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Chemie Dampfmaschinen Autos Industriemuseum Schönebeck

Von Detlef Anders 12.05.2019, 08:55
Georg Plenikowski war früher Betriebsleiter im Sprengstoffwerk. Heute leitet er den Trägerverein des Industriemuseums.
Georg Plenikowski war früher Betriebsleiter im Sprengstoffwerk. Heute leitet er den Trägerverein des Industriemuseums. Detlef Anders

Aschersleben - Wer auf der Suche nach den Stempelstellen des Salzland-Kulturstempels in Schönebeck unterwegs ist, der findet eine davon im Industriemuseum der Stadt. Einfach hinkommen, stempeln und weiter – das geht hier allerdings nicht.

Der Stempel ist tatsächlich mit einem Besuch des Museums verbunden, das samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet ist. Und wer sich die Zeit für einen Besuch und eine Führung unter fachkundiger Anleitung nimmt, der wird nicht nur um einem Stempel reicher, sondern auch um einen kleinen Einblick in das, was durch das Salz möglich wurde – eine wirtschaftliche Entwicklung.

Georg Plenikowski vom Trägerverein beginnt den Rundgang mit einer Quizfrage

„Die Stadt Schönebeck ist mit Sicherheit die Wiege der Industriekultur in Deutschland, oder mindestens ein Leuchtturm der Industriekultur. Und keiner weiß es“, sagt Georg Plenikowski, der Chef des Trägervereins.

Plenikowski beginnt seine Führungen gern mit einem „RTL-Quiz“. Wo gab es die erste Chemiefabrik Deutschlands? – „In Schönebeck“, muss die richtige Antwort lauten. Genauso auf die Fragen, wo der einzige Ort ist, in dem es drei Munitionsfabriken gleichzeitig gab, wo 1792 die erste Dampfmaschine Deutschlands hergestellt wurde oder wo einst die modernsten Autos Deutschlands produziert wurden.

Selbst 80 Prozent der Schönebecker wüssten kaum etwas von Siegel-Autos wie dem Phaeton oder heutigen Ambulanzmobilen. Oder dass fast sämtliche Munition für Biathlonspitzensportler heute in Schönebeck hergestellt wird. Dass Heinz Bormann, der „Rote Dior des Ostens“, in Schönebeck modernste Kleider herstellte. 

Wie „Weltrad“ seit 1885  zum internationalen Fahrradhersteller aufstieg

Dass die Firma „Weltrad“ 1885 gegründet und zu einem internationalen Fahrradhersteller aufstieg oder dass der einzige Niederdruckofen hier hergestellt wurde. Oder auch, dass die erste amerikanische Aktiengesellschaft in Deutschland in Schönebeck gegründet wurde.

Wen wundert es, dass auch nach dem Krieg in Schönebeck nicht nur Radios gebaut wurden, sondern auch Fernsehgeräte. Ein solches fehlt dem Verein leider, doch immerhin gibt es seit ein paar Tagen eines der 1954 hergestellten Röhrenradios Elbia, ein sogenanntes Gnomröhrenradio.

Viele ehemalige DDR-Bürger verbinden Schönebeck mit der Herstellung von Traktoren

Den meisten DDR-Bürgern ist die Stadt vor allem durch die Traktorenherstellung bekannt. RS08 und RS09 oder ZT300 hießen die legendären Landmaschinen. Manche Firmen gibt es noch, einige haben Nachfolger. Ein allgemeines Technikmuseum hätten sie nicht, betont Plenikowski.

„Wir sind ein Industriemuseum für die Dinge, die in Schönebeck mal entwickelt wurden, oder benutzt wurden, um in der Stadt etwas herzustellen. Einen Wartburg werde man nie finden, nur bei zwei Mopeds eines Sponsors soll eine Ausnahme gemacht werden, meint Plenikowski schmunzelnd.

