Sachsen Sachsen: Therapie für Pädophile in Leipzig
Leipzig/MZ. - Es klingt banal, aber so war es eben bei dem Mittdreißiger, der hier Sven Purschner heißen soll. Irgendwann hat er angefangen zu trinken, weil er sich sonst selbst nicht mehr ausgehalten hätte. Eine Beziehung hatte er nie. Freundschaften zerbröckelten, bis er ganz allein war. Allein mit sich, seinem Rechner und den Bildern darauf, die er Nacht für Nacht anklickte. Furchtbare Bilder, auf denen Kinder sexuell missbraucht werden.
Nun kommt er, gemeinsam mit anderen Männern, regelmäßig hierher, in diesen schmucklosen Raum mit den grau bezogenen Stühlen, irgendwo in einem Gebäude auf dem weitläufigen Medizin-Campus der Uni Leipzig. Alle tragen sie Schilder, auf denen nur ihre Vornamen stehen. Und alle haben dieselbe Neigung. Sie wollen Sex mit Kindern.
Es ist eine Gruppentherapie der besonderen Art. Seit einem Jahr können sich pädophile Männer in Leipzig von Psychologen helfen lassen. Sie können lernen, ihre Veranlagung in den Griff zu bekommen, so dass sie sich gar nicht erst an Minderjährigen vergehen. Lernen, keine Kinderpornos mehr zu schauen.
Lernen, letztlich, ihre Sexualität zu unterdrücken.
Anonymität ist garantiert in Leipzig. In der Ambulanz, wie sie das Präventionsprojekt mit dem Namen "Dunkelfeld" an der Uni auch nennen, muss niemand seinen richtigen Namen preisgeben. So wollen sie es den Männern erleichtern, sich zu offenbaren.
Wann genau es anfing bei Sven Purschner, das weiß er nicht. Vielleicht war er Anfang, vielleicht Mitte 20, als er merkte, dass nicht gleichaltrige Frauen ihn sexuell anziehen, sondern kleine Jungen. Kinder. Irgendwann kamen die Kinderpornos. Kam der Alkohol. Kam der Selbsthass. Pädophile stecken fest in einem Teufelskreis, schildert die Psychologin Mandy Werner, die die Therapie leitet und Purschners Geschichte erzählt: Der sexuelle Druck, Kinderporno-Bilder zu konsumieren, sei extrem hoch. Doch auf die Befriedigung folgten Schuld- und Schamgefühle. Bis der Druck wieder steige. "Unsere Klienten leiden an sich selbst", sagt Werner. Die Scham ist riesig, vor sich selbst und vor anderen.
Es ist eine heikle Mission, in der Mandy Werner, Ambulanzleiter Prof. Henry Alexander und ihre Kollegen unterwegs sind. Die öffentliche Debatte um sexuellen Missbrauch von Kindern und um die Täter ist geprägt vom Diktum des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), der vor elf Jahren forderte: "Wegschließen - und zwar für immer!" Die Debatte ist geprägt von Fällen wie Emden, wo nach dem Sexualmord an der elf-jährigen Lena im März zunächst der Falsche verdächtigt und im Internet mit dem Tod bedroht wurde. "Die Kriminalisierung ist zunehmend eine Hürde in unserer Arbeit", sagt Werner.
Die Debatte findet statt in einer Öffentlichkeit, die Pädophile und andere Sexualstraftäter gerne in einen Topf wirft. Dabei gehen nach Schätzungen von Experten zwei Drittel aller sexuellen Übergriffe auf Kinder nicht auf das Konto von Pädophilen. Sondern von Menschen, deren sexuelle Vorliebe eigentlich nicht Minderjährigen gilt. Die sie aber - als eine Art Ersatzbefriedigung - dennoch missbrauchen, weil sie mit Erwachsenen sexuell nicht klarkommen.
Sven Purschner hält sich fern von Kindern, seit er seine verhängnisvolle Neigung kennt. Die Angst, übergriffig zu werden, spielt für viele eine große Rolle bei der Entscheidung, sich zu offenbaren. Purschner vertraut sich irgendwann einem Psychotherapeuten an. Der gibt ihm die Telefonnummer des Leipziger Projekts. Bei manchen anderen kommt der Anstoß - ganz banal - von außen: Wenn die Partnerin oder der Vorgesetzte Kinderpornos auf dem Rechner finden.
