problem dar“, sagt er. Die Ewigkeit hat also Zukunft in Mitteldeutschland, die Schwüre aus Stahl dürfen bleiben, zumindest vorerst. „Sollten jedoch Arbeiten an den Brücken erforderlich sein“, heißt es in Halles Rathaus, „ist eine Entfernung der Schlösser zwangsläufig notwendig“.
