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Nachterstedt Nachterstedt: Schwalben-Heim beim Ehepaar Losse

Von Regine Lotzmann 21.07.2016, 13:46
Ilse und Dieter Losse im Garten vor dem selbstgebauten Futterhaus.
Ilse und Dieter Losse im Garten vor dem selbstgebauten Futterhaus. Regine Lotzmann

nachterstedt - Gleich über der Tür pappt das Nest an der weißgetünchten Schuppenwand. Doch Schwalben sind in dem aus Speichel und Lehm bestehenden Unterschlupf nicht zu entdecken. „Die sind noch zu klein“, zuckt Ilse Losse die Schultern. Und ihr Mann Dieter weiß: „So in etwa acht Tagen schauen sie oben raus.“ Mit einem verschmitzten Lächeln zückt der Nachterstedter aber einen kleinen Spiegel und hält ihn an den schmalen Schlitz zwischen Nestrand und Schuppendecke - und siehe da: Im Inneren des Nestes sind fünf kleine Schwälbchen zu entdecken, die eng an eng beieinanderhocken.

Seit 1960 wachsen bei dem Ehepaar Schwalben auf. An die 550 müssen es in der Zwischenzeit gewesen sein. Dafür erhielt das Ehepaar jetzt vom Naturschutzbund Sachsen-Anhalt die Plakette „Schwalbenfreundliches Haus“ verliehen.

Als die Nachterstedter das Haus am Rande des Ortes vor 56 Jahren von Dieter Losses Eltern übernahmen, zogen gleich die Nachbarsschwalben mit ein. „Unsere Nachbarn - das waren ältere Leutchen - meinten damals, wir sollen sie hegen und pflegen, denn Schwalben bringen Glück ins Haus - und sie hatten recht“, nickt Ilse Losse.

Glück? Das hatten sie nämlich zur genüge. „Wir wohnen jetzt schon so lange hier, haben zwei Kinder, fünf Enkel und fünf Urenkel - alle sind gesund und munter und jeder hat seine Arbeit. Was will man mehr?“, fragt sie wie zum Beweis und gibt zu, ihre Schwalben zu lieben.

„Ich habe am 12. April Geburtstag und oft das Glück, dass ich mein Ständchen bekomme, da kann man förmlich drauf warten“, freut sie sich auf die Zeit, wenn die Schwalben aus ihrem Winterquartier zurück ins Seeland kommen. „Einmal war sogar eine beringte dabei“, kann sich Dieter Losse erinnern, der dafür sorgt, dass es den Vögeln auf seinem Grundstück gut ergeht. So hat er ein Einflugloch in die Schuppentür gebaut und die Fenster bleiben angekippt. Drinnen im Gerätestall, wo die Kleinen ihre ersten Flugversuche wagen, hat er eine Sitzstange angebracht. Obwohl, lachen sie beide, alle fünf Kleinen schon einmal auf dem Fahrradlenker aufgereiht saßen. „Ich wollte eigentlich zur Apotheke fahren“, verrät die 79-Jährige. „Habe dann aber die Tür ganz leise wieder zugemacht und bin zu Fuß gegangen.“

In diesem Jahr hatten die Losses allerdings Pech. Zwei Eier lagen schon im Nest, da habe das Schwalbenweibchen tot auf dem Boden gelegen. „Da leidet man mit“, gesteht der 81-Jährige. Und das Paar erzählt, wie das Männchen verzweifelt nach einer neuen Partnerin suchte. „Er hat sich so angestrengt und jeder hinterhergepfiffen.“ Aber zu dieser Zeit waren die meisten schon vergeben. Doch irgendwann schien ihm das Glück doch hold zu sein. „Erledigt. Es hat geklappt“, habe ihr Mann ihr eines Tages erzählt, als er wieder zwei Schwalben im Nest sitzen sah. „Und wir haben uns mit gefreut.“

Sie sei in einer Gärtnerei großgeworden, erzählt Ilse Losse, die eigentlich aus Gatersleben stammt. „Mein Vater war sehr für Tiere. Schmetterlinge, Vögel... Das überträgt sich“, findet sie, denn Tiere liebt sie über alles. Und so finden sich in ihrem Garten auch noch Meisen, Kleiber, Rotschwänzchen. „Mein Mann hat einen kleinen Brunnen gebaut, da sitzen wir immer unter dem Dach und beobachten die Vögel beim Baden.“ Auch Insektenhotel und Futterhäuschen hat Dieter Losse eigenhändig hergestellt - und natürlich die Schwalben-Plakette ans Haus angebracht. Gleich neben dem Eingang.

Für Annette Leipelt ein schönes Zeichen. Die Geschäftsführerin des Naturschutzbundes Sachsen-Anhalt freut sich über Menschen, die sich aktiv für den Schutz der Schwalben einsetzen. „Die extra Leinen spannen, ihre Ställe offen lassen - das sind schöne Erlebnisse für uns, dass so viele Menschen dabei mitmachen“, gesteht sie und berichtet von 63 Bewerbungen seitdem der Startschuss für die diesjährige Aktion im April gefallen ist. „530 Plaketten konnten wir jetzt in den letzten vier Jahren insgesamt schon vergeben, Schwerpunkt sind dabei stets der Salzlandkreis und der Harz.“ So haben zum Beispiel je zwei Familien aus Nachterstedt und Schadeleben und zwei Frauen aus Hausneindorf und Schackenthal in den letzten Wochen eine Auszeichnung bekommen.

„Was mir dabei aufgefallen ist“, berichtet Annette Leipelt, „dass in diesem Jahr viele Eltern ihre Kinder oder Enkel ihre Großeltern damit überraschen, die Übergabe mit besonderen Ereignissen verbinden.“ So hatte eine junge Frau die Bewerbung für ihre Uroma zu deren 90. Geburtstag geschrieben. Denn die alte Dame hatte Schwalben jahrzehntelang ein Unterkommen gewährt. (mz)

Mit Hilfe eines Spiegels kann man im Schwalbennest die Jungen sehen-
Mit Hilfe eines Spiegels kann man im Schwalbennest die Jungen sehen-
Regine Lotzmann