Verein baut seit 2009 auf dem Gelände des früheren Elektrizitätswerkes das Museum auf

Der Verein hat es sich seit seiner Gründung 2009 zur Aufgabe gemacht, auf dem Gelände des früheren Elektrizitätswerkes der Stadt mit Gleichgesinnten einen Museumskomplex aufzubauen. In einer Stadt, die kaum Geld hat, keine leichte Aufgabe.

Das E-Werk habe nur einen Euro gekostet, doch der Instandhaltungsrückstau habe 3,5 Millionen Euro betragen, sagt Plenikowski. Doch die Enthusiasten haben in den zurückliegenden Jahren gezeigt, dass sie dazu in der Lage sind.

750.000 Euro hätten sie an Werten inzwischen geschaffen. Mittlerweile helfen rund 100 Sponsoren den 35 Vereinsmitgliedern. Mithilfe von Ein-Euro-Jobbern und Fördergeldern für die Fassadensanierung ging es immer weiter voran.

Steht hier die älteste Werkzeugmaschine Sachsen-Anhalts?

Die EMS-Maschinenhalle mit dem in Sachsen-Anhalt wohl einmaligen Stehfalzdach und der wiederhergestellten Dachbekrönung gibt es in jeder Ecke ein Highlight zu entdecken. Der einzige Quecksilberdampfgleichrichter Deutschlands etwa in der Energie-Ecke. Die besterhaltenste Glasdestillationskolonne in der Chemieecke oder ein echtes 3D-Periodensystem der Elemente.

An der Decke hängt ein uralter Sprengölwagen und in der Munitionsecke kann die wohl älteste Werkzeugmaschine Sachsen-Anhalts, eine Presse von 1828/29 besichtigt werden.

Verein möchte Künstlern in der Region eine Plattform bieten

Im „Wohnhaus des Betriebsingenieurs“ sind die ersten beiden Etagen für Ausstellungen hergerichtet. Da es in der Region viele Künstler gibt, möchte der Verein diesen hier auch eine Plattform geben. Von 50 Künstlern ist je ein Werk ausgestellt, weitere lassen sich am großen Tablet betrachten.

Für den kriegsblinden Bildhauers Dario Malkowski, der im letzten Jahr verstarb, gibt es eine eindrucksvolle Dauerausstellung. Eine Ausstellung zum 90. Geburtstag des bekannten Schönebeckers, Professor Werner Tübke, der durch das Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen bekannt wurde, ist vom 13. Juli bis 25. August geplant.

„Wir wollen uns in Industrie- und Kunstmuseum umbenennen“, sagt der 71-jährige Vereinschef, der einst Wissenschaftler und nach der Wende Betriebsleiter im Sprengstoffwerk war, vorausblickend. Und auch über die Überführung in eine Stiftung, um die Sammlung zu erhalten, wird nachgedacht.

Ende April wurde die Mehrzweckhalle eröffnet. Eine Ausstellung für die vielen in der Region ansässigen Firmen ist entstanden. Im Erdgeschoss soll die Traktorenproduktion noch größeren Raum bekommen. Und Räume für weitere Exponate gibt es auch noch. (mz)

Im „Wohnhaus des Betriebsingenieurs“ rechts sind zwei Etagen für Kunstausstellungen hergerichtet. Die EMS-Maschinenhalle links hat ein in Sachsen-Anhalt wohl einmaliges Stehfalzdach.
Im „Wohnhaus des Betriebsingenieurs“ rechts sind zwei Etagen für Kunstausstellungen hergerichtet. Die EMS-Maschinenhalle links hat ein in Sachsen-Anhalt wohl einmaliges Stehfalzdach.
Detlef Anders
In der Maschinenhalle gibt es neben einem Modell des Traktors ZT300 auch einen echten RS08 (links hinten) zu sehen.
In der Maschinenhalle gibt es neben einem Modell des Traktors ZT300 auch einen echten RS08 (links hinten) zu sehen.
Detlef Anders