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Sanatorium Beelitz-Heilstätten Sanatorium Beelitz-Heilstätten: Morbide Magie in verrotteten Ruinen

Von Joris Hielscher 02.11.2013, 11:33
An der Hauswand steht auf Englisch "Einbruch". Die Türen wurden aufgebrochen, Fenster eingeschlagen und Metalle geklaut. Vom alten Charme ist nicht mehr viel übrig.
An der Hauswand steht auf Englisch "Einbruch". Die Türen wurden aufgebrochen, Fenster eingeschlagen und Metalle geklaut. Vom alten Charme ist nicht mehr viel übrig. Moritz Vennemann Lizenz

Berlin/MZ - Die Eingangstür des dreistöckigen Ziegelgebäudes ist zugenagelt, und auf einem Schild steht „Betreten verboten! Privatbesitz“. Die Fenster im Erdgeschoss sind mit Spanplatten verrammelt, auf den oberen Etagen sind sie fast alle eingeschlagen. Aus den dunklen Öffnungen quellen Sträucher hervor. Müll liegt herum. „Es ist eine Schande! Niemand interessiert es, was mit diesem einmaligen Denkmal passiert!“, sagt Irene Krause, während sie den Blick über das ehemalige Wäscherei- und Küchenhaus schweifen lässt. Es gehörte zur Beelitzer Heilanstalt, die Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem zur Behandlung von Tuberkulosekranken errichtet wurde. Viele der imposanten Klinikgebäude, die zu Hoch-Zeiten mehr als tausend Patienten beherbergten, verfallen seit fast 20 Jahren.

Szenerie eines Abenteuerfilms

Mehr als zwei Stunden führt Irene Krause Interessierte über das einstige Klinikgelände, das sich über 200 Hektar erstreckt. Es ist die Szenerie eines Abenteuerfilms. Von der aufwendig gestalteten Parklandschaft sind nur noch die geschwungenen Wege, ein verrosteter Laubengang und einige Terrassen zu erkennen. Tempeln im Dschungel ähnlich erscheinen die verlassenen Häuser wie Monumente einer fernen Epoche. Ein steinerner Rotarmist mit Maschinengewehr bewacht Männersanatorium und Badehaus, und immer wieder warnen oder informieren Schilder auf Kyrillisch. Unter der Erde erstreckt sich ein weit verzweigtes Tunnelsystem, das die Häuser miteinander verbindet.

Dieser Ort zieht die verschiedensten Menschen an. Hobbyfotografen durchstreifen das Gelände nach spektakulären Motiven. Fans des Übersinnlichen sind auf der Suche nach Geistern. Nachdem ein Gastwirt, um sein Geschäft anzukurbeln, von Stimmen und Schreien in den verlassenen Häusern erzählt hat, ist ein regelrechter Horror-Tourismus entstanden. Das ehemalige OP-Haus gilt in der Szene als das Geisterhaus schlechthin. Andere betreiben dort die Schnitzeljagd als Hobby. Beim sogenannten Geocaching muss mit Hilfe einer Landkarte oder eines GPS-Empfängers ein versteckter Gegenstand gefunden werden, angegeben sind nur die geographischen Koordinaten. Junge Leute aus der Gegend treffen sich heimlich hier und veranstalten Partys, besonders zu Halloween und Walpurgisnacht. Und immer wieder versuchen Leute in die Tunnel einzudringen, obwohl die Zugänge zugesperrt und einige Tunnel zugeschüttet worden sind.

Unbekannte wüten auf den Gelände, Metalldiebe stehlen, was sich zu Geld machen lässt

In seinem Büro inmitten der Potsdamer Altstadt lässt Thorsten Schmitz einen 20 Zentimeter hohen Papierstapel auf den Tisch knallen. „Das sind allein die Anzeigen vom letzten Jahr!“, erklärt er. Der Architekt ist sichtlich genervt von dem Ärger, den er mit dem Gelände hat, seit er es vor fünf Jahren gekauft hat. „Manche Menschen führen sich auf wie Tiere“ sagt Schmitz. Sie würden in die Häuser einbrechen, die Innenräume verwüsten und mit Graffiti beschmieren und das stehlen, was sich irgendwie zu Geld machen ließe. Metalldiebe haben es vor allem auf das Kupfer abgesehen und Rohre, Dachrinnen und die Dachverkleidung herausgerissen. Weil Decken und Balkone nicht mehr tragen und Menschen die Gefahren unterschätzen, hat es mehrere schwere Unfälle gegeben.