Am Anfang, nach dem ersten Telefonat, steht ein langes Gespräch, drei, vier Stunden. Mandy Werner führt es, mit jedem potenziellen Klienten einzeln. Die Therapeuten nennen es klinisches Interview. Für Männer wie Sven Purschner ist es etwas, das sein Innerstes nach außen kehrt. Er muss zu seinem Sexualleben Fragen beantworten. Detaillierte Fragen. Wie sehen seine sexuellen Fantasien aus? Wer spielt darin eine Rolle? Welche Fantasie erregt ihn am meisten? Solche Sachen. Am Ende des Gesprächs hat Mandy Werner zu ihm und zu all den anderen Männern hier diesen Satz gesagt: "Nach allem, was Sie mir erzählt haben, muss ich davon ausgehen, dass Sie eine pädophile Sexualpräferenz haben." Ein Satz wie ein Holzhammer. Für Purschner aber eine Erleichterung: Endlich, endlich fasst jemand das Unfassbare in Worte.
Rund 250 000 Männer in Deutschland gelten als pädophil, ihre Neigung als krankhaft. Ihre Ursachen sind noch weitgehend unerforscht. Möglicherweise spielt die genetische Veranlagung eine Rolle. Klar ist bisher nur: Pädophilie ist nicht heilbar. Wer diese Neigung hat, muss lernen, damit zu leben. So zu leben, dass nichts passiert. Das ist das Ziel der Gruppentherapie, der sich Sven Purschner und die anderen ein Jahr lang unterziehen. Es geht um Selbstkontrolle, sagt die Psychologin Mandy Werner. Darum, sein Verhalten in den Griff zu bekommen. Keine Kinderpornos mehr zu klicken. Sich von Kindern fernzuhalten.
Und es geht um das, was sie in Leipzig Selbstakzeptanz nennen: Pädophile wollen sexuelle Kontakte mit Kindern. "Sie müssen lernen zu akzeptieren, dass sie diesen Wunsch nie werden ausleben können", sagt Ambulanzleiter Henry Alexander. Die Gruppengespräche sollen dabei helfen. Und anfangs, berichtet Werner, sei es für manche Klienten schon hilfreich, Männer kennenzulernen, denen es genauso gehe wie ihnen selbst.
In manchen Fällen setzen die Leipziger Therapeuten auch Medikamente ein, derzeit bei rund einem Drittel der Männer. Auf deren Wunsch, betont Alexander. Er spricht von "Anti-Hormonen", die den Sexualtrieb unterdrücken sollen, indem sie den Spiegel des Sexualhormons Testosteron im Körper auf nahezu null bringen. Eine Kastration mit chemischen Hilfsmitteln.
Seit einem guten Jahr besteht die Pädophilen-Ambulanz an der Leipziger Uniklinik. Mehr als 90 Anrufer haben sich seither dort gemeldet, die meisten von ihnen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Woche für Woche kommen weitere hinzu. Bisher haben es 44 Männer bis zum ersten Interview geschafft. Den anderen mussten die Therapeuten absagen. Sie erfüllten nicht die strengen Voraussetzungen: Wer sich einer Therapie unterziehen will, darf sich noch nicht strafbar gemacht haben. Und muss sich bewusst sein, dass er ein Problem hat mit seiner Sexualität. "Wer anruft, weil gerade die Polizei in der Tür steht und den Rechner mit Kinderpornos beschlagnahmen will, der ist bei uns falsch", sagt Mandy Werner.
Rund 30 Männer haben sich in Leipzig bisher zur Gruppentherapie entschlossen. Die erste Gruppe wird im Sommer fertig sein. Sven Purschner ist dabei. Was dann wird, er weiß es noch nicht. Aber eines hat er bereits gelernt: Seine Neigung hat er sich nicht ausgesucht. Aber für sein sexuelles Verhalten ist allein er verantwortlich.