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Sachsen Sachsen: Verfassungsgericht kippt Versammlungsgesetz

19.04.2011, 09:59

Leipzig/dpa. - Der Verfassungsgerichtshof in Leipzig hat dasumstrittene sächsische Versammlungsgesetz der schwarz-gelbenRegierung aus rein formalen Gründen gekippt. Das Gesetz sollteermöglichen, Demonstrationen an bestimmten Orten zu verbieten odermit Auflagen zu versehen. Im Kern ging es um die DresdnerFrauenkirche, das Leipziger Völkerschlachtdenkmal und Teile derInnenstadt von Dresden speziell am 13. und 14. Februar: DerJahrestag der Zerstörung der Elbestadt im Zweiten Weltkrieg wirdseit Jahren von Rechtsextremisten und Gegendemonstranten zuAufmärschen genutzt.

Im Gesetzgebungsverfahren seien gravierende Formfehler begangenworden, entschieden die Richter am Dienstag. Den Abgeordneten seidas Gesetz, über das sie beschließen sollten, nicht im vollenWortlaut vorgelegt worden, hieß es zu Begründung (Az.: Vf.74-II-10).Das sei ein Verstoß gegen die sächsische Verfassung und das Gesetzdamit nichtig. «Der in den Landtag eingebrachte Entwurf einessächsischen Versammlungsgesetzes entsprach nicht den inhaltlichenAnforderungen an eine Gesetzesvorlage», erklärte die VorsitzendeRichterin Birgit Munz. Es gilt nun wieder das alte Bundesgesetz. Diesächsische CDU/FDP-Koalition kündigte umgehend an, ein neues«rechtssicheres» Gesetz in Angriff zu nehmen.

52 Landtagsabgeordnete der Linken, Grünen und SPD hatten vor demVerfassungsgerichtshof geklagt. Sie bemängelten die formalen Fehler,halten das Gesetz aber auch sonst für verfassungswidrig. Darüberurteilten die Richter nicht. Beschwerdeführer Johannes Lichdi vonden Grünen sagte, das Urteil sei eine «Watsche für gesamteKoalition». Und es sei auch eine «Klatsche» für JustizministerJürgen Martens (FDP), weil er die Aufgabe gehabt hätte, auf dieVerfassungswidrigkeit des Gesetzes hinzuweisen. «Ich denke, er hatgewusst, dass es verfassungswidrig ist», sagte Lichdi.

Martens erklärte, er halte ein eigenes sächsischesVersammlungsgesetz weiter für erforderlich. «Ich gehe davon aus,dass wir nach Auswertung des Urteils gegebenenfalls ein neuesGesetzgebungsverfahren einleiten werden», sagte Martens.

Carsten Biesok, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion,erklärte: «Das Verfassungsgericht hat formelle Mängel unseresVersammlungsgesetzes festgestellt - dies ist bedauerlich, aberbehebbar. Wir werden nun mit Nachdruck diese Fehler korrigieren, umschnellstmöglich ein rechtssicheres Gesetz in Kraft treten zulassen. Es ist im Interesse aller Sachsen, dass die von Aufmärschengewalttätiger Extremisten geplagten Kommunen wieder eine Handhabebekommen, sich schützen zu können.» Sein CDU-Kollege Marko Schiemanndeutete in die gleiche Richtung an: «Die Formfehler müssen beseitigtwerden.»

Nach Ansicht der Opposition ist die Einschränkung derVersammlungsfreiheit - Ort und Zeit einer Kundgebung nicht mehr freiwählen zu dürfen - verfassungswidrig. Mit dieser inhaltlichen Fragesetzte sich das Gericht aber gar nicht auseinander. Dass dieRegierungskoalition prompt angekündigte, ein neues Gesetz auf denWeg zu bringen, empörte Grünen-Politiker Lichdi: «Der Respekt vordem Verfassungsgerichtshof hätte es erfordert, wenigstens einenhalben Tag nachzudenken, bevor die Wiedereinbringung desVersammlungsgesetzentwurfes angekündigt wird.»

Der Linken-Abgeordnete Klaus Bartl sagte, das Urteil sei derAufruf an die Staatsregierung: «Achtet den Status des Abgeordneten,achtet den Status des Souveräns! Das ist kein Frühstücksdirektorium,sondern das ist das Parlament!» Nach der Niederlage müssten CDU undFDP verstehen, «dass man Rechtsextremismus nicht vom Schreibtischaus mit Gesetzen bekämpfen kann», erklärte Sabine Friedel (SPD).«Wir laden die Koalition erneut dazu ein, mit uns und den anderendemokratischen Fraktionen über einen gemeinsamen Umgang mit dem 13.Februar zu sprechen. Das Wichtigste, was wir an diesem Tag brauchen,ist der politische Konsens der Demokraten.»

Auch Bartl und Lichdi meinen, das Bundesversammlungsgesetz sei«weiterentwicklungsbedürftig». Allerdings dürfe man nicht so weitgehen wie die Regierungskoalition. Unternähmen CDU und FDP jetzt denVersuch, das Gesetz wortgleich, aber formal korrekt, noch einmaldurchzuboxen, werde man sich bald wieder in Leipzig treffen, um überden Eingriff in das hohe Gut der Versammlungs- und Meinheitsfreiheitzu streiten.