Neben negativen Schlagzeilen sah sich Schmitz auch noch mit einer Anzeige wegen Unterlassung der Verkehrssicherungspflicht konfrontiert. Seitdem verfolgt Schmitz, der anfangs noch friedliche Besucher duldete, eine harte Linie: Das Betreten des Geländes ist verboten. Der einzig legale Weg, das Areal zu besuchen, ist die wöchentliche Tour von Irene Krause. In die Gebäude kommt man gar nicht mehr, außer wenn man sie für Film- und Fotoshootings mietet.

Hitler kurierte such in Beelitz aus

Was den illegalen Besuchern allerdings entgeht, ist die wechselvolle Geschichte der Beelitzer Heilstätten, die Irene Krause auf ihrer Tour erzählt. Sie beginnt Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin. Viele Menschen lebten damals unter erbärmlichen Bedingungen. Insbesondere die Arbeiterquartiere in Moabit und Wedding entwickelten sich zur Brutstätte ansteckender Krankheiten, vor allem der Tuberkulose.

Um dieser Epidemie Herr zu werden, erwarb 1898 die Landesversicherungsanstalt Berlin ein Waldgebiet nahe Beelitz, ungefähr 50 Kilometer von der Innenstadt entfernt, und errichtete dort die Heilstätten. Wenn Irene Krause über die Geschichte der Heilstätten erzählt, ist ihre Begeisterung beinahe physisch zu greifen. Immer wieder zeigt sie Fotos von früher und liest aus Postkarten von Patienten vor. Ungefähr 300 Postkarten hat sie auf Flohmärkten und im Internet erstanden.

Auf einem ihrer Fotos ist der junge Gefreite Adolf Hitler zu sehen. 1916 war er, nachdem ihn ein Granatsplitter verwundet hatte, für rund sieben Wochen in Beelitz in Behandlung. Und auch ein anderer, der die Geschichte Deutschlands prägte, lebte hier nach seiner Entmachtung eine Zeit lang: Erich Honecker. Die Rote Armee, die das Gelände nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen und zum größten Militärhospital außerhalb der Sowjetunion gemacht hatte, bot ihm und seiner Frau Margot Asyl nach der Wiedervereinigung. Von Dezember 1990 bis März 1991 war es ihr letzter Aufenthaltsort in Deutschland, bevor sie nach Moskau ausgeflogen wurden. Nachdem die Russen das Areal 1994 verließen, sollte Beelitz-Heilstätten wieder Gesundheitszentrum werden. Die ehemalige Männer-Lungenheilanstalt wurde aufwendig zu einer neurologischen Rehabilitationsklinik umgebaut. Dazu kam eine Kinderklinik. Doch Investoren hatten sich übernommen, das Projekt ging pleite.

Dornröschenschlaf geht weiter

Danach fiel das Gelände in einen Dornröschenschlaf und geschlagene sieben Jahre passierte gar nichts, bis es Schmitz aus der Insolvenzmasse erwarb. Er hat selbst mehrmals Pläne und Projekte öffentlich angekündigt. „Als die geplatzt sind, stand ich blöd da“ sagt er. Dabei träfe ihn keine Schuld, die Finanzkrise hätte die Pläne zunichte gemacht und Investoren seien abgesprungen. Er fühlt sich alleingelassen von der Politik. Am liebsten wäre es ihm, wenn über die Heilstätten gar nicht berichtet werden würde.

Die Lungenheilanstalt für Frauen ist heute nur noch eine Ruine.
Die Lungenheilanstalt für Frauen ist heute nur noch eine Ruine.
Moritz Vennemann Lizenz
Auch die sowjetische Armee hat Spuren hinterlassen.
Auch die sowjetische Armee hat Spuren hinterlassen.
Moritz Vennemann Lizenz