Sanddorn - Die Zitrone des Nordens Sanddorn - Die Zitrone des Nordens: Von diesem Vitamingehalt kann die Zitrone nur träumen

Weithin Orange – so leuchtet der Herbst an Rügens Küsten. Bis in den Dezember hinein. So lange setzen dort die kleinen ovalen Beeren der Sanddornsträucher dem mitunter stürmischen Nebelgrau ihr strahlendes Farbfanal entgegen. Und genau so lange dauert auch, im August beginnend, die Ernte der dornigen Sträucher.
Sechs bis acht Jahre braucht es, bis solch ein Strauch Früchte trägt. Die Ernte der festsitzenden Beeren ist nicht nur wegen der Dornen eine aufwändige, heikle Sache. Eine der Erntemethoden geht so: Die fruchtschweren Äste werden einzeln per Hand geschnitten und in Großraumkisten im Kühlhaus schockgefrostet. Nach drei, vier Tagen werden die Beeren dann mit einer Rüttelmaschine abgeschlagen, gereinigt und bis zur Weiterverarbeitung tiefgefroren gelagert. Eine mühevolle Prozedur.
Die Zitrone des Nordens
Doch sie lohnt sich allemal. Schließlich haben es die kleinen Beeren buchstäblich in sich. Allein der außerordentlich hohe Gehalt an Vitamin C macht sie zur Wunderwaffe. Bis zu 900 Milligramm davon sind pro 100 Gramm Fruchtfleisch enthalten. Werte, von denen Orangen und Zitronen nur träumen können. Denn die bringen es nur auf Bruchteile davon. Nicht umsonst wird die tolle Beere deshalb auch „Zitrone des Nordens“ genannt.
Neben anderen gesundheitswirksamen Stoffen wie Vitamin E und Beta-Karotin ist im Sanddorn auch das Energie-Vitamin B12 enthalten, das sogar Fettkiller-Eigenschaften haben soll. „Ja, sicher, das ist schon eine ganz besondere Pflanze“, sagt Martin Lorenz. Seit mehr als einem Jahrzehnt unterhält er in Naumburg einen „Sanddorn-Laden“ und kann so als Experte für die Wunderfrucht gelten.
„Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee“
Solch ein Strauch mit seinem gewaltigen, auch unterirdischen Ausdehnungsbedürfnis braucht Fläche. Wobei die DDR bei der Kultivierung größerer Sanddorn-Anpflanzungen seinerzeit die Nase vorn hatte. Sollte damit doch der Mangel an Vitamin-C-trächtigen Südfrüchte-Importen ausgeglichen werden. Die Textzeile „Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee“ aus Nina Hagens Kultschlager „Du hast den Farbfilm vergessen“ gewinnt so eine geradezu volkswirtschaftliche Dimension. Nach der Wende waren die Sanddorn-Kulturen etwas in Vergessenheit geraten. Bis deren marktfähiges Potential vor rund anderthalb Jahrzehnten quasi neu erkannt wurde.
Seither nimmt die Kultivierung neuen Aufschwung. So um die 700 Hektar umfassen derzeit die Kultursanddorn-Plantagen. Die meisten oben im Norden. Aber auch in Sachsen-Anhalt fühlt sich das stachlige Gewächs wohl. Die Sanddorn GmbH Quellendorf etwa hat die Früchte schon bis nach Kanada geliefert. Und sie außerdem zusammen mit der Loburger Brennerei als Sanddorn-Geist zu einer süffig-hochprozentigen Genießervariante veredelt. Die reiht sich ein in die unzähligen Verarbeitungsmöglichkeiten, die im spröden Sanddorn stecken und von Seifen, Kosmetika, Süßigkeiten und Säften bis zu Konfitüren und Tees reichen.
Speisekarten erobert
Kein Wunder, dass dieses Vielseitigkeitstalent auch die Speisekarten der gehobenen Gastronomie erobert. Im edlen Kurhaus Binz etwa zaubert die Konditorei eine „Kurhaus-Torte“. Das verführerische Gebäck besteht aus Biscuit, Schokolade und einer raffinierten Sanddorn-Füllung. In der Brasserie von Loevs Hotel gleich an der Binzer Seebrücke kann man ein Sanddorn-Menü genießen.
Los geht es mit einem Saft, samtig, dezent säuerlich auf der Zunge. Erster Gang: Karotten-Sanddornsuppe, würzig mit charakteristisch säuerlich-fruchtigem Unterton. Als Hauptgang folgt ein Dorschfilet unter einer Apfel-Sanddorn-Haube, dazu Aprikosenwirsing und Kräuterkartöffelchen. Das ist zunächst olfaktorisch leicht überbordend. Apfel und Wirsing, dominiert von Fisch! Beim Kosten des butterzarten Dorschfilets weicht die Verwirrung in der Nase und es bleibt genießerisches Schmecken. Die Apfelstroh-Überkrustung lässt die Sanddorn-Beigabe im Hintergrund, während die Aprikosenstückchen im Wirsing mehr Biss als Geschmack einbringen. Zum Dessert kommt ein Sanddorn-Süppchen mit Erdbeersorbet auf den Tisch. Ein durchaus harmonisierendes Frucht-Duett. Fazit: Ein Versuch mit Sanddorn lohnt sich allemal. (mz)
