Sachsen Sachsen: Rehabilitierung von DDR-Heimkindern?
Dresden/Torgau/ddp. - Er sprach von einer«erfreulichen» Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht,wonach «auch die zwangsweise Unterbringung von Kindern undJugendlichen in DDR-Heimen» eine Rehabilitierung begründen könne.Opferverbände und Beratungsinstitutionen warnten indes vor zu vielOptimismus. Der rechtliche Rahmen einer Entschädigungszahlung seinoch nicht geklärt. Auch die Zahl der Berechtigten liege komplett imDunkeln.
Nach Angaben der «Gedenkstätte geschlossener Jugendwerkhof Torgau»gab es in der DDR in ihrem letzten Jahr 474 Kinderheime, darunterzahlreiche sogenannte Spezialheime und 32 Jugendwerkhöfe. Wie vieleKinder in der DDR insgesamt in einem Heim untergebracht waren, weißauch Projektleiterin Juliane Thieme nicht. Allein im Jahr 1981 seienes 25 400 gewesen, davon 3200 in Spezialkinderheimen und 2900 in denJugendwerkhöfen. Nur in Torgau glich das Heim einem Gefängnis, es warabgeschirmt durch Mauern und Stacheldraht, Ausgang gab es nicht. Fürdie Torgauer Insassen gelte daher bereits eine generelleRehabilitierung.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai sindRehabilitierungsanträge ehemaliger DDR-Heimkinder nicht generellunbegründet. Mackenroth verwies auf die Voraussetzung, «dass dieMaßnahme der DDR-Behörden mit wesentlichen Grundsätzen einerfreiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar war». Betroffenekönnen bis 31. Dezember 2011 Anträge auf Rehabilitierung undEntschädigung einreichen. Zuständig sei das Gericht am Ort, wo diedamalige Heimunterbringung angeordnet worden war.
Die Karlsruher Richter hatten mit ihrer Entscheidung einen Fall andas Oberlandesgericht Naumburg zurückverwiesen. Wann dieser dort neuentschieden und damit ein gesetzlicher Rahmen für Entschädigungengeschaffen wird, ist noch offen. Geklagt hatte ein Mann ausSachsen-Anhalt, der 1961 bis 1972 in Heimen und anderenErziehungsanstalten in der DDR gelebt hatte. Seinen Antrag aufRehabilitierung und Entschädigung hatten die beiden Erstinstanzenabgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht jedoch erklärte, dass dieEinweisungen möglicherweise als Willkür zu betrachten seien und damitgegen das Grundgesetz verstießen.
Die Torgauer Projektleiterin Thieme sagte, dass die Kriterien füreine Rehabilitation überhaupt noch nicht klar seien. Zwar sei derRichterspruch eine nicht unwichtige Unterstützung für die ehemaligenDDR-Heimkinder. Welche Rechte sich daraus aber ableiten lassenkönnten, stehe auf einem anderen Blatt. Thieme geht davon aus, dasses auf eine Einzelfallprüfung hinauslaufen werde. Dann könne es fürviele schwierig werden, ihre Heimzeiten und die Gründe für dieEinweisung zu belegen. Viele Akten seien vernichtet oder nichtauffindbar.
Laut Justizministerium gelten bei der möglichen Entschädigungehemaliger Heimkinder voraussichtlich ähnliche Regeln wie bei derseit September 2007 ausbezahlten SED-Opferrente. Sie beträgt bis zu250 Euro pro Monat, abhängig von der Bedürftigkeit. Insgesamt hatSachsen bisher mehr als 45 Millionen Euro an SED-Opfer ausbezahlt,knapp zwei Drittel davon wurden vom Bund getragen.
Bis Ende Juli waren laut Ministerium knapp 13 000 Anträge aufSED-Opferrente eingegangen. Mehr als 8400 Antragstellern sei dervolle Betrag von 250 Euro bewilligt worden. Mackenroth zufolge gab esan den drei Landgerichten zwischen 1993 und 2008 insgesamt 37 000Verfahren zur Beseitigung rechtsstaatswidriger DDR-Strafurteile, etwabei der Hälfte der Fälle seien die einst Verurteilten vollständigrehabilitiert worden. Jährlich gebe es immer noch mehr als 1000 neueRehabilitierungsanträge.